Mannheim im September.
Fortsetzung der Schreibtafel Nro.
14.
Der entre-acte vor dem dritten
Aufzuge verdient Tadel, da er unbefriedigend, oder eigentlich gar nicht, blos
mit einem Quintabsatze schließt; ist auch der Komponist dadurch etwa zu
entschuldigen, daß er ihn vielleicht zur Einleitung zu einem Ballet oder etwas
ähnlichem bestimmt, so ist es in jedem Falle tadelnswerth, daß man dieses ohnedies
unbedeutende Allegro von höchstens 20 – 24 Takten nicht lieber ganz supprimirte.
Sehr vorzüglich ist dagegen ein TrinkliedArie des
Ferrand mit Chor (Akt III, Nr. 1) Hier
treibt der Teufel selbst sein Spiel
der Reisigen
Leon’s gelungen, wobei der
Burgvogt präsidirt, und
Ludwig als Schildwache hinter dem Gitter mit
einstimmt, um sich mit seinen dermaligen Kameraden vertraut zu machen. Lieblich und
zur Fröhlichkeit einladend schmiegt sich die schnellende Figur der Violinen und
ersten Flöte an das taktmäßige Geklingel der Gläser, und das in seiner Art witzige
Gespräch der Leute dazwischen erhebt die Scene zu einer der interessantesten in
dieser Gattung, so daß man, als schon der Sturm im Anbruche ist, die liebliche
Melodie gerne noch einige Zeit im Orchester nachklingen hört.
Die übrigen weniger bedeutenden Stücke der beiden letzten Akte übergehe ich.
Ueberhaupt ist in diesen beiden Akten der Musik viel zu wenig, und des Gesprächsels,
besonders bei dem geringen dramatischen Werthe des Stückes, viel zu viel; indessen
wären die oben ausgehobenen Stücke, hätte auch d’Alayrac nie etwas anderes geschrieben, schon hinreichend, seinen
Ruhm als gründlich denkender und tief fühlender Komponist zu begründen. Merkwürdig
ist es übrigens, daß seine Landsleute gerade die vorzüglichsten Werke ihrer eigenen
Komponisten nicht kennen. Mit der Anzeige seines vor einiger Zeit erfolgten Todes
verbanden die französischen JournaleIn der AMZ, Jg. 12, Nr. 56 (24.
Oktober 1810), Sp. 889–901, wurde einer dieser Nachrufe mit Werkverzeichnis, in
dem Leon fehlt, in einer
Übersetzung abgedruckt. Die Quelle ist auch dort nicht näher angegeben.
eine Aufzählung seiner Kompositionen, welche übrigens recht vollständig seyn mag, nur
daß der Oper Leon oder das Schloß von Montenero
darin mit keiner Sylbe gedacht ist.
Ueber Weigl’s
SchweizerfamilieEA Mannheim: 29. Juli 1810. Die Besprechung bezieht sich wohl auf
die zweite Aufführung am 12. August 1810., wovon ich ebenfalls
einer Aufführung beiwohnte, sage ich Ihnen nichts vollständiges; es ist darüber schon
oft und ausführlich genug in öffentlichen Blättern gesprochen worden, und das
allgemeine Urtheil hat sich schon festgesetzt. Nur Eines, nämlich die vortreffliche
Darstellung der Emmeline durch Mad. Gervais, kann ich nicht mit Stillschweigen übergehen. Wenige
Theater Deutschlands möchten sich der Darstellung einer solchen
Emmeline zu erfreuen haben. Mad. Gervais ist von der Natur nicht eben
reichlich ausgestattet, aber die Kunst hat sie als Adoptivkind desto sorgfältiger
gepflegt. Ihrer von Natur etwas ungleichen Stimme hat sie durch Studium Klang und
Rundung gegeben, und in einer vortrefflichen Schule gebildet, herrscht sie vollkommen
über ihre Kehle. Bald durch ernsten Anstand, bald durch leichte Grazie weiß sie ihre
Figur geltend zu machen, und einigt so, in seltenem Grade, anmuthigen Gesang mit
seelenvollem Spiele. Besonders in dieser Oper entfaltete sie ihr zweifaches Talent
mit dem größtem Beifalle, und in der Arie:
Wer hat mich je klagen gehört?
Cavatine der
Emmeline (Nr. 7) Wer hörte wohl jemals
mich klagen?
opferte sie, sehr zweckmäßig, nicht selten, den Klang ihrer Stimme dem wilden
Ausbruche der Leidenschaft. Wäre Mad. Gervais auch nicht Sängerin, so verdiente sie schon um ihrer
mimischen Kunst allein allgemein geschätzt zu werden. – Uebrigens ist auch ihr Verlust für MannheimKatharina Gervais trat am 31. März
1811 zum letzten Mal in Mannheim auf, bevor
sie nach Karlsruhe wechselte. so gut
wie entschieden; in wie weit es der Theater-Intendanz möglich gewesen wäre, die Versetzung dieser seltenen
Kunstpflanze zu vermeiden – maße ich mir nicht an zu beurtheilen.
Aeußerst neugierig war ich, während meines Aufenthalts in Mannheim, auch einer musikalischen Aufführung im MuseumVgl. Kom. 1810-V-06 beizuwohnen. Sie kennen
dieses Institut schon aus mehreren Blättern,
und die Kürze erlaubt mir nicht, mich hier, wie ich es gerne möchte, über den
hiesigen Zustand des Musikwesens im Allgemeinen auszulassen. Nur das will ich
bemerken: Die Aufführung vom 4ten August gehörte, wie man
mich versichert, nicht zu den glänzendsten; man machte den Eingang mit der Ouvertüre
aus Marie von Montalban, (warum man gerade diesmal
keine große Symphonie aufführte, durch deren Wahl und Execution das musikalische KonservatoriumDie
musikalische Abteilung des Museums war 1806 unter dem Namen Konservatorium gegründet worden und erst 1808 im Museum aufgegangen; vgl.
AMZ, Jg. 8, Nr. 41 (9. Juli 1806), Sp. 652–653.
sich sonst so sehr auszeichnen soll, weiß ich nicht). Auch war die Ausführung diesmal
nicht besonders gelungen zu nennen. Desto interessanter war mir ein Konzertant für 2 ViolinenNicht ermittelt, gespielt von Herrn Direktor Fraenzl, einem 70jährigen Greisen,
dessen großer Ruhm in der Kunstwelt schon lange begründet ist, und Herrn Frey, einem
vortrefflichen Violinspieler des Mannheimer Hoforchesters. Welcher herrliche
Kontrast! als stünden 2 Sonnen einander gegenüber, die eine kräftig aufgehend und
herrlich ihre Strahlen entfaltend, die andre sanft sinkend und sich auflösend in
mildes Abendroth. Herr Frey hat sich zuletzt unter dem berühmten Violinisten Spohr aus Gotha ausgebildet, er verbindet in seinem Spiele die
höchste Fülle der Kraft mit der zartesten Anmuth, er kennt die Oekonomie seines
Bogens vortreflich, und das sanfte ineinander schmelzen der Töne weiß er desto
reizender zu machen, je seltener er dieses musikalische Zuckerbrot zum Besten gibt.
Vorzüglich hinreißend ist sein Vortrag in Quartetten von Haydn, Mozart, Beethoven, welcher Musikgattung man noch fleißig in
Mannheim Opfer bringt – : und das
lebendigste Gefühl athmet durch sein ganzes Spiel; viele der größten Violinisten
möchten ihm wohl hierin nachstehen. Im Staccato ist dieser junge Künstler weniger
glücklich, und wenn er auch noch diese Schwierigkeit seines Instruments, wie sich bei
seinem anhaltenden Eifer nicht zweifeln läßt, wird besiegt haben, so wird ihm Niemand
den Rang unter den ersten Tonkünstlern unsrer Zeit streitig machen. Er dirigirt das
Orchester des Museum. Neben der Tonkunst und Hand in Hand mit ihr trug auch
Deklamation, diese Zwitterkunst, das ihrige zur Unterhaltung der Gesellschaft bei.
Mlle. Kaibel,
Schwester des bekannten Schauspielers Kaibel, die sich unter Leitung ihres Bruders für das Theater
zu bilden scheint, debütirte in der Deklamation, mit Schillers
Ritter Toggenburg, sie gibt Hoffnung für die Zukunft, indeß
schien mir ihre Wahl nicht glücklich, und der Versuch war etwas stark für den ersten.
Auch Herr von Sydow, der schon lange als reisender Deklamator bekannt ist,
war so gefällig, einige Gedichte vorzutragen. Er hatte vorher in einer Annonce
versichert,Theodor von Sydow hatte in der Rheinischen
Correspondenz, Nr. 204 (25. Juli 1810), S. 816, eine Anzeige für sein
Deklamatorium am 27. Juli 1810 veröffentlicht, in der er mitteilte, er erlaube
sich, die biederen Einwohner Mannheims an Warwick’s erste hier vor
eilf Jahren gegebene Deklamation zu erinnern, und die freundliche Theilnahme
die derselbe damals dadurch für sich gewann, jetzt für mich in Anspruch zu
nehmen, um so mehr, da ich mir schmeicheln darf, sein Talent seit der Zeit ein
wenig weiter ausgebildet zu haben.
es bedeutend weiter gebracht zu haben, seitdem er ohngefähr vor 11 Jahren –
unter dem fremden Namen Warwick hier gewesen sey. Sein Organ und sein Aeußeres sind
ihm nicht vortheilhaft, und es fehlt ihm, nach meinem Urtheile, die gehörige Ruhe
beim Vortrage. Auch Unrichtigkeiten in der Deklamation lassen sich ihm zuweilen
vorwerfen, so deklamirte er z. B. den Vers aus Schillers
Taucher
als wollte das Meer noch ein Meer gebähren
Vgl. Friedrich von
Schiller, Der Taucher
(6. Strophe), Z. 36, in: Gedichte, hg. von Julius Petersen
und Friedrich Beißner, Weimar 1943 (Schillers Werke, Bd.
1), S. 373 folgendermaßen: als wollte das Meer noch Ein Meer gebähren.
Indessen mag ihm bei seinem
lebendigen Gefühle für Deklamation dergleichen vielleicht unwillkürlich entschlüpfen.
Zum Beschluß gab er eine Menge Epigramme gegen das schöne Geschlecht; besser hätte
er, im Geiste des Institutes, in dessen Mitte er stund, geschlossen mit Ehret die Frauen.
Friedrich von
Schiller, Würde der
Frauen Zuletzt phantasirte noch, auf
allgemeinen Wunsch der Zuhörer, Karl
Marie Freiherr v. Weber auf dem FortepianoVgl. TB, 4. August
1810: Abends im Museum gespielt Hunds schlecht, aber
doch mit Beyfall.. Sie kennen diesen glänzend aufgehenden Stern, am
genialischen Horizonte der Kunst. Seine Phantasie war heute unbedeutend, und der
knarrende Mechanismus der Züge an dem Instrumente mochte ihn wohl nicht wenig dabei
hindern. Doch wer ist auch immer aufgelegt zu phantasiren?
Nachschrift.
Ich würde Ihnen diesen Brief schon gestern zugeschickt haben, hätte nicht der
Theater-Anschlagzettel angekündigt, daß Herr Simoni von Wien, k. k. Kammersänger, im Zwischenakte des
Schauspiels einige Arien singenWelche
Arien Giuseppe Simoni am 4. September 1810
zwischen den Schauspielen Der
Schiffbruch von Ernst August von
Steigentesch und Die jähzornige
Frau von Joseph Edler von
Sonnleithner sang, geht aus dem Theaterzettel nicht hervor, dort ist
lediglich vermerkt: Zwischen den beiden Stücken wird Herr
Simoni, k. k. Kammersänger von
Wien, einige Arien
singen. würde. Auch über diesen wollte ich Ihnen gerne etwas sagen,
und, viel gutes, hoffte ich. Der Erfolg blieb aber meilenweit hinter meinen
Erwartungen zurück. Hr. Simoni sang zwey italienische Arien. Seine Intonation ist rein,
seine Kehle hat viel Geläufigkeit und hat durch Schule auch wirklich einen gewissen
Grad von Ausbildung erhalten. Aber das sage ich Ihnen
auch, so viele Noten habe ich in meinem Leben nicht auf einmal gehört, wie heute
Abend. Von dem Umfange seiner Stimme wäre vieles zu sagen. In der Tiefe ist sie etwa
bis A brauchbar; in der Höhe aber scheint sie gar keine
Gränzen zu kennen. Durch Hülfe einer Kopfstimme, welche man Falset zweiter Potenz
nennen könnte, produzirte er einmal ein lange gehaltenes d'',
ein andermal eine lange Coloratur auf gleicher Höhe. Um sich aus diesen Sphären der
Weiberstimme in die männlichern wieder zurück zu versetzen, macht er dann jedesmal
einen wohl angebrachten Absatz. Dem Klange seiner von Natur vielleicht schönen Stimme
schadet er dadurch, daß er sie hinten im Halse zerdrückt. Portament ist so eigentlich
nicht seine Force, wenn man nicht das für Portament nehmen will, daß er oft eine
einzelne Sylbe, meistens die erste einer Phrase, so lange dehnt und zieht, als seine
Lunge zu prästiren vermag. In wie fern solche Dehnungen, so wie die endlosen Rouladen
an ihrem rechten Orte angebracht sind, ob dem Sinne des Textes angemessen oder nicht,
dies vermag ich darum nicht zu entscheiden, weil es, bei Hrn. Simoni’s Art, die Noten
herauszustoßen, unmöglich ist, auch nur ein Wort, vielweniger den Sinn des Textes zu verstehen oder auch nur zu errathen. –
Ueberhaupt nähert sich seine Art zu singen der der französischen Operisten, und es
ist zu erwarten, daß er in Paris, wohin zu reisen er im Begriffe steht, Beifall
finden wird. Auch von einem großen Theile des hiesigen Publikums erntete er Beifall,
nur als dieser Theil Lust äußerte, sogar ein fora
anzustimmen, wurden Widersprüche laut, welche das Unternehmen im Keime
erstickten.
G. Giusto.