Mein werthester lieber Freund!
Zürnen Sie mir nicht auf's Neue, wenn ich mit der Beantwortung Ihrer beiden lieben
Briefe etwas spät nachhinke, ich schwöre es Ihnen
bei meinen Clarinett-Mundstück (: gewiß für einen Clarinettisten hohen Schwur :), ich konnte nicht früher
schreiben. Erstens waren die Dienste im Theater für uns arme Blasthiere geradezu
schamlos, zweitens hatte ich höchst wichtige Briefe, die auch schon längere Zeit mit
Ungeduld auf Erlösung warteten, nach Stuttgart, Genf, Cöln, Offenbach, Mainz u. Leipzig zu schreiben, und drittens leb ich jetzt seit 14
Tagen in einer solchen Papp- u.
Öhlgeruchs-Atmosspähre, daß ich nur mehr Tapezierer- u.
Anstreicher-Gedanken im Kopfe habe.
Ich will Ihnen dieses Räthsel dadurch lösen, daß ich Ihnen ganz einfach sage, daß
meine Wohnung neu tapeziert u. die Böden u. Thüren frisch angestrichen werden. Sehen
Sie! so lösen sich oft die verwikelsten Sachen auf die einfachste Art, und wir stehen
dem Ei des Columbus oft viel näher,
welches Letztere man wohl nicht von dem deutschen Zollparlament sagen wird können, denn dank den ultramontanen Tröpfen, wird wohl hier der alte deutsche Michel wieder seine
Rolle spielen, wenn seine Meister ihn nicht gehörig durchprügeln!Nach der Schaffung des Norddeutschen
Bundes (1866) wurden durch Verträge mit den süddeutschen Staaten
(8. Juli 1867)
ein Zollbundesrat und ein Zollparlament errichtet. Das Zollparlament bestand aus
Mitgliedern des Norddeutschen Reichstags und aus Abgeordneten, die in
Süddeutschland gewählt wurden. Die ersten Wahlen zum
Zollparlament ergaben 1868 in
Bayern und Württemberg den Sieg antipreußischer
partikularistischer Kräfte. Die Äußerung Baermanns ist
offensichtlich im Vorfeld der Wahlen zu sehen. – doch um Gotteswillen in
diesen Öhlgeruch keine Politick, und ich will versuchen
Ihre Fragen mit einigen Anstand zu beantworten, und das will bei Gott viel sagen;
lachen Sie nicht lieber Freund, setzen Sie sich
nur an meinen Schreibtisch u. probieren Sie Ihr Glück.
Also erster Brief!
In diesen Brief haben Sie weiter keinen Zweifel, als den, welches von den beiden Originalen des F-moll Clarinett-Concerts
das ältere sei, das meinige oder das in Ihren Händen sich befindende, die
herausradierten 4 Tackte bringen Sie in neue Zweifel und für Sie wird die Sache
schwieriger, nicht aber für mich. Ich bin vollständig der Überzeugung, daß mein Exemplar das ältere ist. Warum? das will ich Ihnen aus
meiner Erinnerung mittheilen, die trotz des fatalen Öhlgeruchs, doch noch Stich hält.
Erstens schrieb Weber diese Partitur bei uns in München im Jahre
1811, Zweitens,
weiß ich aus Mittheilungen meines Vaters, daß
Weber ein paar Jahre später
sich die Partitur von ihm zur Abschrift ausbat, drittens reiste Weber einige Jahre nach der Composition
dieses Concertes mit
Vater zusammen, wo er von meinem
Vater dieses Concert
öfters hörte, und auf dieser Reise wahrscheinlich die Änderung der 4 Tackte vornahm,
und 4t lies mein
Vater die beiden Concerte vom Weber in denselben
Jahre in welchen sie componiert waren auch einbinden,
welchen Einband sie noch habenVgl.
Jähns (Werke), S. 137f., Einbandangaben zu Autograph II,
u. in welchen Einband er dieselben auch an Weber zur Abschrift übersendete. Dieß sind größtentheils
Mittheilungen die ich oftmals aus Vater Mund
hörte, und deren ich mich selbst erinnern würde wenn auch der Papp u. Öhlgeruch noch stärker wäre.
Nun zum zweiten Brief –
Was die Musik zum NamenstageDreistimmige Burleske Drei Knäbchen lieblich
ausstaffiret
(JV 180) betrifft, so weiß ich nur bestimmt
daß dieselbe am 15t Juli 1815 aufgeführt wurde, und daß die Musik dazu
sich in meinen Händen befand, sich aber daraus ohne meine Erlaubniß entfernte wie so
manches was ich ungerne vermiße, so kamen Vater
u. ich bei einer Anwesenheit in Berlin um wenigstens 30 Briefe u. Originale, durch einen DiebstahlVgl. Brief Baermanns an Jähns vom 30./31. Oktober 1864..
Nun wünschen Sie noch mein Urtheil über das Quintett u. Duo-Concertant. Was soll
ich Ihnen da sagen! Ich liebe beide schwärmerisch, u. spiele beide mit gleicher Passion, da sie so viel herrlichen Stoff enthalten, und ich
das Glück habe durch die Tradition meines Vaters bis in das innerste Wesen beider Compositionen gedrungen zu sein. Das Quintett ist ein herrliches reich begabtes Clarinett-Stück wozu wir Clarinettisten uns nur von Herzen gratulieren
können ein solches Stück von Gottes-Gnaden zu besitzen, doch möchte ich es Solo-Quintett nennen, da auf die Clarinett-Stimme der
ganze Werth der Composition u. Execution gelegt ist, und selbst für brillante
Technik durch Passagen hinlänglich gesorgt ist.
Webers stärkste Seite
war wohl nicht die polyphonische Schreibart, und es kommt
mir oft vor als wenn
Weber, wenn er ja einmal einen fugierten Satz anfängt, oder ein Fugen-Thema anschlägt, wie z. B. im Freischütz: Er war
von je ein Bösewicht
Der Freischütz
(JV 277), Nr. 16 Finale, Cuno und fugierter
Choreinsatz (T. 114 ff.), oder in der so göttlichen Euryanthe-Ouvertur (: im 2t Theil derselben :) wie gesagt als wenn Weber dabei selbst nicht
recht heimlich zu Muthe wäre, und er sich in einer drückenden Luft befinde, aus der
er so bald als möglich mit höchsten Anstande sich heraus zu begeben wünsche. So
finden sich in diesen
Quintett einige Stellen im ersten u. letzten Allegro, während das Adagio /: Fantasia :/ so ganz ächt Weber vom Wirbel bis zur Zehe ist, dennoch ist
das Quintett ein Meisterstück, und wer
für Clarinette ein beßeres schreibt der trete vor und ich
will ihn Mikrokosmus nennen.
Das Duo-Concertant ist
ein Stück welches mir in's Herz gewachsen ist, und welchem ich in gewißer Beziehung
den Vorzug vor dem Quintett geben möchte. Ich finde daßelbe noch origineller und in der Erfindung reicher u. genialer, und wenn ich mich altbaierisch ausdrücken darf
noch weberischer als das
Quintett, trotz der großen Weber-Züge deßelben; auch fodert es
den polyphonischen Kritiker nicht so heraus, u. der erste
Satz obwohl vortrefflich gearbeitet begnügt sich im Ganzen mit höchst
gelungenen Nachahmungen, während das Quintett namentlich im letzten Satz eine fugirte Stelle enthält, (: vor den Eintritt der Des-dur Cantilene:), die wenigstens nicht die beabsichtigte
Wirkung macht, bei welcher ich offen gestanden immer froh bin wenn sie glücklich
überstanden ist, u. ich mit der nun ächt weberischen Des-dur
Cantilene wieder gut machen kann, was ihn dieß fremde Feld für
Hinderniße in den Weg warf. Webers innere Anlage
war zu reich mit Romantik, Melodie u. Fantasie ausgestattet, um sich in den tiefen
Labyrinthe des Contrapunktes wohl u. heimisch zu fühlen, u.
er hatte eben seine Mißion zu erfüllen, die eben die war
die Menschen zu begeistern.
So nun hab ich geschrieben was mir heute möglich war, denn ich habe zu alledem noch
höchst unanständige Leibschmerzen, u. wenn Ihnen daher etwas nicht gefällt u. behagt,
so schreiben Sie es meinen werthesten Bauch, u. meinen öhlgetränkten Kopf u. Gehirn
zu, ich kann es heute mit besten Willen nicht beßer, u. will heute noch recht viel
Visiten machen u. recht artig sein, nur daß ich in eine
beßere Luft komme, denn spazieren gehen kann ich auch
nicht da es heftig regnet.
Von meiner Tochter Marie hab ich aus Stuttgart sehr
günstige Nachrichten, sie sang Sonntag den 10
Mai daselbst
die Agathe mit
außerordentlichen Beifall, sonst ist bei uns alles beim Alten, u. so hoffe ich daß es auch
zwischen uns mein lieber werthester Freund bleiben soll, u. grüße Sie in diesem
Gefühle mit samt den lieben Ihrigen viel tausendmal
Ihr Ihnen
ganz ergebner
u. aufrichtiger Freund
Carl Baermann
senior
München
den 14t
Mai
1868
Kommen Sie dieses Jahr nicht nach München?