Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Dresden, Montag, 17. Mai 1824

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Vielgeliebter Bruder!

Zwei liebe Briefe von dir habe ich zu beantworten. den vom 26t Aprill erhielt ich d: 30t und Tags darauf eine Antwort Spontinis, die sich um lauter Nebendinge drehend, wohl zeigt daß mein Brief seine Wirkung nicht verfehlt hat; auch obwohl spizzig und erbittert, doch noch viel mehr der ausgesuchtesten Artigkeiten enthält, und endlich im Postscript die Hauptsache bringt, nehmlich — daß er etwas mehr Eifer von mir erwartet hätte, Olimpia aufzuführen! — ! — ! — ! daß dieß noch nicht geschehen, ist wahrlich nicht meine Schuld, sondern der Mangel an guten Subjekten.      ich werde dir seinen Brief und meine abermalige Entgegnung die ich jezt eben mache in Abschrift zuschikken.     Seit 14 Tagen wohne ich in Hosterwitz und nun fühle ich erst die totale Abspannung aller Seelen und Leibeskräfte, die sich besonders in einer abscheulichen Gleichgültigkeit gegen alles in der Welt äußert.      deßhalb habe ich grade zu diese 14 Tage über alle 4 von mir gestrekt und gar nichts gethan, außer dem DienstGeschäft.      In meiner Antwort an Sp: werde ich viele Dinge ganz übergehen, weil das Geschreibsel sonst gar kein Ende nähme, und auch von der Aufführung der Eury: nichts weiter erwähnen.      das neuste Ereigniß mit der Zeitungs Annonce ist nun freylich höchst merkwürdig und unverschämt dreist und unklug, ich kann aber nicht ganz deiner Ansicht beistimmen daß dieß den Druk der Corresp: von meiner Seite veranlaßen sollte. ich glaube daß ich am besten thue diesen Artikel ganz zu ignoriren, denn es ist ganz klar des Grafen Brühls Sache die darinn enthaltenen Unwahrheiten auf zu dekken, besonders da Er theils durch seine eigenen mit Spont: gewechselten Noten das Material und die Beweiße dazu hatte, theils schon durch den ihm von mir mitgetheilten offiziellen Theil des 1t Spont: Briefes.      die größte Paßivität von meiner Seite ist wohl das Zwekmäßigste.      ich will ja nichts erzwingen und erstürmen, Spont: hat diese Corresp: veranlaßt und nur wahrhafte öffentliche Angriffe — die ich in obigem ZeitungsArt: nicht finde, könnten mich zur Nothwehr zwingen. J: P: Schmidd: schikte mir ebenfalls die Zeitung, mit ähnlichen Anmerkungen.      die Seidler geht ja bald auf Urlaub, und Anfangs August die Schulz, da fällt ja von selbst die Aufführung auf d: 3t August weg.      ich werde also Anfangs July ganz ruhig nach dem Marienbade gehn, ohne es jedoch dem Herrn Ritter merken zu laßen, damit ich ihm keinen Stoff zu Ausflüchten und Hindernißen gebe. Nach seinen | wiederholten Freundschafts Versicherungen ist es nun an ihm sie zu beweisen.      Am innigsten dauert mich dabei mein lieber Graf Brühl, und die Kunst.      doch erwächst vielleicht beiden aus dieser Sache ein Vortheil.      von Brühl habe ich noch keine Antwort; natürlich; was soll er mir schreiben ehe ein Resultat vorhanden ist.      Euryanthe ist hier bei dem schönsten Wetter im aufgehobenen Abbonement, bei gedrükt vollem Hause mit immer steigenden Enthusiasmus gegeben worden.      Nun ist die Devrient auf Urlaub gereißt*, und dann gehe ich.      daß ist eine fatale Unterbrechung.      Nun noch zu Beantwortung einzelner Stellen deiner Briefe.      der Akten Auszug ist höchst interreßant.      hast du nicht auch Jordan die ganze Geschichte mitgetheilt?      Holtei hatte eine bittere Satyre gegen Sp., hier der AbendZ: mitgeschikt. ich habe aber den Abdruk verhindert um nicht mehr Oel ins Feuer zu gießen, besonders von hier aus.      Alle Redensarten die Sp: gegen die Beer geführt hat, scheinen mir nur so hingesagt zu sein, denn wäre es ihm Ernst damit, hätte er mir ja seinen Willen schreiben können.      daß er Z: B: Seidel die Direct: übertragen hat, ist schon sehr schlimm, und da hat er mich nicht gefragt — Morlachi wird um Ende Juny zurükerwartet*. die Anstellung eines andern Gehülfen aber, ist noch immer im weiten Felde.      Gott beßers.      An die Pintos denke ich so wenig jezt, als überhaupt an Musik.      habs recht satt, und werde wohl sobald keine größere Arbeit vornehmen.      die Berliner Historie übrigens, ärgert mich nicht im geringsten mehr, ich fühle dabei nur das Glück, einen Freund wie dich zu besitzen, dem ich in jeder Hinsicht mit blindem Vertrauen mich hingeben kann.      Gott vergelte dirs an den deinigen.

Frau und Kind sind gesund und munter, und grüßen herzlichst mit mir dich und deine liebe Victoire.
Alles Erdenkliche an die Freunde. Ewig mit innigster
Liebe und Treue
dein Weber.

Apparat

Zusammenfassung

berichtet über Spontinis Reaktion; schließt daraus, dass er (Weber) keinen Anlass habe, öffentlich in die Angelegenheit einzugreifen, da primär Graf Brühl betroffen sei; er wolle weitere Eskalationen eher verhindern; zur Situation in Dresden; Morlacchis Rückkehr in Sicht, jedoch keine weitere Entlastung durch eventuelle Neubesetzung

Incipit

Zwei liebe Briefe von dir habe ich zu beantworten

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
    Signatur: PB 37 (Nr. 53)

    Quellenbeschreibung

    • 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 374–375
    • Rudorff 1900, S. 159–162

Textkonstitution

  • „te“durchgestrichen

Einzelstellenerläuterung

  • „… die Devrient auf Urlaub gereißt“Wilhelmine Schröder-Devrient ging auf Gastspielreise u. a. nach München (Auftritte als Fidelio/Leonore am 27. Mai und Emmeline am 1. Juni; Gastrollen des Ehemanns am 20., 23. und 30. Mai) und Frankfurt/Main (Auftritte als Euryanthe am 17. und 30. Juni, Emmeline am 20. Juni, Donna Anna am 23. Juni sowie Agathe am 27. Juni).
  • „… wird um Ende Juny zurükerwartet“Er kehrte erst im September 1824 nach Dresden zurück (vgl. Webers Tagebucheintrag vom 10. September 1824).

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