Bericht über G. J. Voglers Concert spirituel in Wien am 9. April 1813
Concert spirituel.
Aufgeführt auf der Orgel der evangelischen Kirche,
den 9. April, von Abt Vogler.
Herr Abt Vogler hat sich in der ganzen musikalischen Welt durch seine Compositionen den Ruf eines bedeutenden Tonsetzers zu erwerben, und zu gleicher Zeit den Rang eines großen Orgelspielers zu eigen zu machen gewußt. Denn es mag wohl keine bedeutende Stadt in Deutschland, Schweden &c. seyn, wo er nicht auf der Orgel sich hätte hören lassen. Sein Ruf vermehrte sich aber noch besonders dadurch, daß er in dem Systeme des Orgelbaus eine Revolution bewirkte, und die Register in der Orgel zu vereinfachen anfing*. Er beabsichtigte dabey nämlich nicht alleine eine größere Kraft und sogar Tonschwellung hervorzubringen, sondern auch viele unnöthige Zinnregister entbehrlich zu machen, und wir wünschten wohl einmahl durch unsre eigenen Sinne zu erfahren, welche Wirkung denn dadurch hervorgebracht werden könne.
Zu seinem Concerte hatte er die Orgel gewählt, welche als eine der neueren in ihrem Manuale und Pedale ziemlich gut und richtig organisirt ist, wenn sie gleich keine der stärksten genannt werden kann, indem ihr größtes Register sich nicht über 16 Fuß erstrecken wird. Eine zahlreiche Menge von Kennern und Nichtkennern hatte sich versammelt, um dieser selten gehörten Musik beyzuwohnen, und es war natürlich, daß besonders unter den letztern ein großer Theil mit ganz andern Erwartungen hineingegangen war, und ¦ sich nach Anhörung über die Schönheit des Ganzen keine eigentliche Rechenschaft zu geben wußte, während der andre den berühmten Orgelspieler in seiner Vortreflichkeit zu erkennen häufige Gelegenheit fand. Denn wer die schwere Aufgabe versteht, wie man durch die Verbindung der Orgel-Register allein die Wirkung eines Orchesters darstellen will, der wird leicht einsehen, daß ein Unkundiger den Klang dieser Instrumente in seinem ganzen Umfange freylich vermissen muß, wird aber deßhalb der Geschicklichkeit des Hrn. Abt Vogler seinen Beyfall nicht versagen können. Durch die Fertigkeit und Rundung seines Spiels bewies er seine Meisterschaft hinlänglich, so wie er auch durch den Gang seiner Ideen uns schöne und interessante Melodien und Harmonien wahrnehmen ließ. Am bedeutendsten, und im Grunde dem Orgelspiele angehörig, war Händels Halleluja und der Choral „Wie schön leuchtet der Morgenstern“, der nach einem ruhigen Vortrage sich in ein fugirtes Thema verwandelte. Ja wir können sagen, daß wir noch einige Fugen zu hören gewünscht und auf andere Stücke lieber Verzicht geleistet hätten, um die ernste Schönheit der contrapunktischen Musik noch mehr in dem Meister bewundern zu können. Doch wir wollen zugeben, daß für die Menge die Ankündigung des Glockenspiels, der Belagerung von Jericho, und des Umstürzens der Mauern mehr Anziehendes haben mag, wenn auch im Grunde die Ausführung hinter der sonderbaren Erwartung mächtig weit zurückbleibt*. Uns scheint, daß der wahre Meister solcher schreienden Mittel nicht bedürfe, sondern wir können es nnr‡ dem verzeihen, der als Virtuos mit dem | gewöhnlichen Fluche des Schicksals, nämlich mit dem Mangel belastet, sich durch solche Mittel die nöthigsten Bedürfnisse herzuzaubern gezwungen ist.
Von besonders schöner Wirkung war der Einzug der Seraphinen-Ritter, ein Tonstück das im leisesten Piano und stärksten Forte immer wechselte, und mit einer angenehmen Melodie einen reizenden Harmoniengang verband. Eben so geeignet für die Orgel und schön ausgeführt war auch das Flötenconcert, denn das Eintreten des Orchesters im Tutti und des Solo gewähren einen schönen Wechsel. Ungeachtet manche Leute lieber einen Flötenspieler hören wollen, bleibt es immer ein schöner Vorwurf für die ausübende Kunst des Orgelspielers.
Wir hoffen bald in einigen Concerten Werke des Herrn Abt Vogler zu hören, da sein Aufenthalt in Wien wahrscheinlich noch von einiger Dauer seyn wird.
Editorial
Summary
Rezension des Orgelkonzerts von Abt Vogler in der Lutherischen Stadtkirche in Wien am 9. April 1813
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Ziegler, Frank
Tradition
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Text Source: Thalia, Jg. 1813, Nr. 46 (17. April 1813), pp. 181–182
Commentary
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“… sonderbaren Erwartung mächtig weit zurückbleibt”Zur Programmfolge vgl. den Kommentar zum Tagebucheintrag vom 9. April 1813.
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“nnr”recte “nur”.