Wilhelm Müller: Zweiter Brief über die Klopstock-Säkularfeier in Quedlinburg (4. Juli 1824)
Klopstock’s Säcularfeier in Quedlinburg.
Zweiter Brief.
(Ersten Brief s. in Nr. 174.)
Quedlinburg den 4. Juli 1824.
Ich beginne meinen zweiten Brief wieder mit einem Lobe der trefflichen Männer des Vereins für Klopstock’s Säcularfeier und Denkmal. Sie haben nicht allein an eine würdige Feier dieser Tage gedacht, sondern auch für die Bequemlichkeit und den Beutel der Fremden, welche das Fest nach Quedlinburg zog, gesorgt. Die Gasthöfe sind von Seiten der Polizei veranlaßt oder genöthigt worden, für Logis, Essen und Trinken in diesen Tagen Taxen einzureichen und die Zahl der Zimmer und Betten anzugeben, welche sie zur Aufnahme von Gästen bereit hätten. Das darauf bezügliche Publicandum war an den Thoren der Stadt und an den Thüren der Gasthöfe angeheftet zu lesen; und auf diese Weise wurde der Ueberfüllung und Uebertheuerung vorgebeugt. Nicht minder war dem Gedränge auf alle Art gesteuert worden, und ich habe von keiner Beschädigung eines Menschen bei den Feierlichkeiten gehört. Der Aufgang und die Auffahrt zum Schlosse sind nichts desto weniger so beschaffen, daß eine sehr sorgsame und strenge Polizei dazu erfoderlich ist, um bei einem großen Volksandrange Unglücksfälle zu verhüten.
Die große Kirchenmusik des 2. Julius begann Vormittags um 9 Uhr und schloß um 12 Uhr. Die Einrichtung des Orchesters war dieselbe wie am vorigen Tage. Zuerst Klopstock’s Vaterunser, nach Naumann’s Composition. Solosänger: Sopran: Dem. Kayser, Alt: Mad. Müller, Tenor: Hr. Justizrath Bechmann‡, Baß: Hr. Happich. Was soll ich Ihnen von dem herrlichen Psalm sagen, den ich hier zum erstenmale hörte? Welche Alles mit sich fortreißende Himmelsfreude belebt das Ganze! Welche Würde und welche Lieblichkeit wechseln in den verschiedenen Bitten und ihren Paraphrasen ab! Wie ergreifend ist das sanfte Verhallen der Bitten der Chors mit seiner gewaltigen Begleitung in die ohne alle Instrumental-Einmischung austönenden Quartette der vier Solostimmen! Diese Quartetten wurden von | den Solostimmen meisterhaft ausgeführt, nicht minder das seelenvolle Terzett (Sopran, Alt, Tenor): Wohl ihnen, daß nicht sie u. s. w., und ich erinnere mich nicht, jemals drei schönere Stimmen in so reiner Harmonie zusammen gehört zu haben. Die Kayser entzückte außerdem vornämlich in dem holdseligen Pastorale: Er hebt mit dem Halme die Aehr’ empor, und der Tenor in der tief innigen Arie: Auf allen diesen Welten u. s. w. Ueber den silberklaren Sopran der Dem. Kayser und ihren einfach würdigen Vortrag wage ich Ihnen nichts zu sagen, da Sie vor einigen Jahren selbst den Genuß gehabt haben, diese Catalani des Kirchengesangs in Mozart’s Requiem und Schneider’s Oster-Cantate zu hören*. Daß mir ihre Stimme jetzt noch voller und sonorer klang, ist vielleicht eine Täuschung, denn wem sollte eine solche Stimme, auch wenn sie unverändert bleibt, nicht bei jedem male, wo er sie hört, schöner klingen?
Die Schneider’sche Oster-Cantate kennen Sie von Magdeburg her und stimmen mit mir in der Verehrung dieser Composition überein. Als Ganzes genommen, steht sie mir unter Schneider’s Werken als das vollendetste da, und das Chorstück: Machet die Thore weit u. s. w., so wie das Terzett (Sopran, Tenor, Baß): Herr, bleibe bei uns u. s. w. können den ersten Meisterstücken der deutschen Kirchenmusik an die Seite gestellt werden. Die beiden Frauenstimmen bei der Aufführung waren dieselben, welche Sie in Magdeburg gehört haben: Dem. Kayser und Mad. Müller. Die Tenorpartie trug Hr. Franke, Candidat und Hauslehrer in der Gegend von Magdeburg, gut vor; aber seine Stimme ist ein wenig belegt und vielleicht auch nicht stark genug für den auszufüllenden Raum. Des Hrn. Reichardt’s kräftige und sonore Baßstimme verdient unbedingtes Lob.
Der dritte Theil des Händel’schen Messias beendigte die Feier, und zwar hatte man, statt des Amen, das Halleluja des zweiten Theils, dies ewige Non plus ultra aller Kirchenmusik, an den Schluß gestellt. Die beiden Sopran-Arien: Ich weiß, daß mein Erlöser lebet u. s. w. und: Ist Gott für uns u. s. w. trug Dem. Funk vor; aber ihre Stimme, zur italienischen Bravour gewöhnt, hatte Mühe, den einfach strengen Styl dieser Gesangstücke zu halten, und es muß daher um so aufrichtiger anerkannt werden, daß sie die ihr so wenig zusagenden Arien übernommen hatte. Hr. Reichardt sang die prachtvolle Baßarie: Merkt auf u. s. w. mit Glück, und auch der seiner Natur nach bescheidene untergeordnete Alt fand in dem Recitativ: Dann wird erfüllt das Wort u. s. w. und in dem mit dem Tenor, Hr. Justizrath Bechmann‡, gemeinschaftlichen Duett: Der Tod ist verschlungen u. s. w. Gelegenheit, sich vortheilhaft geltend zu machen. […]
Die noch in Quedlinburg anwesenden Virtuosen vereinigten sich gestern zu einem Vormittags-Concert im Schauspielhause und gaben einem kleinen Kreise von Kunstfreunden – das Haus faßt nur gegen 500 Menschen – einen lieben Abschiedsgenuß. Da ließ auch Hermstädt seine herrliche Clarinette in einem Spohr’schen Concert erklingen und hielt uns schadlos für die getäuschte Hoffnung, ihn am ersten Musiktage zu hören. Die Brüder Müller wetteiferten mit Violine und Violoncello in einem überaus gemüthlichen Quartett von Bernhard Romberg, und Fürstenau schloß das Ganze mit Variationen seiner Composition auf das Thema: O cara memoria etc. Und gewiß, eine cara memoria wird auch sein | Spiel an diesem Tage uns bleiben. Eine Ouverture von Beethoven aus C Dur, eine seiner frühesten und einfachsten Compositionen, diente zur Einleitung des Concerts, und auch an einigen Gesangvorträgen fehlte es nicht. Dem. Funk trat mit der beliebten Rossini’schen Cavatine aus dem barbiere di Sevilla auf, und, wenn wir die Klopstocksfeier mit dem vorigen Tage als beendigt ansehen durften, so konnten wir uns zur Abwechselung einen solchen welschen Ohrenkitzel wol gefallen lassen. Vier Männerstimmen (Bechmann, Rose, Wachsmann, Happich) trugen endlich mit vielem Ausdrucke drei Lieder vor, ein Kreutzer’sches und zwei Weber’sche.
Und nun, mein verehrter Freund, noch zwei Worte, von einem Trompetenständchen, und einer Armenspeisung, beide vom 2. Julius. Das Ständchen von 20 Trompeten brachten die Musiker des 7. Cürssierregiments, welches in Quedlinburg steht, unserm Weber am Abend unter den Fenstern seiner Wohnung, und man sagt, er habe ihnen darauf zu ihrer großen Freude einen Marsch zu componiren versprochen. Die eigenen Armen der Stadt speiste an diesem Tage ein alter Verwandter des großen Sängers, welcher in Quedlinburg lebt, der Hr. Secretair Klopstock, wenn ich nicht irre, ein Bruderssohn des Gefeierten. Und so sehen Sie denn auch in diesen beiden contrastirenden Beweisen der Pietät und der Kunstliebe nur einzelne Erscheinungen der allgemeinen Theilnahme, welche die Feier dieser unschätzbaren Tage in Quedlinburg erregt hat. Ich verlasse diesen Abend die Stadt mit den lebhaftesten Gefühlen dankbarer Erinnerung und nicht ohne die Hoffnung, daß vielleicht das Fest der Aufstellung des Denkmals Veranlassung geben wird, die unvergeßliche Feier zu wiederholen.
6.
Editorial
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Frank Ziegler
- Korrektur
- Eveline Bartlitz
Tradition
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Text Source: Literarisches Conversations-Blatt für das Jahr 1824, Nr. 181 (7. August 1824), pp. 722–724