## Title: Übersicht der musikalischen Produktionen in Mannheim. Winterhalbjahr 1811–1812 (Teil 3/4) ## Author: Gottfried Weber ## Version: 4.10.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031243 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Uebersicht der musikalischen Productionen in Mannheim. Winterhalbjahr 1811 – 12. (Fortsetzung aus der 22sten No.)Wir hörten ferner zum ersten Male hier A. Rombergs Composition der Glocke von Schiller. Ref. bezeugt geradezu, dass ihm dieses Tonstück wenig zusagte. Schon im Ganzen ist die Idee, die Glocke zu componiren – ein rein didaktisches Gedicht singen zu lassen – nicht vorwurfsfrey. Wie soll Musik diese mannigfaltigen Ideen und Reflexionen bezeichnen? sie, die ewig nur das Gefühl, nie das Denkvermögen ansprechen kann? und tritt nicht eben so die reiche, plastische Entwickelung, welche der Sprache möglich war – tritt nicht auch sie aus dem Gebiete der Tonkunst heraus? – Noch unglücklicher gewählt scheint Ref. die Behandlungsart, welche Hr. R. gewählt hat. Schiller führt uns nur eine sprechende Person vor – den Meister, dessen Spruch während der Arbeit den ganzen Inhalt des Gedichts ausmacht. Dieser Spruch des klugen, durch die Vielseitigkeit seiner Betrachtungen und Nutzanwendungen so herrlich charakterisirten u. interessant gewordenen Meisters ist aber in R.s musikal. Behandlung in Dialog verwandelt, zerstückelt in mehrere Chöre, Solo’s, Duette und Arien, des Meisters und mehrerer andrer Personen – eine Ciceronianische Rede, ein Monolog – dialogisirt! Bald wird ein Stück der Rede zum Chor: „zum Werke, das wir ernst bereiten,geziemt sich wol ein ernstlich Wort“bald ein andres zum Sopran-Solo:„denn mit der Freude Feyerklange“bald Tenor-Solo:„vom Mädchen reisst sich stolz der Knabe“ u. s. w.Auf solche Weise geht uns aber der tiefe Ernst dieses Gedichts, seine Würde und Bedeutung, grösstentheils verloren. Es war allein des Meisters Wort, welches wir bey Schiller vernahmen, und alles ist ruhig erwartend, nicht Gesellschaft und Conversation: denn er ist der weiseste, ihm horchet der ganze Kreis, und so entwickelt sich die vielfache Lehre aus seinem Munde beym Glockengusse, wie aus Einem Gusse. Hier aber gehen die Betrachtungen, die aus Einem tiefen, gesammelten Gemüthe quellen, durch einander von verschiedenen Individuen aus, ohne dass auch nur dem Ganzen irgend ein Plan, irgend eine Bedeutung abzugewinnen wäre. Noch mehr! die Bilder, die Schillers Sprecher seinen Zuhörern beschreibend zu Gemüthe führt, lässt Hr. Romberg dramatisirt wirklich aufführen, denn – der Sprecher schweigt, und ein Chor singt: „Hört ihr’s wimmern hoch vom Thurm?das ist Sturm!“ –„welch Getümmel, Strassen auf“ etc.dahingegen wird die Stelle:„O, dass sie ewig grünen bliebe,die schöne Zeit der jungen Liebe!“förmlich als Duett behandelt, zwischen Sopran und Tenor – wahrscheinlich des Meisters Tochter und dem Obergesellen! – Ja, nicht blos das grosse Ganze – auch manches kleinere untergeordnete Ganze ist durch die Oeconomie der Eintheilung in Musikstücke verschiedner Besetzung, zerrissen; wie z. B. der Brand – am ärgsten an folgender Stelle: Meister: (Recitat.:)„Einen Blick etc.Was Feuers Wuth ihm auch geraubt – “ Meister, (Recit.) fährt fort:„Er zählt die Häupter seiner Lieben,und sieh! ihm fehlt kein theures Haupt.“Dahingegen geht es von hier, wo ein Ruhepunct so wohlthätig angebracht gewesen wäre, und wo gewiss jeder Declamator beym Vorlesen diesen anbringen wird, nach einer einzigen Taktpause, gleichsam in einem Athem zur neuen Anrede an die Gesellen in Betreff der Gussarbeit fort: „In die Erd’ ists aufgenommen“Wär’ es denn, wenn doch einmal dies Gedicht componirt werden sollte, und, der nöthigen musikalischen Abwechselung wegen freylich nicht als Cantate für eine Stimme ganz allein componirt werden konnte – wäre es dann nicht wenigstens immer noch schicklicher gewesen, blos Chöre an geeigneten Stellen einzelne Phrasen dem Meister nachsprechen, durch musikal. Rhetorik ausführen, und so deren Inhalt gleichsam bestätigen zu lassen? So offen indessen Ref. sich zu einer von Hrn. Rombergs Behandlungs-Art abweichenden Ansicht bekennt, so weit entfernt ist er doch, darum den Werth einzelner, an sich schön aufgefasster und eindringlich wiedergegebner Stellen, zu verkennen; wie z. B. des Duo: „O, dass sie ewig grünen bliebe“(wenn man es, ohne Beziehung auf das Ganze, als zweystimmigen Satz betrachtet;) dann der Stellen:„Hoch über’m niedern Erdenleben“und:„die ihren Schöpfer wandelnd loben“so wie, dass mehrere Tonmalereyen wohl getroffen sind, namentlich – das Schnarren der Spindel, das Blöcken der Hämmel, des Hirten Flöte und Horn, das Strömen des Regens, der Schleifer zum Bauerntanz, das Knarren des geschlossen werdenden Stadtthors, das Glokken-Gebaumel etc. Weniger bedeutend waren: Haydn’s Chor, der Sturm, und Danzi’s Cantate: Preis Gottes – jener ohne Zweifel eine Jugend-Arbeit des später erst so gross gewordnen Tondichters – ein fortwährender, ziemlich einförmig rauschender Chor, Allegro 3/4 Takt D moll, blos einigemale unterbrochen von einer sanftern und langsamern Dur-Stelle: Ruhe! kehre wieder! – Die Danzi’sche Cantate ist für die concertirende Sopran- und Tenorstimme, mit unbedeutenden Chören, ungefähr im alten Oratorienstyl geschrieben, und so, wie der würdige Danzi in neuerer Zeit wol schwerlich mehr schreiben möchte. Nächst diesen grossen Vocalstücken verdienen die Symphonien vorzügliche Erwähnung. Den ersten Abend eröffnete die, bis jetzt hier noch nicht öffentlich gehörte Symphonie aus B dur des musikal. Jean Paul, Beethoven – ein Werk, vom Componisten mit eben der Originalität und Energie ausgestattet, welche die frühern Productionen seiner Muse bezeichnen, ohne der Klarheit durch Bizarrerien zu schaden, welche manches seiner Werke, vorzüglich z. B. seine Pastoral-Symphonie und seine Eroica entstellen – ein Werk, welches an Genialität, Feuer und Effect nur der Symphonie aus C moll, an Klarheit nur der ersten aus C dur nachsteht – an Schwierigkeit der Execution aber keiner. Sie wurde – und dies ist immer kein unbedeutendes Lob – mit grosser Kraft, nicht wenig Präcision, und nicht ohne Delicatesse ausgeführt; besonders wohlthätig wirkten die hier noch so gut besetzten Blase-Instrumente: und so war denn auch die Wirkung auf die Zuhörer erwünscht; das Publicum applaudirte jedem Satze, und bewies dadurch von neuem, wie empfänglich es für gute Ensembles ist. – Im folgenden Concerte hörten wir Eberls Symphonie aus Es dur. Diese ist vom Ref. schon vor mehreren Jahren, als der für die Kunst leider zu früh verblühete Componist sie (damals noch Manuscript) bey seiner hiesigen Anwesenheit aufführte, in der allg. mus. Zeit. mit gebührendem Lobe besprochen worden; und auch die heutige, recht gelungene Aufführung des Werks bestätigte das günstige Urtheil, welches ihm früher zu Theil worden war. Auch den dritten Abend schmückte, wie die beyden erstern, wenigstens Ein vorzügliches und neues Ensemble-Stück: Beethovens hier noch nie öffentlich, sondern nur einigemale im hiesigen Museum gehörte Symphonie aus C moll – ein Glutstrom, der im ersten Satze, als in sich selbst noch zurückgedrängtes, nie ganz ausbrechendes Feuer erscheint, im Andante (mehr grandiös als weich) nur zu höhern Kraftäusserungen vorbereitend auszuruhen scheint, im 3/4 Takte des Finale (ein ahnungsvolles Pianissimo, nur durch einzeln aufstrebende, bald wieder abbrechende Forte’s unterbrochen, und wieder in der Tonart C moll) immer mehr die Nähe des endlichen Ueberströmens seiner Macht verkündet, diese endlich, nach einem langen, spannenden Orgelpunct auf der Dominante mit dem Eintritte eines breiten 4/4 Taktes in C dur, in herrlicher Verklärung entfaltet, mit allem Aufwand der prachtvollsten Instrumentirung seinen stolzen Gang wie einen Triumphzug schreitet, die höchste Stufe der Erhabenheit erreicht, und nach dem mächtigen und breiten, den End-Accord bis zur höchsten Befriedigung wiederholenden Schlusse, im Gemüthe des Zuhörers eine Erhebung zurücklässt, welcher sich der Total-Eindruck sehr weniger anderer Symphonien vergleichen darf. – Mit wahrhaft einziger Genialität hat Beethoven hier die Contraste verschiedener Takt- und Tonarten benutzt: der erste Satz ganz auf ein Thema von 4 Noten auf 2 Tönen gegründet – die hier, und vorzüglich im Andante vorkommenden verlängerten Rhythmen – die im letztern (an sich zwar aus As) mehrmals erscheinenden vorläufigen Andeutungen der Tonart C dur in den eingeflochtenen Trompeten-Themen, gleichsam voreilende Aufwallungen verhaltnen Muthes – der Anfang des Finale, noch in weicher Tonart, (zwar ziemlich schneller 3/4 Takt, aber darum doch nichts weniger als Scherzo,) dessen anhaltendes Piano, in der Folge dessen Wiederholung im dürresten Pizzicato (hier nicht Haydnscher Humor, nicht Beethovensche Bizarrerie, oder Jean Paulscher „Bocksfuss:“ sondern mit Besonnenheit berechnet auf Erhöhung der Spannung) – und nach diesem allen denn endlich das vereinte Eintreten aller Bedingungen, welche die höchste Befriedigung zu gewähren vermögen: der vollkommensten Taktart, der breitesten abgerundetsten Rhythmen, der reinsten und befriedigendsten Tonart. – – In den folgenden Concerten hörten wir, ausser einigen bekannten, gediegenen Haydnschen und Mozartschen Symphonien, Eberls 2te in D moll, Krommers erste in D, eine v. Tomaschek, und die Spohrsche erste, aus Es, deren Adagio und Finale vorzügliche Wirkung thaten, und Beethovens grosse, aus B dur, dessen Ouverture zum Coriolan, und die zu Cherubini’s Anacreon – sämmtlich, (mit einigen Ausnahmen) präcis und gut executirt. – Als Concertisten bewährten die Hrn. Eichhorn, Eisenmenger und Frey auf der Violin, die Hrn. Appold und Janson auf der Flöte, Hr. Ahl auf der Clarinette und Bass-Clarinette, Hr. Arnold auf dem Fagott, die Hrn. Ahl u. Dikhut auf dem Horn – ihre bekannte Virtuosität. Der junge Carl Nicola interessirt sehr durch trefflichen Vortrag selbst geschriebner Violinconcerte; und der junge Appold, seitdem als erster Flötist bey der herzoglich Nassauischen Hofmusik angestellt, nähert sich mit starken Schritten der ausgezeichneten Vituosität seines Vaters und Lehrers. – Freyfrau von Sekendorf bewies grosse Geläufigkeit, Sicherheit und Präcision im Vortrag eines Rösslerschen Klavier-Concerts. Sie schadete der Wirkung ihres Spiels durch zu häufiges Aufheben der Dämpfung in Läufen etc. wodurch diese die Nettigkeit und Deutlichkeit verlieren, welche sie bey so ausgebildeter Kunstfertigkeit ihnen zu geben ohne Zweifel im Stande ist. Eine angehende Concertspielerin, Dem. de Bihl, Schülerin unsers trefflichen Klavier-Lehrers, Meissenberger, verspricht, und leistet auch schon ungemein viel. Verschiedne Arien und Duette von Mad. Beck, Dem. Frank, den Hrn. Lieber und Müller, Hrn. und Mad. Werner (ich wähle hier, wie oben, die Ordnung alphabetisch) vorgetragen, verdienen Ehrenerwähnung. Die Namen derer, welche in Oratorien und sonstigen Ensembles die Hauptpartien sangen, nenne ich nicht, weil diese hier nicht singen, um sich hören zu lassen, sondern die Composition, und ein grösseres Verdienst in dieses setzen, als in jenes. Der Beschluss folgt.