Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Dresden, Donnerstag, 13. November 1823

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Obwohl ich auch Heute nur unter 1000 Stöhrungen dir werde wenig schreiben können, so kann ich es doch vor mir selbst nicht mehr verantworten, mein herzlich und innigst geliebter Bruder, länger zu schweigen. Aber eben weil ich dir immer gerne recht ausführlich und ordentlich schreiben wollte, geschah es gar nicht. Laß Gnade vor Recht ergehen, und glaube alles, nur das nicht, daß je meine Liebe zu dir einen Augenblik schwächer in meiner Brust leben könnte. deine Theilnahme, dein Beyfall, steht mir so hoch, daß er mich wahrhaft erhebt und belebt vor tausend andern glänzend sich zeigenden Dingen.      Meiner Frau Brief hat sich mit deinem gekreuzt. Wie sie hier die saubere Nachricht im Freymüthigen las*, dachte sie sich gleich dein Entsezzen, und eilte dich zu beruhigen. den andern Tag erhielt sie deinen Brief, und d: 10t kam ich selbst.      ich habe in Wien 4 Vorstellungen der Euryanthe erlebt, wovon ich 3 dirigirte*. Mit jeder stieg die Theilnahme und der Beyfall des Publikums, das schon anfieng einzelne Stellen häufig heraus zu heben. der Jäger Chor wurde alle Abende 3 mal gesungen. immer einige Sänger nach ihren Musikstükken hervorgerufen. ich nach jedem Akte. ja sogar in der 4t Vorstellung wo Kreuzzer dirigirte, und ein ganz anderes Publikum war, /: Allerheiligen :/ wurde ich aus dem Logen Winkel wo ich zuhörte, herausgestöbert, und mußte nach jedem Akte erscheinen, überströmt vom Sturmgebrause der Bravos. so daß ich in diesen 4 Vorstellungen 14 mal herausgerufen wurde. den ersten Abend spielte die Oper bis gegen 10 Uhr, /: von 7 Uhr an :/ die andern, wo ich einiges in den Rezitativen gekürzt hatte, bis 9 3/4.      daß der Neid sein Haupt mächtig erhebt, kannst du denken. Er scheut die Lüge nicht. so hatte man nach Prag geschrieben, die Oper hätte bis 11 Uhr gedauert. u. s: w: alle Musikstükke die den ersten Abend nicht vollkommen anerkannt wurden, erhielten die folgenden Vorstellungen vollen Beyfall.      17 Gedichte der besten Köpfe Wiens*, bewiesen mir die wahre Theilnahme aller Guten. Was mir die besten Meister, wie Weigl, Gyrowetz, Seyfried, Abée Stadler, Mosel pp sagten, läßt sich nicht wiederholen, weil es mich so hoch stellt, daß ich noch roth werde wenn ich daran denke. |

Man erzählt mir hier die wunderlichsten Dinge von Spontini, der sich so bemüht haben soll auszusprengen daß Euryanthe total durchgefallen sey.      Auch einen Streit zwischen ihm und Brühl über die Aufführung derselben. schreibe mir doch was du gewißes darüber weißt.      Ich glaube daß diese Oper in Berlin erst ihre ganze Anerkennung finden wird, obwohl es nicht möglich ist den Enthusiasmus dafür höher zu treiben als in Wien geschehen ist.      Ich werde dir sogleich einen KlavierAuszug schikken, ich habe nur Einen fertig von Wien mitgenommen, und den brauchen wir hier, da die Oper binnen 3-4 Wochen noch heraus soll.      die Liebe mit der sie in Wien studirt wurde, die Anhänglichkeit und Eifer der Sänger, Chöre und Orchester, geht über alle Beschreibung.

Auch hier hatte man mir hier heute eine rührende Freude bereitet. wie ich zur Probe der Preziosa ins Theater gehe, empfängt mich Hellwig ganz feyerlich, und führt mich auf die Bühne, wo ein Tusch mich empfängt, und das gesammte Schauspiel, Sänger deutscher und italienischer Oper, Chöre und Kapelle in 2 Reihen aufgestellt sind. ich muß mich auf einen Stuhl sezzen, werde bekränzt, Blumen regnen. die ersten Verse des beiliegenden Gedichtes wurden nach dem Chor aus dem Titus gesungen. die lezten nach dem SchlußChor der Euryanthe.      dieser für Dresden ganz unerhörte Beweis von Liebe und Achtung hat mich sehr ergriffen*.

in Prag habe ich d: 8t die 50t Vorstellung des Freyschütz dirigirt, unter unglaublichem Jubel*.      da ich nun Weib und Kind gesund fand, so kann ich wohl mich vor tausenden beglükt fühlen.      das immerwährende Treiben meines Lebens ist aber so angreiffend, daß ich am Ende mehr erschöpft als erquikt bin.

Nun lebe wohl für heute, nächstens mehr und ruhiger, wenn alle Stöhrungen vorüber sind. die TheaterZeitung schikke mir gelegentlich zurük*.
Meine Frau grüßt mit mir Victoire herzlichst, und alle Freunde.      Ewig mit treuster Liebe deines Weber.

Editorial

Summary

berichtet erstmals selbst über seine Wien-Reise und den Erfolg der Oper; erkundigt sich, was an dem Gerücht von Spontinis Streit mit Brühl wegen Euryanthe wahr sei; glaubt, dass das Werk erst in Berlin die volle Anerkennung finden werde; will ihm einen Klavierauszug senden; über seinen Empfang in Dresden und die 50. Freischütz-Vorstellung in Prag

Incipit

Obwohl ich auch heute nur unter 1000

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
    Shelf mark: PB 37 (Nr. 45)

    Physical Description

    • 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)

    Corresponding sources

    • Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 184
    • Rudorff 1900, S. 129–133

Text Constitution

  • “mir”uncertain transcription
  • “hier”uncertain transcription

Commentary

  • “… saubere Nachricht im Freymüthigen las”In der Zeitung für Theater, Musik und bildende Künste, zur Unterhaltung gebildeter, unbefangener Leser. Eine Begleiterinn des Freimüthigen, Jg. 3, Nr. 44 (1. November 1823), S. 176 findet sich die Meldung: „Privatbriefen aus Wien zufolge, ist die Oper der Frau von Chezy: ‚Eurianthe‘, mit Musik von dem trefflichen Carl Maria von Weber, daselbst gänzlich durchgefallen, und man nannte diese romantische Oper spottweise Ennuyante.“ Redakteur Kuhn setzte in die Nr. 45 (8. November 1823), S. 180 eine Berichtigung.
  • “… erlebt, wovon ich 3 dirigirte”Vorstellungen unter Webers Leitung am 25., 27. und 29. Oktober, unter Kreutzers Leitung am 1. November 1823.
  • “… Gedichte der besten Köpfe Wiens”Dazu gehören u. a. zwei Gedichte von Seidl, zwei von Kuffner, eins von Langer, eins von Mailáth, eins von Castelli und eins von Jeitteles.
  • “… Achtung hat mich sehr ergriffen”Vgl. die Presseberichte.
  • “… Freyschütz dirigirt, unter unglaublichem Jubel”Vgl. die Presseberichte.
  • “… TheaterZeitung schikke mir gelegentlich zurük”Vermutlich die Nr. 131 der Wiener Theaterzeitung mit der Besprechung der Euryanthe-Uraufführung.

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