Carl Maria von Weber an Gottfried Weber in Darmstadt
Dresden, Montag, 11. Oktober 1824

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Absolute Chronologie

Vorausgehend

Folgend


Korrespondenzstelle

Vorausgehend

Folgend

S. Wohlgebohren

dem Herrn Gottfried Weber

General Advocat am Cassations

Hof zu

Darmstadt.

Franco Fürstl: Taxische Posten.

frey Leipzig

Zwei liebe Briefe habe ich von dir mein theurer Bruder zu beantworten, wo besonders der von Schwalbach mir ungemeine Freude machte.

Ich weiß daß du hohe Foderungen an die Kunst stellst, daß du das Wahre willst, daß du Kraft hast es zu aufzufinden und zu erkennen, und daß du wenn auch theilweise in deiner Freundschaft bestochen, doch vielleicht aber darum von der andern Seite es desto schärfer meinst. — So weit hatte ich bereits vor 14 Tagen geschrieben, und bis jezt bin ich nicht dazu gekommen den Brief zu vollenden, und das komt nebst der unglaublichen Menge Zeit freßender Geschäfte die der Wechseh Wechsel unseres Intendanten veranlaßt, daher weil ich dir recht ausführlich und umständlich schreiben wollte. damit ists nun nichts, und ich will dir lieber raphsodisch zusamen krazzen was möglich ist, damit der Brief heute fort komt.

Zu deinem Aufsaz für das European review, kann ich nichts beitragen, da alles was ich sagen könnte, doch am Ende auf eine Art lächerlicher Selbstloberey hinauslaufen müßte.      Wohl uns allen dabei Betheiligten daß dieser Bericht in deine Hände gefallen ist. du bist Ehrlich, du verstehsts, was kann man beßeres wünschen.      Laß dich nur nicht auch etwa von der Schwachheit bestechen die uns deutschen anklebt, und Rochlitz und Wendt pp besonders auch beherrscht, nehmlich die Angst daß man glauben möge Sie wären partheyisch für deutsches Erzeugniß, und erkennten Fremdes nicht gehörig, wegen einer Art von steifem Pedantismuß die dem deutschen Gelehrten ankleben soll. um diesen Vorwurf zu erwidern bemühen sie sich deutsches Erzeugniß zu über- oder gleichgültig von oben herab zu be-sehen, indem Sie allen Scharfsinn verwenden fremde Leistung zu entschuldigen zu erheben  und zu preisen.

Notizen von mir sind die Neusten daß ich eine Oper für CoventGarden schreibe, und im März oder Aprill nach London gehe um sie da aufzuführen.      daß ich über Paris reise, und hoffe dir ein Rendezvous in Frankfurt zu geben, wo wir uns einen ganzen Tag zusammen einsperren und ausplaudern wollen.

Meine komische Oper die 3 Pintos wird also vor der Hand wohl wieder liegen bleiben.

Ich muß wieder darauf zurük kommen welche Freude du mir mit deinem Urtheil über Euryanthe gemacht hast. die Oper wird hier stets bei brechend vollem Hause und gleichem Enthusiasmus angehört. Heute ist sie wieder.      Aber sag mir um Gotteswillen wo hast du die erschreklich tugendhaften Gesinnungen her. da hast du Unrecht. was wäre denn der Cymbelin von Schaksp:, Romeo und Julie, und 100 andre Werke. |

Die Cäcilia gefällt mir sehr. daß ich nichts beisteure, geschieht theils aus Mangel an Zeit, theils weil ich glaube daß es dermalen nicht an mir ist als beurtheilender aufzutreten. und ich weiß, du billigst dieses Gefühl.      Kann ich aber irgend etwas schreiben so bekomst du es gewiß.      a prospos, warum sagt Er denn nicht daß der RäthselCanon Notenbeispiel  von mir ist*.

Dein musikal: Lexicon aber ist ein herrliches, würdiges Unternehmen, und ganz an der Zeit*.      dazu beizusteuern, habe ich den festen Willen.

Die neue Auflage deiner Theorie bekomme ich nun auch, durch Tausch gegen die alte*.

Ich war sehr herunter. habe 6 Wochen im Marienbade geseßen*, und fühle mich erleichtert, wenn gleich wieder mit dem Herbst der fatale Husten und Andrang des Blutes durch den Kopf wiederkehrt. — Geduld.

Tiek mahne ich oft. Er will auch. wann aber, wißen die Götter.

Vergangnen Freytag habe die große Freude gehabt Meyerbeer einen ganzen Tag bei mir zu haben.      da müßen dir auch die Ohren geklungen haben.      War ein recht seeliger Tag, in Errinnerung der herrlichen Mannheimer Zeit.      Er sieht gut aus, und hat sich fast gar nicht verändert. um unsre frohe Stimmung zu erhöhen, kam ein Brief von Gänsbacher der endlich die Gewißheit seiner Anstellung als DomkapellMster zu St. Stephan in Wien, und seine baldige Verheyrathung verkündete*.      Spät in der Nacht trennten wir uns erst. Meyer geht nach Triest um dort seinen Crociato in Szene zu setzen, und dann in Neapel zum Carneval eine neue Oper* zu schreiben. übers Jahr will er wieder nach Berlin kommen, und dann längere Zeit verweilen, vielleicht auch eine deutsche Oper zu schreiben.      Gott gebe es. ich habe ihm recht das Gewißen geschärft.

Nun ade.      Weib und Kind sind gesund. Gott gebe daßelbe bei dir.      Gegen Weynachten hoffe ich auf Familien Vermehrung*.
Ich schließe nach 1000 Stöhrungen.      Laß bald wieder was von dir hören.      Grüße herzlichst dein lieb Frauchen, und behalte lieb deinen treuen
Weber.

Profeßor Mathei modellirt eben meine Büste*. ist auch ’ne Notiz wenn man will.

Apparat

Zusammenfassung

gratuliert zu literarischer Tätigkeit Gottfried Webers (Rezensionen, Herausgabe der „Caecilia“, Musik Lexikon), möchte sich jedoch selbst lieber zurückhalten; Opern- und Reisepläne für London; Gesundheitliches; über Meyerbeers Besuch; Gänsbachers Stelle in Wien gesichert

Incipit

Zwei liebe Briefe habe ich von Dir mein theurer

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: New Haven (US), Yale University, Beinecke Rare Book and Manuscript Library (US-NHub), Frederick R. Koch Foundation

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (3 b. S. einschl. Adr.)
    • PSt: DRESDEN | 11. Oct. 24
    • am rechten oberen Rand der Rectoseite von der Hand Gottfried Webers: „1824 8br 11.“
    • Bleistiftklammerungen und Streichungen vermutlich von Gottfried Weber für die Druckfassung

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Anon.: Eine Reihenfolge von Briefen C.M.v.Webers in: Caecilia Bd. 7 (1828), Heft 25, S. 31–34
    • Bollert/Lemke 1972, S. 89–90

Textkonstitution

  • LeipzigAltenburg“ überschrieben mit „Leipzig
  • „zu“sic!
  • „Wechseh“durchgestrichen
  • wegen„aus“ durchgestrichen und ersetzt mit „wegen

Einzelstellenerläuterung

  • „… Canon Notenbeispiel  von mir ist“Weber bezieht sich hier auf den Abdruck des Kanons (ohne Autorenangabe) im Bd. 1 (1824) der von Gottfried Weber begründeten Zeitschrift Cäcilia in Heft 2 auf S. 132; zu dem Kanon vgl. ebd. auch Bd. 1, Heft 3, S. 280 (Fingerzeige zur Auflösung), Bd. 2 (1825), Heft 7, S. 209 (Auflösung) sowie Bd. 3 (1825), Heft 12, S.293–313 mit Notenbeilagen. Carl Maria von Weber hatte diesen Kanon am 19. März 1810 erstmals niedergeschrieben und nachfolgend mehrfach als Albumblatt-Eintrag benutzt: am 28. April 1816 für Johann Nepomuk Hummel, am 14. März 1820 für Franz Xaver Wolfgang Mozart, am 2. November 1823 für Ferdinand Piringer und noch am 26. April 1826 für Maria Szymanowska. Gottfried Weber nutzte denselben Kanon am 5. Januar 1816 für seinen Eintrag ins Stammbuch von Louis Spohr, was wiederum C. M. von Weber im November 1819 zu einem Nachtrag provozierte, der auf seine Autorschaft hinweist. Der Erstdruck des Kanons (als angebliches Werk Gottfrieds Webers) war bereits Ende 1821 bei Schott in der von Ferdinand Simon Gassner herausgegebenen Sammlung „Musikalischer Haus-Freund | neuer | KALENDER | für das Jahr | 1822.“ erschienen, weshalb Gottfried Weber 1824 (angesicht einer Publikation im selben Verlag) nicht den wahren Autor nennen konnte. Möglicherweise war ihm die Autorschaft C. M. von Webers auch nicht mehr bewusst.
  • „… und ganz an der Zeit“Vgl. Gottfried Webers Aufruf zur Beteiligung an einem Musiklexikon.
  • „… durch Tausch gegen die alte“Gottfried Webers Versuch einer geordneten Theorie der Tonsetzkunst zum Selbstunterricht war zunächst 1817 bis 1821 in drei Bänden bei Schott erschienen; 1824 folgte im selben Verlag eine 2. „durchaus umgearbeitete“ Auflage in vier Bänden. C. M. von Weber hatte das Werk bereits 1817 bestellt, vgl. seinen Brief an den Autor vom 2. Mai 1817.
  • „… 6 Wochen im Marienbade geseßen“Zu Webers Kuraufenthalt vom 11. Juli bis 11. August 1824 vgl. die Tagebuchnotizen.
  • „… und seine baldige Verheyrathung verkündete“Gänsbacher heiratete am 3. November 1824 Juliane Schand.
  • „… zum Carneval eine neue Oper“Die Komposition des von Barbaja für Neapel bestellten Melodramma tragico Ines de Castro (Libretto: Gaetano Rossi) unterblieb.
  • „… hoffe ich auf Familien Vermehrung“Caroline von Weber war mit Alexander von Weber schwanger.
  • „… Mathei modellirt eben meine Büste“Sitzungen für die Büste bzw. Kontakte zum Bildhauer sind im Tagebuch am 9., 12., 15., 20. und 29. Oktober sowie 2. November notiert. Die Übergabe der Büste erfolgte laut Tagebuch am 3. November 1824.

    XML

    Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
    so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.