## Title: Rezension: „Briefe über den Geschmack in der Musik“ von Joh. Bapt. Schaul ## Author: Carl Maria von Weber ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031107 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Briefe über den Geschmack in der Musik, von Joh. Bapt. Schaul, königl. wirtemb. Hofmusikus. Karlsruhe, in Macklots Hofbuchhandlung, 1809.Wenn man etwas der Welt übergiebt, verbindet man doch gewöhnlich irgend einen Zweck damit, den man bemerklich zu erreichen und wol auch durch den Titel des Werks anzudeuten sucht. Das scheint in Hrn. Sch.s. Sinne, bey der Herausgabe dieser Briefe, nicht gewesen zu seyn.Diesen Begriff scheint H: Schaul nicht gehabt zu haben indem er vorstehende Briefe dem Druk übergab. Hrn. Sch.s. Schreiben wird wol ein reines seyn: ein Schreiben um des Schreibens selbst willen, mag dabey herauskommen, was da will. Nur bei einigen Kapiteln leuchtet Absicht hervor; und diese werden wir bald kennen lernen. Auch um das Wie – wie geschrieben werde – scheint Hr. Sch. ziemlich unbesorgt gewesen zu seyn; und so ist denn ein Werkchen zu Stande gekommen, das eben so wenig lehrreich durch neue Ansichten oder doch originelle Darstellung der bekannten, als erfreulich durch seine Ausbildung erscheint, und eher den Unterhaltungen gleicht, womit ein ziemlich engbrüstiger, auf einen kleinen Wirkungskreis beschränkter Mann in missvergnügter Stimmung seine Kameraden regalirt, indem er über die Verderbtheit der Zeiten, über nicht genug auszeichnende Aufnahme von dem und jenem, und über ähnliche Gegenstände bequemlich sich ergiesst, und dabey dochEr schrieb, um zu schreiben, und bekümmerte sich wenig darum ob das von ihm gesagte auch das Publikum intereßiren könne oder nicht, eine einzige neue Ansicht, kräftige Darstellung, oder belehrende tiefe Sachkenntniß, würden selbst den trocknen Styl der im Ganzen herrscht entschuldigen können, aber diese Briefe haben das engbrüstige Gepräge eines auf einen kleinen Wirkungskreis beschränkten Menschen, der nur im miß vergnügten Kaffee Tone, mit seinen Kameraden über die Verderbtheit der Zeiten, über die nicht genug auszeichnende Aufnahme in irgend einer Gesellschaft, sich ergießt, und dabei mit einer ansehnlichen Portion Anmassunganmaßenden Richtertons über grosse Männer und deren Werke entscheidet. Rec. berührt hier nurWir berühren hier nur flüchtig die Eintheilung der Broschüre und istsind eigentlich weit entfernt, Hrn. Sch. widerlegen zu wollen, was schon durch sich selbst geschiehet – wie, wenn Jemand im Dunkel bewiesen hätte, es gäbe keine Sonne, und diese träte nun glänzend am Morgen hervor.denn das hieße der Welt jezt beweisen zu wollen, daß eine Sonne existire, so sehr wiederlegt sich sein Buch selbst. Indem Rec. den Inhalt des Schriftchens angiebt, wird zugleich bemerkbar werden, dass man,sondern wir suchen blos Ihm bemerkbar zu machen, daß um die Welt zu überreden, man sey ein kompetenter Richter über grosse Männer, wenigstens mehr Kenntnis der SacheKenntniße und mehr Beurtheilungskraft in jeder Hinsicht, nöthig habe, als der Hr. Verf. hier beweiseterfoderlich seien, als der Verfasser zu besitzen scheint. Der erste, fast schülerhaft geschriebene Brief,Der erste Brief, deßen Styl der eines eben aus der Gramatik entlaßenen Schülers ist handelt von der Kammermusik, wo erst Pleyl's (dem wir gewiss alle Gerechtigkeit wiederfahren lassen) hoch erhoben, dann Bocherini's erwähnt, und von diesem ausgerufen wird: (S. 8) Aber welch ein Unterschied zwischen einem Mozart und einem Bocherini!" – Ja, gewiss ein bedeutender Unterschied, den Herr Sch. nicht aufheben wird, und wenn er (ebendas.) noch so entzückt „auf den blumichten Auen, und in den dichten Haynen Bocherini's herumwandelte!“ – Armer Mozart, noch ein Werk wie dieses, und du bist ausgeschieden aus der Reihe der Componisten – denn seit Herr Sch. gefunden hat, (S. 10), „was der Hauptzweck der Kunst ist und seyn soll“ und (ebendas.) „eine so wohlthätige Geistes-Armuth zum Loose erhalten hat,“ läufst du Gefahr, von Pleyl und Bocherini verdunkelt zu stehen! Doch beruhige dich!um die wir ihn keineswegs beneiden, wirst du bald verdunkelt unter Pleyl und Bocherini stehen. Auch Haydn ist bloßnur im Stande (S. 11.), ein „oberflächliches, vorüberfliegendes, ein Vergnügen willkührlicher Auslegung“ – bei Hrn. Schaul nämlich – hervorzubringen! Aber freylich "bey Bocherini ordnet die Philosophie alles; (S. 11 bis 13.), „seine Musik muss in keinem zu grossen Zimmer, beym Schimmer der Lichter gespielt werden:“ dann wird „der in Totesstille versunkene Zuhörer sich im Kreise einer Familie,“ durch den „leutseligen Autor in die Zeiten der Unschuld und Rechtschaffenheit versetzt glauben.“ Ach Gott, das ist ja recht schön und gut! Wir wollen doch ja | unsere Weiber und Kinder zusammensetzen, uns geigend dazu, und so desselben Effekts gewärtig seyn; er thut uns allen Noth, besonders jetzt! – Im zweiten Brief sind die zwar gewöhnlichen und oft gesagten Bemerkungen – besonders bis S. 25. gut; und Herr Sch. ergreift die Gelegenheit, Clementi als den (S. 23.) „König der Tonsetzer für das Fortepiano“ in die Wolken zu heben. Es ist wahr, dass Cl.er auf einer sehr hohen Stufe steht; aber das durchaus Göttliche und dass (S. 32.) kein anderer ausser Ihm, auf den ersten Rang Anspruch machen könne, möchte doch wol schwerlich noch irgend Jemand ohne Einschränkung zugebenkann, können wir doch nicht ganz zugeben; so wie auch sonst Niemand unter Cl.s Adagio, gleich Hr. Sch.,so wie wir auch unter seinen Adagios nicht lauter Youngsche Nachtgedanken, vielmehr jeder verschiedene etwas trocken und gleichgültig finden wird – was den andern, allerdings vortrefflichen, keinen Abbruch thun kann und soll. Es kömmt dazu und durfte bei einer solchen Würdigung nicht übergangen werden, dass Clementi, stets gewohnt ohne Accompagnement zu schreiben, offenbare Schwäche verräth, wenn er begleitende Stimmen hinzusetzt.sondern manche auch zum schlafen, und in der Gewohnheit beinah alles ohne Accomp. zu schreiben, nur seine Schwäche in begleitenden Stimmen, gesehen haben, welches an allen Sonaten mit Acc: von ihm auffallend zu bemerken ist Es tut uns Leid, über einen wahrhaft grossen und vielverdienten Meistereine wirklich übrigens Klassische Klavir Comp: dies sagen zu müssen: aber ein abgöttischer Verehrer, der ihm zu Liebe alles andere erniedrigenin den Staub treten möchte, zwingt zu solchen Erklärungenmanche Erklärung ab. Der dritte und vierte Brief krönen das Werk. Dasind die Krone des Werkes, und nun geht es über unsern Mozart her! Frevel wäre es, an seinen Manen verübt, wenn manwir ihn gegen Hrn. Schaul vertheidigen wolltezu vertheidigen wagen wollten! Dass alles, was Mozart je geschrieben, vollkommen gut seywar, wird Niemand behaupten, und Hr. Sch. gesteht ja selbst von seinem Gotte, Jomelli, ein Aehnlichesdieß ein. Aber freylich lässt Jomelli sich nicht zu Schulden kommen, was, nach Hrn. Sch., (S. 50.), Mozart! Dessenaber wenn ein Mann wie H: Sch: behauptet Mozarts Singstimmen haben keinen natürlichen Gang, seine Harmonie ist oftsey hart, äusserst gesucht, seine Finalen sindFinales überladen, und er sündigtsündige oft gegen die gesunde Vernunft! – Es ist ein Bischen viel behauptet, in der That! aber – man hat Beweise! So ist es vernunftwidrig,Was läßt sich dagegen sagen? dass Mozart das Finale des zweyten Akts der Zauberflöte für die GenienKnaben schwer setzte. –, rechnet ihm H: Sch: als Vernunftswidrig an. Die Leute bilden sich zwar ein zu wissen, dass Mozart diese Genien gar nicht als Schulknaben angesehen haben wolle, sondern als bedeutende, eng in das Ganze verflochtene Personen, die eben darum auch im Styl und in der Haltung des Ganzen behandelt werden, bey der Ausführung aber nicht durch Chorschülerchen, sondern durch Frauenzimmer dargestellt werden müssten – wie dies noch heute in Wien und Prag geschieht: aber was hilft das alles? und was hilft es auch, dass so viele Tausende eben an diesem Finale, wo es gehörig gegeben worden, so reichen, überaus schönen Genuss gehabt haben – wenn die Sache nun ein – für allemal vernunftwidrig ist?Die Knaben betrachtete Mozart als so gut zum Ganzen gehörige in ihrer Art vollkommene Theile wie die Pamina und Tamino als Genien die von Frauenzimmern dargestellt wurden wie es noch heute in Wien und Prag geschieht, und H: Schaul wird doch unter solchen Knaben keine Schulknaben verstanden haben? und selbst solche könnten ihn aus der vortrefflichen ThomasSchule in Leipzig beschämen. Hr. Sch. führt dem unbesonnenen Mozart ernsthaft genug zu Gemüthe, so zu schreiben, dass es nicht nur da und dort, sondern überall (auch in Krähwinkel?) auszuführen sey; und wenn sich nun noch Jemand nach diesem ausschweifenden Musiker bildet, so ist's Hrn. Sch.s Schuld nicht. Uns befremdet nur Eins bey der Sache, dass nämlich Hr. Sch. selbst, S. 79.Er verlangt daß Mozart bedenken sollte, nicht für einen Ort allein, – sondern so, daß es überall ausführbar – zu schreiben, bemerkt aber pag: 79 von seinem „Gott der Harmonie,“ Jomelli, bemerkt, dass er, um zu wirken, nur von einem mit seinem Geiste vertrauten Orchester, nur in einem grossen Raume etc. aufgeführt werden dürfe." in Clemenza di Tito behauptet H: Schaul, daß Sextus, sein Qual Titus in einem Rondo vortrage, – wenn es ein Rondo von Pleyel oder Clementi wäre, möchte es allerdings eine lächerliche Wirkung geben, aber man höre die herzliche innige Arie, deren göttlicher Ausdruk besonders bey den Stellen pur saresti men severo se vedessi questo cor nicht schöner gedacht und gefühlt seyn kann und wie sehr wird die niedre Kritik erlahmen, verstummen – Das Sextett in Es Dur in Don Juan wo Leporellos Betrug entdekt wird, soll nach H: Sch: nicht tragisch, sondern im Halb Charakter geschrieben seyn. – Keineswegs, denn sind nicht alle dabey Anwesende in der ernsthaftesten Stimmung? und auch ernste Charaktere? bis auf den Leporello, der so lange er den Don Juan repräsentirt nicht Leporello seyn darf, es aber augenbliklich in der Musik höchst vortrefflich Charakterisirt wird, als er sich entdekt, und die Worte – Perdon, per dono Signori miei quello io non sono: sbaglia costei viver lasciatemi per carità. – mit der wirklich komischen lächerlichen Traurigkeit der Begleitung – singt? Mehreres in dieser Art sehe man bey Hrn. Sch. selbst nach, wo sich endlich auch die allgemeine Bemerkung findet, Mozart sey in den Arien überhaupt nicht glücklich gewesen. Hr. Sch.Daß Mozart in den Arien nicht glüklich gewesen, scheint auch H: Sch: zuerst zu bemerken, er setzt Jomelli in jeder Hinsicht hoch über ihn, besonders aber im Recitativ. Es ist gewiss, dass Jomelli ein geistreicher, feuriger, hochstrebender Künstler war; gewiss ist aber auch, dass er zugleich nicht selten von einem unbegreiflich kleinlichem, der Kunst unwürdigem Geiste des Malens und Auspünktelns einzelner Momente | zum grossen Nachtheil des Ganzen, besessen war. Man vergleiche z. B. nur die Stellein Recit: Jomelli war groß in vieler Hinsicht wurde aber auch von einem unbegreiflichen kleinlichen der Kunst unwürdigen Malerey Geist beseßen wie die Stellen in der Olympiade, Atto II, Scen. 7., bey den Worten: ah che sarem di nuovo a quest' orrido passo – und bemerke, was er dem leidigen Worte passo zu Liebe, für Fortschreitungen anbringt!bezeugt wo er dem Worte passo zulieb eine enharmonische erzwungene Fortschreitung anbrachte. Sein Recitativ ist gemeiniglich schön, charakteristisch und ausdrucksvoll: aber wo hat er schöner recitiert, als z. B. Mozart in der Scene desund wo hätte denn Jom: schönere Recit: als das Recit: vom Sextus im ersten Finale der Clemenza di Tito, oder imdas Recitativ der D. Anna im 1sten Akt des D. Juan, u. dgl. mehr? Undim Don Juan, erster Akt pp: wenn die Arie: Dies Bildnis ist bezaubernd schön – ein Gassenhauer genannt, und behauptet wird, im Titus leuchteten nur einige Genie-Blitze hervor, welcheund im Titus nur einige Genie Blize hervorleuchten die zeigen, was Mozart bey besserer Leitung hätte werden können; (S. 59.) wenn (S. 81.) von den Ouvertüren Mozarts gesagt wird, sie wären nie im Stande die Wirkungen hervorzubringen, wie die von Jomelli, die (S. 79–80.) man nur eigentlich Ouvertüren nennen könne, deren Styl nicht nur geschickt, sondern nothwendig sey, um das dumpfe Getöss der Zuhörer zu stillen (?!) –: dann möchte es wol mancher Leser für Scherz oder Satyre halten, und Hrn. S. seinen Ausruf, S. 63., zurückgeben:wenn die Ouvertüren Mozarts nie die Wirkung hervorbringen werden wie die von Jomelli, die man nur eigentlich Overture nennen kann, deren Styl nicht nur geschikt, sondern nothwendig ist um das dumpfe Getös der Zuhörer zu stillen. – – – ?? so möchten wir auch mit H: Schaul einzig ausrufen: schalkhafter Mensch! – Doch hiervon nur noch das Wort! Hr. Sch. sagt, S. 19., der Wahlspruch wahrer Kritiker sey:wenn sie es würdig wären würden wir uns ärgern so aber können wir blos sie bemitleiden, und auf Sie selbst das anwenden was sie von den wahren Kritikern /:für deren einen Sie sich gewiß halten:/ ald deren Wahlspruch anführen, besser machen ist der beste Tadel! Nun wird sich Hr. Sch. doch für keinen falschen, sondern eben für einen wahren Kritiker geben wollen; und so dürfen wir denn allen Kennern und Freunden der Tonkunst in Deutschland die frohe Aussicht eröffnen, durch Hrn. Sch. einen besseren D. Juan, eine bessere Zauberflöte, einen besseren Titus etc. zu erhalten. Quod deus bene vertat!und nun sehen wir und mit uns ganz Deutschland erwartungsvoll auf Sie, und hoffen ein beßern Don Juan pp: zu hören. Doch genug, um die Leser auf das Werkchen und seinen Inhalt aufmerksam zu machen! Rec. will nur noch kürzlichund übergenug, um der Welt einen Begriff dieses Werkes zu geben, wir haben nur noch Ursache die schriftstellerische Gewissenhaftigkeit des Hrn. Sch. zu rühmen, dieder den Anhang, welcher biographi sche Notizen enthält, als aus Gerbers Tonkünstlerlexikon entlehnt, angiebt. Wunderbar trifft sichs aber, dass die Notizen in dem Buche selbstum so mehr mußte uns das sonderbare Zusammentreffen in Verwundrung sezen, welches bey den in dem Buch enthaltenen Notizen (von Farinelli, Carestino, Majo Bernardi, Guarducci etc.) zwanzig Seiten lang ebenfalls buchstäblich inbuchstäblich mit dem Gerberschen Lexikon zu lesen sindStatt findet. Hr. Sch. bemerkt hernach selbst, es wäre zu lang, wenn er alle solche Meister anführen wollte – und da stimmt ihm Rec.stimmen wir ihm vollkommen bey, denn eine zweyte Auflage jenes Lexikonsdes G: L: erwarten wir von dem würdigen Verfasser selbst – kann sich aber doch nicht enthalten,läßt sich aber doch belieben zu gehöriger Verstärkung der Bogenzahl noch 26 Seiten abzuschreiben. – Gern wollte Rec. nach so manchem Tadel Hrn. Sch. nun auch loben; da derselbe dies aber in den Briefen hinlänglich selbst gethan hat, und das Abschreiben Rec. weniger geläufig ist: so werden die wissbegierigen Leser auch in Betracht dieses Lobes lieber auf das Werk selbst verwiesen.Da endlich H: Sch: sich selbst so fleißig in seinen Briefen gelobt hat, sind wir überhoben es zu thun, verweisen jeden wißbegierigen Leser darauf und hiemit in Mozarts Nahmen Amen. #lb#M.