## Title: Dramatisch-musikalische Notizen (Dresden): „Die Entführung aus dem Serail“ von Mozart ## Author: Weber, Carl Maria von ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030264 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Dramatisch-musikalische Notizen.Als Versuche, durch kunst-geschichtliche Nachrichten und Andeutungen, die Beurtheilung, neu auf dem Königl. Theater zu Dresden erscheinender Opern zu erleichtern.#lb#Von Carl Maria von Weber.Mittwoch, den 17ten MaiJuny 1818, erscheint zum erstenmal auf dem Königl. Hoftheater Mozarts herrliche Oper Die Entführung aus dem Serail. Es giebt wohl nicht leicht eine wichtigere Angelegenheit für den Kunstfreund, als den Entwickelungsproceß der großen, ihre Zeit gestaltenden und beherrschenden Geister zu beobachten, der sich doch am lebendigsten und sprechendsten in der Zeitfolge ihrer bedeutenden Werke entfaltet. Von früherfrühester Jugend in die Geheimnisse der Kunst mit Ernst eingeweiht, ihrem anhaltenden Studium ergeben und mit dem schöpferischsten Geiste begabt, mußte doch auch bei Mozart das gesammelte, wie das gottgeschenkte Material erst die Zeit verarbeiten und abgähren, ehe die Klarheit tagen konnte, die in dieser Oper herrscht. Durch eine Art von wunderbarem Kunst-Volks-Glauben wird sie fast allgemein für Mozarts erste Oper gehalten, und ist doch seine Vierzehnte *)*) Mozart, geboren 1756, schrieb 1767 das lateinische Drama 1) Appollo und Hyazinth, 2) 1768 Bastienne Bastienne, 3) la finta semplice, 4) und 6) zwei unvollendete Opern 1770, 6) Mitridate, zu Mailand 1771, 7) Ascanio in Alba. 1772, 8) il Sogno di Scipione, und 9) Lucio silla, 1774, 10) la Finta giardiniera, München 1775, 11) il Re Pastore, 12) Entre-Akts und Chöre zum Trauerspiel Thamos, und 1780 für München 13) Idomeneo. (Siehe Gerbers Tonkünstl. Lex.) . Aber hier, wie immer, liegt einer so durchgehends festgeglaubten Meinung ein inneres, tiefgefühltes Wahrheitsprincip, – die unbekannten Obern göttlichen Ursprungs im richtenden Menschen – zum Grunde; denn, so wie im frühern Idomeneo (1780 zu München) fast aller Farbenstoff der späteren Mozartschen Werke, wie auf der Palette dargelegt mir erscheintmir einzeln dargelegt scheint, und das Gewicht des Wissens mit des Genius Freiheitslust zu kämpfen beginnt, – so trägt in der Entführung (1782 zu Wien) die heitere Jugendfrische den Sieg davon: Obwohl mit Lust auch die Meisterschaft der Harmonie hin und wieder gerne streng beweisend, oder über die Gebühr ausspinnend in jugendlicher Ueberschwenglichkeit und gefälligem Wiegen in dem Selbsterzeugten; – (z. B. die große Arie der Constanze, die aber hier nach Mozarts eigenem spätern Beispiel abgekürzt erscheint) – und ist so das erste Werk, oder die erste Stufe der künstlerischen Vollendung Mozarts geworden, die die Welt in ihm ehrt, anstaunt, und nach ihm nennt. Merkwürdig zeigt sich in der Entführung, die vollkommenste Auffassung dramatischer Wahrheit und charakterisirender Deklamation, vermischt mit dem hin und wieder noch nicht ganz gelungenem Lossagen, von dem damals in Form und Schnitt Herkömmlichen, was später in ganz abgeschlossener Ueberzeugung, mit männlicher Kraft und Besonnenheit, bloß der Wahrheit huldigte. (Figaro 1786 Wien), Don Juan, Zauberflöte, Titus etc. Meinem persönlichen Künstlergefühl ist diese heitere, in vollster, üppiger Jugendkraft lodernde, jungfräulich zart empfindende Schöpfung, besonders lieb. Ich glaube in ihr das zu erblicken, was jedem Menschen seine frohen Jünglingsjahre sind, deren Blüthenzeit er nie wieder so erringen kann, und wo beim Vertilgen der Mängel auch unwiederbringliche Reize fliehen. Ja, ich getraue mich den Glauben auszusprechen, daß in der Entführung, Mozarts Kunsterfahrung ihre Reife erlangt hatte, und dann nur die Welterfahrung weiter schuf. Opern, wie Figaro und Don Juan, war die Welt berechtiget, mehrere von ihm zu erwarten. Eine Entführung konnte er mit dem besten Willen nicht wieder schreiben. Der Wunsch des, uns freundlich willkommenen Gastes und Landsmannes, Herrn Tenorsänger Gerstäcker, die Rolle des Belmonte zu geben, bringt zunächst diese Oper auf unsre Bühne, und veranlaßt zugleich dadurch den ersten Versuch eines bei uns erblühenden Talentes. Mlle. Hähnel, Mitglied des Singe-Chors, wird die Rolle der Constanze singen, und ich darf mit fröhlichem Vertrauen auf den freundlich theilnehmenden Sinn des gebildeten Dresdner Publikums rechnen, wenn ich seiner Nachsicht ihre Schüchternheit, und seiner Aufmerksamkeit ihre vorzüglichen Naturanlagen zu gütig wohlwollender Theilnahme zu empfehlen wage. Es gereicht mir dabei zum besonderen Vergnügen, die kaum neun Monate bestehende Anstalt des Singe-Chors, ihrer wahren innern Bestimmung gemäß, als Pflanzschule für die Oper, durch die Mitwirkung Kenntniß- und Willen-voller Männer schon solche Blüthen treiben zu sehen, die die schöne Hoffnung nähren lassen, aus eigenen vaterländischen Kräften das nach und nach zu schaffen, was andere Kunstanstalten nur vom Zufall und dem vielfarbigen Rufe abhängig, mit Golde aufwiegen müssen. In Bezug auf die hier besprochene Oper finde ich noch nöthig zu bemerken, daß die hohe Tonlage der Rolle der Constanze außer dem Stimmumfang liegt, den man gewöhnlich billigerweise von einer Sängerin zu fordern berechtigt istunserer großen Künstlerinnen lag. Dies für die Wenigen, die nur das gut finden können, was auch unumgänglich nöthig ist, und die doch auch am Ende zugeben müssen, daß es sehr unrecht wäre, wenn z. B. derein Bassist X. es dem Tenorist Y. übel nehmen wolle, daß Er, X. nicht auch Tenor sänge. Gott, durch sein Naturgeschenk, und dann der Componist durch seine Compositionen, weisen jedem seinen Wirkungskreis an. Und auch dieses sey ein wiederholter Entschuldigungs- und Empfehlungsgrund, – wem dessen von Nöthen, – daßwenn Mlle. Hähnel es wagt, die ihr von mir zugetheilte Rolle auszuführen.