## Title: Carl Maria von Weber an Hans Georg Nägeli in Zürich. Mannheim, Montag, 21. Mai 1810 ## Author: Weber, Carl Maria von ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A040289 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ S: Wohlgebohren dem Herrn Nägelui. Berühmten MusikVerleger in Zürch. Da meine Verhältniße sich verändert, und mich wieder ganz der Kunst geweiht haben, so ergreiffe ich den ersten Augenblik Zeit der sich mir darbietet, um die durch H: von Wangenheim vorbereitete Verbindung anzuknüpfen, und zugleich für das gütige Urtheil welches Sie über meine Comp: fällten – zu danken. Doch kann ich nicht umhin einen Punkt zu berühren, der mir zu wichtig ist als daß ich ihn mit Stillschweigen übergehen könnte. Sie scheinen aus meinem Quartett und der Caprice in mir einen Nachahmer Beethovens zu erblikken, und so schmeichelhaft dieß auch Manchem seyn könnte, ist mir gar nicht angenehm: Erstens haße ich alles was den Stempel der Nachahmung trägt, und zweitens bin ich zu sehr in meinen Ansichten von Beethov. verschieden, als daß ich je mit ihm zu sammen zu treffen glauben könnte. die feurige, ja beinahe unglaubliche Erfindungs Gabe die ihn beseelt, ist von einer solchen Verwirrung in Anordnung seiner Ideen begleitet, daß nur seine früheren Composit: mich ansprechen, die lezteren hingegen, mir nur ein verworrenes Chaos ein unverständliches Ringen nach Neuheit sind, aus denen einzelne Himmlische Genie Blize hervorleuchten, die zeigen wie groß er sein könnte, wenn er seine üppige Phantasie zügeln wollte. Da ich mich nun natürlich nicht des großen Genius Beethov: erfreuen kann, so glaube ich wenigstens in Logischer und Rednerischer Hinsicht meine Musik vertheidigen zu können, und mit jedem einzelnen Stük einen bestimmten Eindruk zu bewirken. Denn nur das scheint mir der Zwek einer Kunst Ausführung zu seyn, aus einem einzelnen Gedanken das Ganze zu spinnen, daß in der grösten Mannigfaltigkeit immer die Einheit, durch das erste Prinzip oder Thema erzeugt – hervorleuchte. Etwas komisches hierüber steht im Morgenblatt No: 309. vom 27 December 1809 abgedrukt, welches Ihnen noch zu einem weitern Beleg meiner Ansichten dienen kann. Der Zufall wollte, daß nebst dem Quartett welches ich Ihnen zu übersenden die Ehre hatte, gerade auch nur die Caprice abgeschrieben war, daher Sie wahrscheinlich schloßen, daß alle meine Comp: den Stempel des Bizarren trügen. Ich hoffe aber, wenn ich das Vergnügen haben sollte Ihnen andere meiner Arbeiten zuzusenden, daß Sie wenigstens mein Streben nach Klarheit, Haltung und Empfindung nicht verkennen werden. Da Sie nach Ihren damaligen Äußerungen das Quartett nicht Verlegen wollten, habe ich es an H: Simrok verkauft, und ersuche Sie daher ergebenst, es mir sobald als möglich unter der Adreße – an Carl Marie von Weber, in Darmstadt bey H: HofKammerrath Hoffmann abzugeben – zurükzusenden. H: v: Wangenh: sagten mir daß Sie etwas für Ihr Repe[r]tor des Clav: von mir wünschten, und ich bitte Sie mir nur zu bestimmen in was es bestehen soll. Auch außerdem wünschte ich sehr, etwas von mir in Ihrem schönen Verlag erscheinen zu sehen, und da ich Comp: von aller Gattung vorräthig habe, so ersuche ich Sie, mir zu schreiben was Sie am besten brauchen könnten. Um baldige Antwort bitte ich recht sehr, denn da ich eine große Reise vor mir habe, werde ich mich nicht sehr lange mehr in diesen Gegenden aufhalten. Indem ich hoffe daß es Sie in Zukunft nicht gereuen wird mit mir in nähere Verbindung zu tretten, und indem ich Sie zugleich wegen meines vielen Geschreibsels um Verzeihung bitte habe ich die Ehre mit ausgezeichneter Hochachtung zu seyn E: Wohlgebohren ergebenster Diener Carl Marie von Weber. Mannheim d: 21t May 1810.