Berlin 7
Nov. xii
Eben da ich zu Hause komme, um Dir mein bester Weber einige Worte (aus Gründen und in
Angelegenheiten, die nachher berührt werden sollen) zu schreiben, finde ich Deinen
Brief aus Weimar vom 1sten und sehe das allerdings als eine Aufmunterung mehr zum
Schreiben an. Nur wollte ich allerdings wieder, Du wärst mir etwas vergnügter und
lebenslustiger, denn es kann mich ärgern, daß einer der der Kunst so im Schooße
sitzt, wie Du, sich noch von den prosaischen Lebensplagen kann irre machen lassen.
Traurige Erfahrungen? Je nun die sind vorüber und haben uns weise gemacht. Mitten im
höchsten Glauben? Da liegt eigentlich der Fehler, warum glaubt man, wenn man ein so
kluger Mensch ist, der wissen müßte, daß man wohl etwas glauben soll, aber nicht an etwas glauben darf. Will man glücklich sein, so muß man
das Leben mit allem was drin ist, wie Naturerscheinungen betrachten, die vorübergehen
und an deren keiner man seinen Glauben, sein Glück, seine Existenz hängen darf, wenn
man auf den Füßen bleiben will, wie nahe man sich auch mit ihnen verwandt fühle.
Selbstständigkeit ist nicht Egoismus. Man kann lieben, glauben, vertrauen und
Vertrauen und Liebe erwerben und doch frei bleiben, vorAllem wenn man einen solchen
innersten Rückhalt hat, wie die Kunst oder die Wissenschaft und NB wenn nicht das physische Bedürfniß oder Sorgen der Leibesnahrung und
Nothdurft drängen, von denen wir beiden ja Gottlob frei sind, die wir wenig bedürfen.
Da habe ich aber jetzt so einen braven rechtlichen Menschen hier, den Seckendorf (der über die
Kunst, besonders über die darstellende viel und tief gedacht und geschrieben hat) der
ist hieher gekommen, um sich und seine Ansichten mitzutheilen, glühend für seinen
Gegenstand und eingetauchtunlesbarer
gestrichener Wortbeginn in die Berliner Welt wie in kaltes Wasser, misverstanden wo man ihn hört;
wegen seines Aeußern (das doch nicht übel ist) bekrittelt, wo man ihn sieht, kurz
zerdrückt und zerknickt bis ins Innerste. Und der hat daheim eine Frau und sieben Kinder und kein Brod für sie und keine Austellungsicht zu einer
AnstellungGustav Anton von
Seckendorff war verheiratet mit Maria Elisabeth, geb. Lechler; aus der Ehe gingen
zehn Söhne (darunter William, Robert, Edwin und Harri) und vier Töchter hervor. Er
war ab dem Sommersemester 1812 als Privatdozent in Göttingen tätig; vgl. Johannes Tütken, Privatdozenten im Schatten der Georgia Augusta. Zur älteren Privatdozentur
(1734 bis 1831), Teil II, Göttingen 2005, S. 906–915. Im Winter 1812/13
hielt er in Berlin Vorlesungen über
Deklamation und Mimik mit praktischen Vorführungen und Rezitationen; vgl. Therese
Huber, Briefe, hg. von Magdalene Heuser und Petra Wulbusch,
Bd. 5, Tübingen 2005, S. 717. und hier Niemand als mich und hält doch den
Kopf immer über dem Wasser und sinkt nicht und wenn Gott will, bringen wirs mit gutem
Muth dahin, daß die Berliner ihn erst hören, dann sich an ihm freuen, ihn ferner
bewundern wie er's verdient und endlich vielleicht in den Himmel erheben wie er's
nicht verdient und wie sie's des Gegensatzes willen, schon mit so vielen gemacht
haben.
Drum mein Freund sei nicht verdrießlich und grämlich und bedenke, daß Du der Welt
einen heitern Sinn zu bewahren hast, der sich noch in manchem Werke offenbaren muß,
wenn Deine Kunst und Dein Wissen nicht umsonst gebildet und gesammelt sein sollen. Du
stehst nicht allein, das leugne ich Dir und wenn Du nur willst, kannst du tausend
Herzen dein eigen machen und unter den tausend, werden doch an jedem Ort wohl zwei zu
finden sein, die es werth sind, daß Du Dich ihnen wieder hingiebst und die Freude am
Leben und am Schönen mit ihnen theilst. — Ich will es gleich versuchen, ob ich eine
solche Verbindung zu Stande bringen kann und lege Dir deshalb einen Brief ein an
meine zarte und verständige Freundin Sylvie von Ziegesar, die eben in diesen Tagen nach Gotha kommen wird und der ich einen rechten Dienst zu
thun hoffe, indem ich Dich zu ihr treibe. Um Euer Verhältniß gleich recht leicht zu
machen lege ich in ihren Brief wieder ein Paar scherzhafte
Zeilen an Dich ein, die sie lesen mag, um unser beider Verhältniß besser beurtheilen
zu können. — Sowie sie vor 12–13 Jahren war, als ich mich ein klein wenig in sie
verliebt hatte, ist sie nun wohl nicht mehr, aber sehr liebenswürdig,
klug-verständig, gefühlvoll ist sie gewiß noch und vielleicht mehr als damals. Vor
Allem wenn Du in der Gegend bleiben oder nach Jena kommen solltest Text bricht hier
ab
Hinrich Lichtenstein