## Title: Rezension von: Zwölf Choräle von Johann Sebastian Bach, umgearbeitet von Georg Joseph Vogler (II) ## Author: Gottfried Weber ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030568 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Zwölf Chorale von Sebast. Bach, umgearbeitet von Vogler, zergliedert von Carl Maria von Weber. Die zweckmäßige Begleitung der Kirchengesänge ist ein der allgemeinen Aufmerksamkeit höchst würdiger Gegenstand; gar manche gute und schlechte Anleitung zur Choralbegleitung ist den Organisten schon bald da bald dort zur Nachahmung empfohlen worden; wer ist aber zu Aufstellung von Mustern in diesem Fach wol mehr berechtigt, als Organozeus Vogler? In dem vorliegenden Werke, welches vor etwa einem halben Jahre bey Kühnel auf 12 Seiten in Quer-Folio, nebst vier Seiten Text, erschien, verfolgt Vogler die früher in seinem Choralsystem (1800) gebrauchte Methode, seine Arbeit der des größten Organisten früherer Zeit, Seb. Bach’s, gegenüber zu stellen. – Wer Vogler’n auch nur aus seinen Schriften kennt, ist überzeugt, daß dabey keineswegs die Absicht zum Grunde liegt, Bach’s Verdienste zu schmälern und, wie von Weber sich ausdrückt, seinen Ruhm anzutasten. Vogler selbst sagt von ihm in seinem Choralsystem (1810), nebst manchem andern Rühmlichen, auch Folgendes. Keine Nation kann einen solchen Orgelspieler aufweisen, und wir Deutsche haben Ursache, auf ihn stolz zu seyn ec. Die Ursache, welche Vogler’n bewog, hier seine Choralbegleitung neben die von Bach zu stellen, kann eben darum nicht kleinliche Eitelkeit, nicht der Wunsch gewesen seyn, auf Bach’s Kosten sich ein Ansehen zu geben. – Seine Absicht war dabey gewiß nur die, einen Beytrag zu liefern, zur „Beantwortung der Frage: hat die Musik seit dreyßig Jahren verloren oder gewonnen?“ welcher er im ersten Hefte seiner belehrenden musikalischen Herausgaben 1808 eine eigene Abhandlung gewidmet hat, und worin er seine eigenen Arbeiten aus frühern Kunst-Epochen einer strengen, oft herben Critik unterwirft. Man lese nur, wie er z. B. S. 56ff. mit seiner Composition des Schusterballets umspringt. – Denn dieß ist es eben, was diesen Mann, welchen nun schon drey Jahrzehnte mit Lorbern krönen, so liebenswürdig und interessant macht, daß die ewige Tendenz seines jugendlich kräftigen Geistes auf rastloses Fortschreiten in der Kunst und Kunstlehre zielt, daß er keine Autorität gelten läßt, nicht einmahl seine eigene, auf immerwährendes Selbstdenken und Weiterkommen dringt, und im Gegensatze manches andern geistesträgen, aus kindischer Altersschwäche mit der neuern Cultur nicht mehr Schritt halten mögenden Panegyrikers älterer besserer Zeiten gern der jetzigen Kunst-Epoche so viel möglich das Wort spricht. Wer daher irgend für die neuere Kunstgeschichte sich interessirt, dem muß das vorliegende Werk als ein willkommenes Geschenk erscheinen, worin die Arbeiten von zwey der größten Tongelehrten in ihrer Zusammenstellung die musikalische Bildungsstufe zweyer Kunst-Epochen abspiegeln, – nicht zum Nachtheil der jetzigen. Und in der That wollen wir denn nicht gern uns erfreuen der Vortrefflichkeit, die unserm Zeitalter eigen ist, nicht mit Lust die Fortschritte der Kunst betrachten, vielleicht der einzigen, welche gerade jetzt ihre höchsten Blüthen treibt, und worin unser Zeitalter, nicht wie in den plastischen, von einer früher erstiegenen Höhe herab gefallen, dieselbe mühsam erst wieder zu erklimmen sucht, sondern worin wir einen bis jetzt unerreichten Standpunct erstiegen haben. Denn zu läugnen ist es nicht, daß Vogler durch seine unnachahmliche Gewandtheit in Auffindung neuer Harmonien-Folgen und die Abrundung seiner Stimmenführung sich neben Bach sehr zu seinem Vortheile auszeichnet. Im Flusse seiner Stimmen herrscht durchgängig Leben und leichte Beweglichkeit. Die Harmonienwahl überströmt von Reichthum und Abwechselung. Da wo z. B. Bach in Nr. 2 fünf Vers-Endungen unmittelbar nach einander in E dur cadenciren läßt, und gleich darauf noch eine wieder in E dur schließt, zeigt Vogler sich bey jedem Einschnitte neu, und, was besonders bewundernswerth ist, die größte Lieblichkeit geht mit der gelehrten Behandlung an den mehrsten Stellen Hand in Hand. Eine ausführlichere Auseinandersetzung möchte hier um so weniger Platz finden, da selbst von Weber den Vorwurf verdient, in seiner Erläuterung viel zu kurz gewesen zu seyn, und eine solche Zergliederung füglich der Gegenstand eines eigenen Werkchens werden könnte. Bey Nr. 7 Tact 5 scheint Referenten übrigens, als thue von Weber dem Bach unrecht, indem das d'' im Alt ohne Zweifel durch Druckfehler statt b' steht; die so hergestellte Figur ist dann nicht nur fließend, sondern bey langsamer Bewegung auch hinreichend, die gerügte Quintenfolge zu entschuldigen. Dieses, nebst der allzugroßen Kürze seiner Erläuterung; dann, daß er sich einen Künstler ohne Ruf nennt, sind es hauptsächlich, woran von Weber sich und Andern Unrecht gethan hat. Mannheim. Gottfried Weber.