## Title: Sendschreiben an den Verfasser des Aufsatzes über den jetzigen Kunstzustand von Mannheim ## Author: Alexander von Dusch ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030556 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Sendschreiben an den Verfasser des Aufsatzes über den jetzigen Kunstzustand von Mannheim, welcher in den No. 42. 45. 46. 47. des Morgenblatts erschienen ist. – – – Ihrem Urtheile zufolge sollte man glauben, Mannheim sey der Auswurf und die Rüstkammer der Kunst geworden, und sey der langweiligste unerträglichste Ort von der Welt; Ihrem Urtheile nach, hat das hiesige Publikum keinen Sinn mehr für das Schöne und Treffliche, und das ist Ihnen „unbegreiflich.“ – Unbegreiflich ist es mir, wie Sie sich mit einer solchen Dreistigkeit als Richter über den Sinn einer ganzen Stadt aufwerfen können, und Ihr auffallendes Urtheil nicht einmal mit irgend etwas zu unterstützen wissen; denn das häufige Herausrufen und Beklatschen im Schauspielhause, worauf Sie so viel Gewicht legen, herrscht überall auf allen Bühnen gleich stark, und wohl noch stärker als hier, und ist schon längst allenthalben von dem bessern Theile des Publikums an die Bewohner des obersten Stockwerks als Beifallsäußerung abgetreten worden, welche die Gewalt haben und den Lärm. Nur ein allgemein von allen Seiten des vollen Hauses zusammenrauschendes Applaudiren kann man als Urtheil und Stimme des Publikums ansehen, und dies ist gewiß selten genug hier der Fall. Der Kenner, der fühlende Zuschauer schweigt meistens bei Lob und Tadel, und ist wohl auch noch, wenn er Etwas äußert, mehr zum Lobe geneigt, indem er auf die Umstände Rücksicht nimmt und das Geleistete nur nach der vorhandnen Kraft beurtheilt, ohne deswegen das Beßre nicht zu kennen; und glauben Sie denn, mein Herr, daß Niemand hier das Schauspielhaus besucht, dem es auch gegeben ist, Gutes und Schlechtes zu unterscheiden, und mußten Sie erst aus der Fremde, wenn gleich nicht weit her, kommen, um zu sagen was an Mannheimern sey? Sollte Ihnen nicht eingefallen seyn, daß eine Stadt doch wohl nicht ganz ohne Kunstsinn seyn müsse, welche nach einer frühe verlornen Residenz, nach so vielfältig erlittnen Kriegsschlägen und Beraubungen, ohne Handel, ohne wiederaufhelfende Gewerbe dennoch eine Bühne aufzuweisen hat, die, wenn gleich sehr gesunken von ihrem ehemaligen Gipfel, mit den meisten Theatern Deutschlands noch mit Erfolg rivalisiren könnte, da sie in jeder andern Stadt längst zu Grunde gegangen seyn würde; daß ein Baum noch nicht völlig abgedorret seyn könne, welcher noch täglich neue Blüthen treibt, und dessen Früchte man noch immer mit Begierde in ganz Deutschland aufnimmt. Ich rede von der neuesten Zeit, nicht von jener, wo überhaupt noch die meisten Bühnen und Orchester in Deutschland, ja sogar manche Orchester in Frankreich und England mit einzelnen Trümmern von dem kolossalen Kunst-Ensemble Mannheims prangten; wollen Sie Beispiele, so nenne ich Ihnen Luise Beck, Tochter des ehemaligen berühmten Schauspielers Beck; die Journale erschöpfen sich in Lobeserhebungen über sie, und ganz Berlin ist entzückt, ich verweise Sie auf Madame Guhr, Tochter des noch nicht lange verstorbnen hiesigen Tenoristen Epp, erste Sängerin in Nürnberg mit einem bedeutenden Rufe, auf die beiden Fränzel, die beiden Pixis, auf den Conzertmeister Tollmann in Basel, den jungen Nikola, der jetzt in Rußland ist, auf Madame Schönberger, auf Madame Gervais, dermalen beim Carlsruher Hoftheater, welche mit vorzüglichem Gesange ein treffliches Spiel verbindet, und weil ich denn doch einmal im Hernennen bin, so verweise ich sie endlich, was den Zustand des jetzigen Theaters in Mannheim betrifft, auf Mdselle Luise Frank, Mitglied unsrer Bühne, welche auf ihrer letzten Kunstreise durch Deutschland überall den rauschendsten Beifall erhielt, und die in Berlin bei jeder Vorstellung herausgerufen wurde, ohne die Menge kleiner auf sie verfertigter Gedichte zu erwähnen; ich führe endlich Hrn. Kaibel an, der früher auf der Breslauer Bühne war, jetzt aber Mitglied des hiesigen Theaters ist, und mit vielem Beifall im Auslande aufgenommen wurde, wie auch Hrn. Hoffmann, der auf seinen Kunstreisen viel Glück machte, welches alles die Journale zur Genüge dargethan haben; unsrer Madame Nikola gar nicht zu erwähnen, welcher Sie selbst nicht den Rang einer der ersten Künstlerinnen im komischen Fache streitig machen konnten. – Rechnen sie noch dazu Hrn. Eßlair und Hrn. Meyer, deren Rollen wohl im Durchschnitte selten irgendwo besser besetzt gefunden werden, und Sie werden daraus schon sehen, mein Herr, daß es denn doch nicht ganz so schlecht mit unserm Kunstsinne und mit unsrer Bühne im Vergleiche mit andern steht, da unsre Künstler gewöhnlich im Auslande einen Beifall ernten und mit nach Hause bringen, den ihnen das hiesige Publikum vielleicht nicht einmal so unbedingt zugestehen möchte. – Von Ungerechtigkeiten, welche Sie im Einzelnen in ihrer Kritik begehen, wäre viel zu sagen, dahin gehört z. B. ihr Urtheil über Mad. Ritter, welche, wenn gleich jetzt ohne Kraft, doch ehemals selbst in der glänzendsten Periode unsrer Bühne unter die guten Schauspielerinnen gezählt wurde, und welche ich noch vor einigen Jahren als Jungfrau von Orleans, der Mad. Gelhar weit vorzuziehen kein Bedenken würde getragen haben. Dahin gehört ihr absprechendes Urtheil über Hrn. Singer, welcher, einige wenigen der berühmtesten Bassisten abgerechnet, gewiß unter die besten gehört, und an Reinheit der Intonation und Festigkeit in der Musik Keinem nachsteht, den uns aber leider jetzt, gerade dieser Vorzüge wegen, das Darmstädter Theater entführt ec. – Was überhaupt die Musik anbetrift, so ist darüber Ihr Urtheil noch viel oberflächlicher und man sollte beinahe ihre Kenntnisse davon etwas in Zweifel ziehen; wenn Sie sich ja einmal einlassen zu bestimmen, was Madame Schönberger ihrer Stimme gemäß vorzugsweise singen sollte, so kommt heraus, daß sie sich auf Musik beschränken solle, welche für einen Bassisten oder Bariton gesetzt ist; eine zum Theil falsch extrahirte Stelle einer hier über ihren Gesang als Titus erschienenen Recension. Wenn Sie dem hiesigen Museum eine unglückliche Auswahl seiner Musikstücke vorwerfen, so geben Sie nicht an, was es denn ungefähr hätte wählen sollen; etwa ihrem Geschmacke nach leichte Guitarre-Musik und dergleichen?! Doch genug, denn hierüber will ich mich gar nicht mit Ihnen einlassen. Alexander von Dusch.