Ludlamshöhle in Wien

Die Ludlamshöhle war eine kleine, aber einflussreiche Gesellschaft von Künstlern und Intellektuellen, die sich ab 1818 bis zu ihrer Auflösung infolge Denunziation bei der Polizei im April 1826 in heiterer Runde im Gasthaus von Leopold Haidvogl im (nicht mehr existierenden) Schlossergassel in Wien (Haus Nr. 599 nahe der Stephanskirche) zusammenfanden. Namensgeber der Gesellschaft war Oehlenschlägers dramatisches Märchen Ludlam’s Höhle, das im Dezember 1817 im Theater an der Wien aufgeführt worden war1. Die fröhliche Geselligkeit der Ludlamiten und ihre Bräuche beschrieb Castelli, der als einer der Wortführer des Vereins gelten kann, besonders ausführlich und anschaulich in seinen Erinnerungen2. Laut Atterbom gehörten dem Verein, dessen „eigentliche[r] Zweck […] Scherz, Abendessen und halb literärer, halb musikalischer Zeitvertreib“ war, „Reimer, Schauspieler, Schreiber, Kaufleute, Kapellmeister und Windbeutel“ an, „alles gutherzige, lustige und freundliche Lumpen“3. Anschütz nannte als Vereinsziele die „Zerstreuung durch Unterhaltung, Erheiterung durch geistreichen Scherz, Erleichterung der Verdauung durch Lachen“4.

Die fünf handschriftlich verfertigten satirischen und geistreichen Vereinsjournale (Trattnerhof-Zeitung; Fliegende Blätter für Magen und Herz, red. von Lembert; der Wächter und der Kellersitzer mit Beiträgen von Ignaz Jeitteles und Saphir sowie die Wische, red. von Castelli) sind leider verschollen und lediglich aus Castellis Verlautbarungen bekannt, erhalten blieb dagegen in Privatbesitz Ludlams Postbüchel für 1826 mit gereimten Neujahrswünschen für die Mitglieder und Ludlams-„Sprichwörtern“5. Zahlreiche Gesänge der Ludlamiten, deren Texte und Musik weitgehend von Vereinsmitgliedern stammten, enthält ein heute in Berlin befindlicher Sammelband6, darin finden sich etliche Kompositionen von Moscheles, dem als Komponist der wichtigsten Gesänge eine herausgehobene Bedeutung zukam, mehrere von Salieri sowie weitere von Carl Blum, Gyrowetz, Sellner, Lannoy, Johann Baptist Rupprecht, Josef Götz, Bierey, Henning, Assmayr, Panny und Benedict7.

Die ausschließlich männlichen Mitglieder der Gesellschaft (zuletzt knapp über 100) sind durch eine in Privatbesitz befindliche Liste aus dem Nachlass Castellis überliefert8, darunter nicht nur in Wien ansässige Personen, sondern auch zahlreiche Künstler (vor allem Schauspieler, Musiker, Literaten), die sich nur kurzzeitig (etwa im Rahmen von Gastspielen) in Wien aufhielten. Schon daraus wird klar, dass die Ludlamiten sich nie vollzählig versammelten – der engere Kreis der besonders aktiven Mitglieder, der sich aus dem Kreis der ständig in Wien ansässigen Personen rekrutierte, dürfte recht überschaubar gewesen sein.

Die Aufnahme in die Gesellschaft erfolgte (in parodistischer Anlehnung an Freimaurer-Riten) durch Ballotage, wobei der Anwärter zunächst als „Schatten“ galt, bevor er nach erfolgter Prüfung in den Rang eines „Körpers“ erhoben wurde. Mit der Ernennung zum Körper wurde der (bürgerliche) „Schatten“-Name abgelegt und dem neuen Mitglied ein scherzhafter Vereinsname zugewiesen, der auf den wirklichen Namen, besondere Eigenschaften, die Herkunft, den Beruf, Werke der jeweiligen Person o. ä. Bezug nahm. Zudem gab es einige herausgehobene „Ämter“ wie beispielsweise jenes des „Kalifen“ (Schwarz), des Ludlams-Malers (bezeichnet als „Knödel Hogarth“) und „Siegelbewahrers“ (Eugen von Stubenrauch) und des „Chorführers“ (Anschütz) sowie für Mitglieder, die aufgrund ihrer besonders derb-zotigen bzw. spöttischen Sottisen berüchtigt waren, „Ehrentitel“ wie jene des „Höhlenzoten“ (Castelli), „Zoteninfanten“ (Kettel) bzw. „Lapis infernalis“ (Saphir).

Die genannte Mitgliederliste legt nahe, dass die Aktivitäten der Ludlamshöhle zwischen 1820 und Sommer 1823 zum Erliegen kamen, da in dieser Zeit keine Neuaufnahmen verzeichnet wurden. Zudem wird in einem handschriftlichen Vereinsjournal einer anderen Wiener Gesellschaft aus dem Jahr 1823, die „Restauration der Ludlams Höhle“ erwähnt, die nun „glänzender, denn je erstanden“ sei, wodurch „die östreichische Litteratur […] sich in dieser Centralisirung ihrer Kunstjünger eines bedeutenden Inpulses [sic] zu Ihrer Fruchtbarkeit erfreuen“ könne9. Auch Weber hielt in seinem Tagebuch am 27. September 1823 die „Eröffnung der Ludlam“ fest und beschrieb zwei Tage später deren erste (Wieder-)Zusammenkunft im Brief an seine Frau. Die ersten beiden 1823 neu aufgenommenen Mitglieder waren Weber (Mitgliedsnummer 57, Vereinsname: Agathus der Zieltreffer, Edler von Samiel) und Holtei (Mitgliedsnummer 58), bald gefolgt u. a. von Saphir (Mitgliedsnummer 60), Benedict (Mitgliedsnummer 6310) und Seidl (Mitgliedsnummer 65).

Weber, der bei seinem Wien-Besuch 1822 keine Ludlams-Kontakte erwähnte, hielt in seinem Tagebuch zwischen 27. September und 1. November 1823 zahlreiche Treffen in diesem Kreise fest11. Seine angebliche anfängliche Reserviertheit gegenüber dem Treiben in der „Höhle“, wie sie Holtei sowohl in seiner Autobiographie12 als auch in einem Brief an Max Maria von Weber beschrieb, lässt sich anhand von Webers Verlautbarungen nicht bestätigen, wohl aber beispielsweise für Atterbom, der 1818/19 gemeinsam mit Rückert häufig in der Ludlamshöhle verkehrte, obwohl beide „keineswegs an dem dort herrschenden Tone Gefallen fanden, der sich mehr wie zu oft in witzlosen Huren-Geschichten und Zeitungsklatschereien Luft machte“13. Nach Holtei ließ sich Weber auf diese Späße zunächst nur ein, um die zahlreichen Rezensenten und Journalisten, die sich hier versammelten und innerhalb der lokalen Presse zu den Wortführern gehörten, im Vorfeld der Euryanthe-Uraufführung nicht zu verprellen oder gar gegen sich aufzubringen. Tatsächlich könnte die anfangs sehr positive Berichterstattung über die Euryanthe in Wien auch von Freunden Webers aus diesem Umfeld bestärkt worden sein.

Am Abend der Uraufführung dieser Oper wurde Weber zu Ehren ein Fest in der Ludlamshöhle veranstaltet, wie er sowohl im Tagebuch als auch im Brief an seine Frau erwähnte. Moscheles hielt in einem Brief fest, dass Weber bei dieser „Jubelfeier“ von der „Elite der Schöngeister Wiens […] auf Händen“ getragen wurde; Seidl überlieferte, dass man den Komponisten „mit Vivat-Geschrei und Ehrenbezeigungen aller Art empfangen“ habe und „keine Poeten-Feder […] an diesem Abende so stumpf [blieb], daß sie nicht den Ausdruck der Empfindungen in Verse zu bringen versucht hätte“14. Beispielsweise hatte der Kaufmann Ignaz Jeitteles schon vor der Premiere eine Opernkritik verfasst, die in der Aussage gipfelte, Weber fehle es „durchaus an Talent […], etwas Mittelmäßiges zu schreiben“15. Mehrere andere Preisgedichte auf den Komponisten sind überliefert von Seidl, Mailáth, Castelli, Holtei und Kuffner.

Eine vergleichbare Dichtung unter dem Titel Abschiedlied an C. M. v. Weber verfassten Seidl und Saphir gemeinsam wohl anlässlich von Webers laut Tagebuch letztem Besuch in der Ludlamshöhle am 1. November 1823.

Den in Privatbesitz erhaltenen Zodiacus Ludlamiticus oder auch Immerwährenden Ludlams Kalender (entstanden 1824) gestaltete Stubenrauch; in der Randleiste finden sich Bilder der Sternzeichen. Zum Schützen ist eine Karikatur Webers wiedergegeben, die den Komponisten mit angelegtem Gewehr (darunter sein Spruch „Wie Gott will!“) zeigt16.

Weiterführende Literatur

  • Horst Belke, Artikel Ludlamshöhle, in: Handbuch literarisch-kultureller Vereine, Gruppen und Bünde 1825–1933, hg. von Wulf Wülfing, Karin Bruns, Rolf Parr (Repertorien zur Deutschen Literaturgeschichte, Bd. 18), Stuttgart, Weimar 1998, S. 311–320;
  • Schubert-Enzyklopädie, hg. von Ernst Hilmar und Margret Jestremski, Tutzing 2004, Bd. 2, S. 459

Einzelnachweise

  1. 1Vgl. dazu auch Aufführungsbesprechung Dresden.
  2. 2Vgl. Ignaz Franz Castelli, Memoiren meines Lebens. Gefundenes und Empfundenes. Erlebtes und Erstrebtes, Wien 1861, Bd. 2, S. 174–232.
  3. 3Vgl. Aufzeichnungen des schwedischen Dichters P. D. A. Atterbom über berühmte deutsche Männer und Frauen nebst Reiseerinnerungen aus Deutschland und Italien aus den Jahren 1817–1819, übers. von Franz Maurer, Berlin 1867, S. 188.
  4. 4Vgl. Heinrich Anschütz. Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Nach eigenhändigen Aufzeichnungen und mündlichen Mittheilungen, Wien 1866, S. 323.
  5. 5Vgl. Lucia Porhansl, Auf Schuberts Spuren in der „Ludlamshöhle“, in: Schubert durch die Brille. Internationales Franz-Schubert-Institut. Mitteilungen, Nr. 7 (Juni 1991), S. 52 und 63.
  6. 6D-B, Mus. ms. 30325.
  7. 7Vgl. Weberiana 25 (2015); speziell S. 54–56; von Moscheles stammen u. a. die sogenannten „Familienchöre“, das Aufnahmslied, das Gesellschaftslied sowie das Abschiedslied der Ludlamiten.
  8. 8Vollständig wiedergegeben bei Porhansl (wie Anm. 5), S. 55–62. Unter den 106 Genannten findet sich (quasi als „Ehrenmitglied“) auch der längst verstorbene Mozart, der 1826 am „Auferstehungsfeste“ (Ostersamstag 25. März) zum Mitglied erklärt wurde.
  9. 9Vgl. Weberiana 25 (2015); speziell S. 53.
  10. 10Benedict hatte Weber als dessen Schüler nach Wien begleitet. Sein Brief an Castelli vom 7. Juli 1824 mit einer Einlage an die „Mutter Ludlam“ gibt einen unverfälschten Einblick in die teils derben Späße der Ludlamiten; vgl. A110041, speziell S. 187–190.
  11. 11Möglicherweise ist auch der Besuch in einem „Bierhause“ (Tagebuch) gemeinsam mit C. Schwarz am 23. September 1823, wo sich eine „Gesellschaft mehrerer Künstler und Dichter“ traf (Brief an Ehefrau Caroline von Weber vom 23./24. September 1823), mit dem Mitgliederstamm der Ludlamshöhle in Verbindung zu bringen, auch wenn Weber die „[Wieder-]Eröffnung der Ludlam“ ausdrücklich erst am 27. September im Tagebuch festhielt (vgl. auch den Bericht im Brief vom 28./29. September 1823).
  12. 12Vgl. Karl von Holtei, Vierzig Jahre, Bd. 4, Berlin 1844, S. 96f.
  13. 13Vgl. Atterbom (wie Anm. 3), S. 188. An anderer Stelle wunderte sich der Protestant Atterbom, dass der Kaufmann Johann Baptist Rupprecht als Mitglied der Ludlamshöhle „zu deren Vergnügen dann und wann Hurenlieder componirt“ habe, „obwohl er persönlich ein stiller, nüchterner, magerer und ordentlicher Ehemann“ gewesen sei; vgl. ebd. S. 217.
  14. 14Vgl. A112558, speziell S. 149.
  15. 15Vgl. A110082, speziell S. 491.
  16. 16Vgl. die Abbildung in A110314, speziell S. 41.

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