Die Winter-Konzerte zu
Mannheim. (2)
Den 13ten Dezember 1811.
(
Schluß)
Himmels VaterunserWann Himmels Vaterunser im Museum gegeben wurde, war nicht zu ermitteln.
war hier nur erst im Museum, noch nie öffentlich, gehört worden, und gar wohl
verdiente darum dieses Werk, über welches schon so Vieles pro und contra geschrieben wordenEine ausführliche Rezension von Himmels Vaterunser war erschienen in: AMZ, Jg. 12, Nr. 44 (1. August 1810), Sp. 697–708. Kritiken der UA in Königsberg verzeichnet die Zeitung für die elegante Welt, Jg. 9, Nr. 83 (27. April 1809), Sp. 662–663 und Nr. 116 (12. Juni 1809), Sp. 927–928, sowie die AMZ, Jg. 11, Nr. 39 (28. Juni 1809), Sp. 619; weitere Aufführungsberichte finden sich in: AMZ, Jg. 13, Nr. 19 (8. Mai 1811), Sp. 330 (Frankfurt a. M.); AMZ, Jg. 13, Nr. 26 (26. Juni 1811), Sp. 442 (Breslau); Zeitung für die elegante Welt, Jg. 10, Nr. 89 (4. Mai 1810), Sp. 705–706 (Leipzig); Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 4, Nr. 141 (13. Juni 1810), S. 564 (Berlin)., zur
öffentlichen Aufführung gebracht zu werden. Himmel befolgt auch hier (wie in der jüngst besprochenen
Trauer-CantateFriedrich Heinrich Himmels Trauer-Cantate auf den Tod von Friedrich Wilhelm II. von Preußen, die im ersten Winterkonzert am 15. November 1811 aufgeführt worden war, ist besprochen in 1811-V-79.) – die Methode, kurze, wenig ausgeführte Sätze, Duette, Terzette
(das erste Duett AdurDuett Sopran und Tenor Und liebevoll dein Auge schaut
besteht
aus 16–18 Takten) – durch noch kürzere Zwischenspiele (hier durch Chöre, welche
jedesmal eine der sieben Bitten einfach absingen) – aneinander zu reihen. Durch
diese Methode ist er freilich sicher, den Zuhörer zu
befriedigen, welcher liebt, eine Gallerie angenehmer Empfindungen vor seinem
innern Sinne vorbey defiliren zu sehen, ohne sich um tiefere erschöpfendere
Ergründung jeder einzelnen verweilend bemühen zu wollen; denn lieblich und
einnehmend ist beinahe alles, was Himmel
gibt: allein die Erfordernisse einer geistlichen Musik sind dadurch nicht erschöpft; Ref. will hiemit keineswegs
dem steif-kontrapunktischen, an hergebrachten Formen und ängstlichen Regeln
klebenden, mit unzähligen technischen Verboten dieses oder jenes Intervalles,
dieser oder jener Fortschreitung überladenen sogenannten KirchenstylG. Weber hat später in der Cäcilia, Bd. 3 (1825), S. 173–204, einen ausführlichen Aufsatz Über das Wesen des Kirchenstyls veröffentlicht, in dem er die hier vorgetragenen ästhetischen Ideen weiter ausführt; vgl. dazu auch: Winfried Kirsch, Zu Gottfried Webers Ansichten Über das Wesen des Kirchenstyls, in: Studien zu Gottfried Webers Wirken und zu seiner Musikanschauung, hg. von Christine Heyter-Rauland, Mainz u. a. 1993 (Beiträge zur mittelrheinischen Musikgeschichte, Bd. 30), S. 59–68. das Wort
reden; er erkennt weniger einen technischen Unterschied zwischen Kirchen- und
profanem Styl, als nur einen ästhetischen. Er versteht unter Kirchenstyl jenen
veredelten, durch tiefes warmes Gefühl erzeugten, welcher den einmal aufgefaßten
Gegenstand unverrückt im Auge behält, von allen Seiten beleuchtet und mit Wärme
einprägt, – welcher, Zufälliges verschmähend, das Gemüth zur ungetheilten tiefen
Aufmerksamkeit auf die Haupt-Empfindung zwingt, und den Zuhörer nicht losläßt,
bevor er ihm die ganze Würde seines Gegenstandes, die ganze Tiefe der Empfindung
hat fühlen lassen, bis er ihn ganz zu der Stufe von Verklärung erhoben hat,
deren der Gegenstand würdig und das menschliche Gemüth fähig ist. – Die
Kunstmittel zu Erreichung dieses Zweckes sind musikalische
Durchführung, Ausführen eines einmal ergriffenen Hauptgedankens
(Thema’s) unter mannichfaltigen, immer auf die Hauptidee zurückweisenden
Beziehungen, rhetorische Ausführung und Begründung, welche das Wesen und innere
Leben des Kirchenstyls ausmacht, dort überall hervorblicken soll, und in der
Fuge (d. h. jedem Tonstücke der vollendetsten und konsequentesten Einheit) –
ihren höchsten Gipfel erreicht, – eine Consequenz, zu welcher freilich die aphoristische Behandlung geradezu die Antipode
bildet.
Wie gesagt also, lieblich ist manches, ja das meiste von dem Verschiedenen, was
Himmel uns im Vater unser zu hören gibt:
so z. B. das erste kurze Duettchen Adur und manche Stellen der Sopran-ArieLaß Ähren reifen im Sonnenstrahl
; noch
glücklicher die Tenorstelle: Der Friede schwingt die Palme
mit eingeflochtenem
Chor erst in C dann in B; am
gelungensten das Quartett in AsDer du von reinen Geistern umgeben
mit seinen enharmonischen
Wendungen aus Asmoll nach Hdur, und von da durch Emoll zurück in den Hauptton:
glücklich überraschend die Harmonieenwahl mancher kurzen Chorstellen, z. B.
Vater unser, der du bist im Himmel
– und dein Wille geschehe.
– Gar zu
obsolet ist aber dagegen doch die Melodie des kleinen Terzetts dreier Männer B
3/4
kommt Engel von den heil’gen Höhn
– und wenn nun vollends der SchlußsatzDein ist das Reich
ganz
mit der Miene einer Baß-Fuge auftritt, förmlich mit Dux
und comes (wiewohl letzterer nicht an einem, nicht an
zwey, sondern an drey Orten von jenem abweichend) – anhebt, allein gleich nach
den hergebrachten vier ersten Eintritten – (der Exposition des Stückes) – alles
Fugiren schon verschwindet, und der Satz in ein gewöhnliches Allegro freier
Bearbeitung ausläuft, von dem als Fugenthema so pomphaft angekündigten Satze
aber kaum mehr leichte Andeutungen wiederkehren – : so muß man wenigstens
wünschen, der Componist hätte beim Eingange des Schlußsatzes weniger ausgeholt,
und keine Erwartung erregt, welche er nicht zu erfüllen gedachte.
Der Eindruck des Ganzen auf den Zuhörer kann bey diesen Umständen wohl angenehm,
aber nicht tief rührend, groß und erhebend seyn; wiewohl Ref. nicht läugnen
will, daß die Composition durch recht reichliche Besetzung der Doppel-Chöre
(welche, wegen Mangel an gehöriger Choristenzahl, hier so viel möglich in einen Chor zusammen geschmolzen werden mußten) noch
vieles an Effekt gewonnen haben würde. Der Mangel eines wackern, gut besetzten
Chors ist nun einmal eine der 7 Hauptplagen, womit
Mannheim von jeher vom
Himmel heimgesucht wird: und auch die
eifrigste Bemühung der Unternehmer vermag es nicht, die fünfzigerley kleinen
Convenienzen zu beseitigen, welche dem Zustandekommen allseitigen Kraftvereines
sich in den Weg drängen.
Ueber die Solostücke bemerkt Ref. wie gewöhnlich nur weniges. Ein Duett von
Hrn. Joseph MüllerWelches Duett von Joseph Müller dieser zusammen mit Friedrich Lieber gesungen hat, war nicht zu ermitteln. recht
gefällig komponirt und von ihm mit Hrn. Lieber recht gut und besonders recht übereinstimmend
und einverstanden vorgetragen, verdient in beiden Hinsichten lobende Erwähnung.
Herrn AppoldsJacob Heinrich und Georg Valentin Appold spielten laut Konzertzettel ein Konzertante für zwey Flöten von Hugo Arnold.
Virtù auf der Flöte ist zu allgemein anerkannt, als daß
sie hier einer besondern Erwähnung bedürfte.
G.
Giusto.