## Title: Friedrich Kind an Friedrich Rochlitz in Leipzig. Dresden, Dienstag, 23. Oktober 1821 ## Author: Kind, Friedrich ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A041694 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Herrn Hofrath Friedrich Rochlitz Wohlgebℓ in Leipzig. frei. Dresden, 23. Oct. 1821. Geliebter Freund, Ich muß Ihnen allerdings als ein Schuldiger, als ein sehr Schuldiger erscheinen. Ich habe Ihnen noch nicht einmal für das schöne Geschenk Ihrer gesammelten Schriften gedankt, ich habe noch keine Anzeige davon geschrieben, ich finde 3. Briefe von Ihnen, die zu beantworten sind, kurz, ich gehöre von allen Seiten betrachtet zu den verneinenden Geistern, die ich gar nicht liebe. Dennoch bin ich unschuldig; meine Rechtfertigung liegt in der Geschichte meines Lebens und Treibens in der letzten Periode meines Lebens. Als ich Ihr liebes Geschenk erhielt, nämlich im Mai, nahe schon einer lang besprochenen Badereise, war ich körperlich unwohl und geistig sehr abgespannt. Mein gewöhnlicher Arzt nahm es sehr leicht, ein älterer weit ernster. Letzterer wollte mich ordentlich a la Medea völlig ausscheuern und verjüngen, ließ mich Marienbrunnen in Maße trinken, untersagte mir alle Arbeit und befahl mir Zerstreuung und Ergötzung, zu welchen letztern ich eben so wenig inneren Trieb empfand, als zur erstern. Deß ungeachtet warf ich mich sogleich über ihre Bücher, las sie mit großem Vergnügen – insofern ich dessen fähig war – wollte Etwas darüber sagen, fühlte aber bald, daß ich vor der Hand dazu zu stumpf sey. Überhaupt muß ich Ihnen gestehen, daß ich mir es mit Recensionen nicht leicht machen kann – (und zwar doppelt bei einem Freunde!) – daß mir eine Recension weit mehr Mühe und Zeit wegnimmt, als eine Erzählung oder ein kleines Theaterstück. Arbeiten letzter Art sind mir Vergnügen, die erster Art machen mir Sorge; die gewöhnlichen Recensionen sind ja wahrlich kaum der Tinte werth, die dabei versprützt wird! – Endlich, am Johannistage, nach mit Unlust abgethanen Geschäftsbriefen und Redactionen, gings mit Sack und | Pack nach Teplitz. In den ersten Tagen wollte mir das Leben dort wenig zusagen und hätte ich mich nicht geschämt, ich wär wieder abgereiset. Aber ich that mir Gewalt, trieb den Müßiggang wie ein Geschäft – um nicht Höllenstrafe zu sagen – badete alle Tag’ und gieng, manchmal herzlich müd, spazieren. Es fand sich. Die herrlichen Bäume und Berge wurden für mich grün und romantisch; die böhmische Landesweise, mein Häuschen (durch Zufall die grüne Harfe genannt) meine Wirthsleute, ihre Kinder, die schachernden Juden, die Wallfahrten u. s. w. fiengen mir an zu gefallen; in meiner Phantasie häuften sich mancherlei Stoffe an, die ich mit ein paar Worten notirte. Genug, kann ich auch nicht sagen, daß mir die Najade Wunder gethan habe, so war ich doch wieder rasch und heiter (und freute mich auf die Arbeit, die ich nun zu Hause wieder vornehmen wollte.[)] Ich hatte Winklern für die Penelope einen Aufsatz über Doris Canitz zugesagt; der mußte vor allen Dingen fertig werden. Noch war ich damit beschäftigt, als die mitgebrachten Stoffe in Gährung kamen, u. so habe ich denn fast hinter einander (da ich bei Lust zu Original-Aufsätzen das andere beseitige) 3. Erz:[ählungen] (eine davon versificirt) und 7. oder 8. größere und kleinere Gedichte erzeugt, welche Sie alle mit der Zeit zu Gesicht bekommen werden. An die Recension (die Böttiger, deßen πολυπραγμοσύνην [= Vielgeschäftigkeit] Sie wohl kennen, wenn auch nicht nach ihrem ganzen Umfang – einigemal urgirte) dachte ich freilich auch, aber einmal hoffte ich gewiß, Sie zu sprechen und mich mit Ihnen darüber auszureden, andern Theils muß ich nun Alles noch einmal durchlesen, wozu es denn bei so manchen unaufschieblichen Arbeiten, besonders da ich | Abends nicht gern lese, leider noch nicht gekommen ist. Sie wißen ja selbst, wie es mit solchen Dingen geht; man kann nicht immer, wie man möchte! So bald es mir möglich ist, soll es gewiß geschehen – sey es für die Muse, in der freilich noch wenig Kritisches ist, aber vielleicht – zu Anfange [des] Jahres – für die Abendzeitung. – Nach diesem Sachverlauf mögen Sie mich lossprechen oder verdammen! Nun zu dem, was etwa zu beantworten ist! Ihr Herr Verleger scheint mir jetzt ein noch ärgerer —— Grübelkopf als er immer war. Auch mir hat er geschrieben und sich beschwert gefunden, daß ich Einiges, was vor 15. und 20. [Jahren] bei ihm erschienen und – vergeßen liegt, in eine oder die andere meiner Sammlungen, obwohl vermehrt und verbeßert, wieder aufgenommen. Ich habe ihm geschrieben, daß ich wiße, quid juris. Warum man in Wien Ihre Schriften bedenklich gefunden, kann ich warlich nicht finden. Doch es mag dort eine wunderbare Wirthschaft seyn. In dem Freischützen hat der geistliche Censor (ein Mönch, wie ich höre) den Samiel ganz benebst mancher andern kleinen Teufelei gestrichen – und doch geben sie Faust und Don Juan – das Ganze ist 300. Jahre früher hinausgelegt und statt der Freikugeln werden – Bolzen gegoßen! Zu den 300. Jahren früher mögen meine Lieder und all die Sprache (wobei ich die Zeit nach dem 30jährigen Kriege angenommen) allerliebst stimmen. Weber war außer sich, mußte aber zuletzt mit mir lachen; denn mir kams durchaus nur lächerlich, nicht ärgerlich vor. Zu Ostern erscheint die Oper wahrscheinl. im Druck. | Den Alcindor haben Sie nun wohl ganz durchblättert? Sie haben den 1sten Theil meiner Theaterschriften doch wohl erhalten? Im Ganzen habe ich nicht Lust, mehr Opern zu dichten. Einen Theil meiner Gründe finden Sie S. 73. im Augustheft der Muse. – In Berlin macht der Freischütz noch immer Lärm und ist wieder dringend verlangt. Man singt, so haben Berliner erzählt, Lieder daraus auf den Straßen und 3. bis 4. Marionettentheater haben sich des Stücks bemächtigt. Wenn, wie ich glaube, der Caspar zu einem Casperle umgeschaffen ist, so muß das Ruchlose fast schauderhaft seyn. Sehr geschmerzt hat es mich, daß Ihre Badereise so wenig Ihre Hoffnungen erfüllt hat. Glauben Sie gewiß, daß ich Alles mit Ihnen fühle, aber darüber könnte man nur sprechen, nicht schreiben. Webers „Wehrmuthstropfen“ war der – Elephanten Anfall auf Spontini. Übrigens hat Weber hiebei blos den äußern Verhältnißen etwas hingegeben. Freunde sind Beide nicht! Es müßte auch drollig zugehen, wenn. Ihre Auswahl – nun! endlich kommts zum Dank! – hat mir ungemein zugesagt; die Sprache ist vollendet, die feine Seelenmalerei meisterhaft – vieles unendlich anmuthig, anziehend, erhebend, rührend. Das ist es, was ich jetzt aus der Erinnerung sagen kann. Goethe’s Beifall muß Sie allerdings sehr erfreut haben; ich mag ihn jetzt lieber sehen als Richter, denn als Dichter. In letztrer Hinsicht dünkt er mir in seinen neuesten Sammlungen ziemlich schwächlich – was auch davon hie und da präconisirt werde! Selbst die ewige Lampe der Wun | dergläubigen flackert zuletzt – und erlischt! Auch für die Mittheilungen meinen besten Dank! Es ist viel Schönes darin – ob ich gleich – verzeihen Sie meiner Aufrichtigkeit – den vorjährigen Band vorziehen würde. Der H. Herzog ist doch ein verteufelter Schwachmaticus; Raupachs Beitrag hat viel Poetisches, verspricht aber mehr, als er gewährt; Bührlen hat mir Niemals zugesagt. Sie Selbst haben dießmal doch warlich auch gar zu wenig gegeben. Das will solchem Herausgeber nicht ziemen, ist auch nicht gut für das Buch. Meinen Almanach haben Sie hoffentlich bereits erhalten. Nächstens wird Sept. und Oct. der Muse – und aber nächstens das 2te Bdch. der kl. Erz. und Rom. folgen. Die Muse wird gelobt, aber noch nicht sattsam gekauft. Wir werden ja sehen! für 1822. wird sie fortgesetzt. Manche Leute mögen auch gar nichts Ernstes und die Stubengelehrten nennen wieder das Andere brav – und kaufen nicht! Was Sie mir von der nothwendigen Vorsicht unserer (als Collegen im Schriftthume) – noch dazu mit z. – – meldeten, hat mich einigermaßen beunruhigt. Mir ist zur Zeit noch nicht das mindeste Bedenkliche vorgekommen. Ich finde für nächsten Freitag in L. Vandyk angesetzt. Melden Sie mir doch, ob man es nach der 2ten Auflage giebt, wie ich wünsche. Noch eins! Aber freilich darf ich um baldige Antwort nicht einmal bitten, die doch nöthig wär. Ich habe einen | Aufsatz von St. Schütze über Apels Weltgericht für die Muse erhalten, der bald mitgetheilt werden muß. Ich kann mich aber – aus mehren Gründen – durchaus nicht überzeugen, daß dieses Gedicht – wenigstens so, wie es ist – wirklich von Apel herrührt. Eine Skizze dazu kann er vielleicht hinterlaßen haben, aber so hat ers nicht für vollendet gehalten. Ich habe Lust, die Authenticität ein wenig in Untersuchung zu rufen. Was denken Sie hierüber? oder wißen Sie vielleicht etwas von der Sache? Und nun Punctum, und die besten Wünsche für Ihr körperliches und Geistes-Wohl! Die Meinigen empfehlen sich. Wir feierten an letzter Mittwoch – den merkwürdigen 17. Oct! – meiner Frau Geburtstag. Wir – haben schon eine feine Reihe zusammen gefeiert; ich dichtete ihr dießmal einige Verse, die, dem Innern entquollen, auch so wirkten – näml. in unserem Liederkreise. Es überraschte mich wunderbar, Alle so ergriffen zu sehen, da mir das Gedicht zwar ganz hübsch, doch nicht eben ausgezeichnet vorgekommen war. Vale, terque quaterque vale!Kind.