## Title: Max Maria von Weber an Ida Jähns in Berlin. Dresden, zwischen Mittwoch, 21. März und Mittwoch, 20. Juni 1855 ## Author: Weber, Max Maria von ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A046410 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ […] Es ist ein Zeichen der Zeit, daß ausführliche Korrespondenzen, so wie sie in früheren Jahren geführt wurden, solche mit Austausch aller Ideen und Gefühle, immer seltener werden, und der Briefwechsel sich immer mehr auf Mitteilung von Tatsachen beschränkt. Die große Erleichterung des Sichsehens und -sprechens durch die Verbesserung der Verkehrsmittel ist Schuld daran, und in einigen Jahren, nach dem Aussterben der Generation, die noch in der Zeit mühsamen Verkehres lebte, wird jeder derartige Austausch in eben dem Maße aufhören, wie er schon bei unsern praktischen Nachbarn, den Engländern und Franzosen, erloschen ist. Das heißt, die Anzahl der Briefe bei diesen Völkern ist größer als in Deutschland; sie haben aber ganz andere Tendenzen, und nach dem Inhalt gehen acht bis zehn englische Briefe auf einen deutschen. Durch die Verminderung der Korrespondenz erwächst nun einerseits der Wissenschaft und Kunst ein Schaden; andererseits aber wird dem, der gleichmäßig produzieren will, eine Ursache schlimmer Zeitzersplitterung beseitigt, wie sie jeder Briefwechsel von auch nur mäßigem Umfange im Gefolge hat. Deshalb sind einige sehr tüchtige Größen im vorigen und im Anfange des jetzigen Jahrhunderts lediglich an ihrer Korrespondenz zu grunde gegangen; denn sie haben ihre besten Gedanken, ihre letzten Kräfte pfennigweise in Briefen ausgegeben und sind darüber nicht dazu gekommen, den großen Reichtum eines allgemeinen wertvollen Werkes zu sammeln. […] Mein Leben seit meinem schönen Herbstausflug nach Algier, ist trubulös genug hingegangen, sowohl in privater als amtlicher Beziehung. Die Behörde, der ich angehöre, ist umgestaltet worden, hat neue Geschäftskreise erhalten; die Herausgabe meiner Schrift über Algier hat mir mit allem Drum und Dran mehr Mühe gemacht, als ich irgend befürchtet hatte; ich bin zu Zeitungsartikeln über Algier veranlaßt worden, habe für technische Journale liefern müssen; kurz, ich habe mehr gearbeitet als jemals. Dabei hat, meinen Grundsätzen getreu, ein kräftiger, anregender, Leib und Seele zusammenhaltender materieller Genuß auch sein vollgeltendes Recht geübt, und so ist mir wahrlich keine Zeit geblieben, den „Fechter von Ravenna“ zu verfassen, den mir die Zeitungen zuschreiben und den ich sehr gern geschrieben haben möchte, da er ganz Wien entzückt. – Die Nachklänge meiner Reise klären sich jetzt von den fatalen Empfindungen ab, welche mir die Jagd durch die Cholera verursachte. Die wunderbare Kunst, vor der ich in Venedig, Padua, Verona, Mailand, Mantua gekniet habe, umgibt sich mit dem Glanze des lombardischen Himmels wie mit einer Gloria und verklärt mir jede Minute, die ich der Erinnerung widme; die neuen Naturwunder, welche mir der Weg durch die Alpen enthüllte, haben meiner Seele Frische gegeben, obwohl ich sehr wohl fühle, daß ich in das reife Mannesalter getreten bin, wo eigentlich nur noch der Mensch, sei es durch Schönheit oder Geisteskraft, bestimmend und dauernd anregend auf den Mann wirken kann. Natur und Kunst beginnen in dieser Lebensperiode immer mehr nur den Hintergrund zu bilden, auf dem das Meisterstück des Schöpfers, der Mensch, erscheint. Sie können das auch im Bildungsgange aller soliden Geister verfolgen, wie z. B. bei den besten Dichtern das Durcharbeiten vom Lyrischen zum Dramatischen mit dem Alter. […] Daß Max das Examen gut bestanden hat, freute mich herzlich zu hören, obwohl ich es nicht anders erwartet hatte; denn es ist ein ganz gescheidter, braver Junge. Weniger habe ich erwartet, daß er sich in der kleinlichen Misere seines neuen Standes so leicht zurecht finden würde; hoffentlich kommt der Eindruck davon nicht noch nach, wenn erst die Neuheit dahin ist. Daß Max den Leuten und daß ihm die Welt gefällt, finde ich ziemlich natürlich; denn er ist eine ganz jungfräuliche Natur, und diese gefallen schon ihrer Seltenheit wegen, wie ihnen durch die Brille ihrer Unschuld die Welt behagt. Solche Menschen sind liebenswürdig, aber selten auf die Dauer glücklich. – Ich wünsche Max das Allerbeste. Daß er auch in Aachen wenigstens doch einige Personen gefunden hat, die nicht ganz nur Rheinländer sind, freut und wundert mich; denn eigentlich ist es in Aachen mit dem Sinn der Kunst, Wissenschaft und Literatur nicht besser bestellt, als in manchem ganz kleinen Nest bei uns in Ostdeutschland. Hoffentlich wird Max nicht noch enttäuscht; denn ein Rheinländer sieht allemal zuerst nach viel mehr aus, als er ist. […]