WeGA, Briefe, Digitale Edition Max Maria von Weber an seine Familie in Dresden<lb/>Paris, Sonnabend, 1. bis Mittwoch, 5. April 1865 Weber, Max Maria von Veit, Joachim Stadler, Peter

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berichtet seiner Familie vom Kaiser‑Empfang einiger Kongressteilnehmer und seinem persönlichen Gespräch mit Napoleon III. und dessen Gemahlin im Tuilerien‑Palast u. weiteren Begegnungen und Erlebnissen in Paris In abweichender (in Details auch widersprüchlicher) Form schilderte Max Maria von Weber dieselben Erlebnisse auch in seinem Aufsatz Eine musikalische Erinnerung an Napoleon III., in: Neues Wiener Tagblatt, 1875, Nr. 165 (16. Juni), Morgenblatt, S. 1–3, in überarbeiteter Version in: Ders., Schauen und Schaffen. Skizzen, Stuttgart und Leipzig 1878/79, S. 21–37. Mein hiesiges Leben hat seinen Glanzpunkt in reizender Weise erhalten

D; Dresden; Stadtmuseum; SMD SD 2015 00330

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Paris, Sonnabend 1. April1865 Ihr Herzlieben

Mein hiesiges Leben hat seinen Glanzpunkt in reizender Weise erhalten. Ich bin dem Kaiser u. der KaiserinEugenie von Montijo (1826–1920), verheiratet seit 30. Januar 1853 mit Napoleon III., gemeinsamer Sohn Louis (1856–1879), seit 16. März 1874 Napoleon IV. vorgestellt und in bezaubernd liebenswürdiger Weise aufgenommen worden. Was sind das für ein paar wunderbare Menschen. Diese verschlossene und doch so unendlich vertrauenerweckende Größe in ihm und dieser bestrickende, unendliche Liebreiz in ihr!! Ich bin auch in eigenthümlicher Aufregung davon. Doch laßt Euch in Ordnung erzählen. Am Donnerstag bekam ich, der Preußische, Östreichische, Russische und noch einige wenige Mitglieder der Conferenz ein Schreiben mit großem kaiserlichen Siegel vom Großceremonienmeister, daß der Kaiser befohlen habe ihm einige hervorragende Mitglieder der Conferenz vorzustellen. Dabei lag ein Billet des Minister Denin de l’LhuisVermutlich gemeint der damalige Außenminister Édouard Drouyn de Lhuys (1805–1881), daß ich ja nicht fehlen möge, da der Kaiser von meiner Anwesenheit in der Zeitung gelesen habe u. mich sehen wolle. Nun war ich in großer Noth da auf der Einladung stand: Uniforme de rigueur, d. h. in Uniform zu erscheinen. Ich hatte ja keine mit! — Doch Gott wollte mir wohl. Abends traf ich Herrn von SeebachAlbin Leo Graf von Seebach (1811–1884), sächsischer Diplomat, ab 1852 sächsischer Gesandter in Paris. in Gesellschaft und klagte ihm meine Noth. Da rief er: Ich werde Ihnen helfen können! Der Legationsrath von LüttichauFriedrich August Kurt von Lüttichau (1815–1885), Kgl. Sächsischer Kammerherr, Legationsrat ist von ihrer Größe und soll Ihnen morgen seine Uniform schicken. — Am andern Mittag erhielt ich sie denn auch und — sie saß wie angegossen! Die Vorstellung war für Abends halb 10 bestellt und mit sehr eigenen Empfindungen fuhr ich um 9 Uhr mit dem Obersten von Chavrin nach den Tuilerien. Wir wurden von einer Lakaienschaar in ein kleines sehr trauliches mit Gobelins tapeziertes Gemach geführt in das das Gebrause einer großen Gesellschaft herüberdrang, die im großen Saale an der Tafel des Kaisers aß. Wir waren im Ganzen acht an der Zahl. Nachdem wir hier ein Wenig gewartet hatten, kam der Großceremonienmeister Fürst MontebelloLouis Napoléon Lannes, zweiter Herzog von Montebello (1801–1874), französischer Diplomat und Politiker herein und entschuldigte ungeheuer höflich, daß wir warten mußten, der Kaiser würde aber gleich von der Tafel aufstehen und uns dann in den Gemächern der Kaiserin empfangen. Noch ahnten wir nicht daß wir das Glück haben sollten auch von der holden Frau empfangen zu werden. Gleich darauf kam aber ein Kammerherr und geleitete uns in ein nicht großes aber entzückendes anstoßendes Gemach, so schlicht u. formlos, daß wir fast erschraken, als uns hier der Kaiser, die Kaiserin an der Hand führend entgegentrat. Er begrüßte jeden der eintrat aufs freundlichste u. die Kaiserin machte jedem einen Knix mit einer bezaubernden Freundlichkeit. Der Kaiser ist kleiner als ich aber kraftvoll sieht frisch und munter aus und von den bekannten Spitzen von Bart ist Nichts zu sehen. Das Haar stand ihm etwas struppig empor. Seine Stimme ist tief, sonor und kraftvoll, sein blaues Auge sieht einem klar ins Gesicht und es ist um den Mund u. die Augen ein Zug von hohem Wohlwollen. Wo nehme ich aber Worte her die süße Kaiserin zu schildern. Sie ist weit schöner als jedes Bild was ich von ihr gesehn habe, nicht sehr groß aber wundervoll gebaut. Sie trug ein schwarzes Sammtkleid ganz schlicht, das sehr tief ausgeschnitten den herrlichen Oberkörper mehr als gut zeigte.Die Arme waren ganz blos, so daß über die Schulter nur ein Sammtstreifen ging. Auf der Brust trug sie einen Diamantstern. Auf dem Kopfe ein kronenartiges Diadem von senkrecht aufsteigenden Diamantstrahlen, aus dem hinten ihr herrliches goldenes Haar in dicken Locken hervorquoll. Ein kleiner kurzer mit Silber durchwebter schwarzer Schleier lag auf dem Haare. Hinter ihr standen drei wunderschöne ebenfalls schwarz gekleidete Hofdamen. Beide hohe Personen traten nun auf uns zu und sprachen uns mit einer Freundlichkeit, Natürlichkeit u. Sicherheit an, daß es war als hätte man sie längst gekannt. Bei der Kaiserin, die einen schwarzen kleinen Fächer in den herrlichen kleinen handschuhlosen Händchen hielt mit dem sie oft lachend in die linke Hand schlug hatte die Freundlichkeit besonders in der Verbeugung u. dem Aufschlag der Augen fast einen Anflug von Koketterie. Ich hatte Zeit zu beobachten, da die Herrschaften mit mehreren vor mir sprachen. Endlich traten sie an mich heran ich wurde dem Kaiser genannt u. bei meinem Namen winkte mir die Kaiserin so lieblich grüßend zu, daß mir ganz sonderbar wurde. Ich habe mir gleich jedes Wort aufgeschrieben was beide mit mir sprachen. Der Kaiser faßte mich fest ins Auge u. sagte: Nach dem Bilde müssen Sie Ihrem Vater gleichen! Er fragte mich nun nach meinem Fache und als die Kaiserin hörte daß ich Ingenieur sei, fiel sie ihm ins Wort u. sagte: da müssen Sie ja jedenfalls in 2 Jahren zur Industrieausstellung wiederkommen. Und als der Kaiser sagte, daß er noch nicht wisse, wo das Gebäude hinkommen solle, da seine Minister es nirgend dulden wollen lachte die Kaiserin und sagte indem mich ihr Lachen und die Form des Mäulchens u. die Zähne lebhaft an die Sardi erinnerten; ich werde Herrn von Weber den Plan des Gebäudes demonstrieren! Schlug ihren Fächer auseinanderhielt ihn mir vor die Augen und sagte: Voila cʼest le plan! Das Gebäude wird nämlich fächerförmig angelegt, und nun fuhr sie mit ihren spitzen rosigen Fingerchen auf dem Fächer herum und deutete mir an wie Alles angeordnet werden solle und hielt dazu das diamantengekrönte reizende Köpfchen schief u. sah zu mir lächelnd auf — daß ich dachte ich träumte. Der Kaiser war indeß weiter gegangen und hatte mit andern gesprochen. Die Kaiserin war aber mit ihrer Erklärung noch nicht fertig als er wieder zu uns trat und sagte: Ja, Ja an die Melodien des Freischütz knüpfen sich meine bittersten u. süßesten Erinnerungen. Wie oft habe ich meine arme Mutter Wir winden dir den Jungfernkranz singen hören während sie ihre Dornenkrone trugSeine Mutter Hortense de Beauharnais (1783–1837) war mit Louis, dem jüngeren Bruder von Napoleon Bonaparte, in unglücklicher Ehe verheiratet (Trennung 1809); dennoch unterstützte sie ihren ehemaligen Schwager bei dessen kurzfristiger Rückkehr an die Macht 1815 und wurde nach seinem Sturz aus Frankreich verbannt. Darauf spielte der Kaiser vermutlich mit der Dornenkrone an. Sie erwarb ein Anwesen in der Schweiz und lebte dort bis zu ihrem Tod.. Wen haben Sie denn jetzt in Deutschland? Ich nannte Wagner. Da schnitt er ein Gesicht und lachte und sprach sich nicht freundlich über ihn aus. Dann fragte er mich auch nach unsern Dichtern und so sprachen die hohen Herrschaften freundlich u. anspruchslos mit mir wohl 10 Minuten lang, so daß ich mir immer ins Gedächtniß rufen mußte, das der kleine Mann der mir so treuherzig ins Gesicht sprach, das nächst Gott mächtigste Wesen sei, das wir kennen. Endlich grüßte er mich aufs freundlichste dann auch die andern Herrn (die mich sehrdreifach unterstrichen beneideten). Die Kaiserin machte einen tiefen Knix mit lieblichster Grazie und der Kaiser sagte: Nun lassen es sich die Herren in meinem Kreise noch eine Stunde gefallen! und schritt mit der Kaiserin am Arm in den großen Saal wo brausende Gesellschaft von wohl tausend Menschen war. Wir alle aber sahen und hörten nicht viel u. Herr von LavernelleFraglich ob Jean Annet de Bonfils de Lavernelle (1795–1870), Officier des cuirassiers de la garde, oder François Joseph Annet de Bonfils de Lavernelle (1828–1901) sagteganz mit Recht: es geht den Herrn wie Allen die mit den Beiden zusammenkommen; halb sind sie behext und halb verliebt! — Wie viel muß ich Euch noch davon erzählen. Die Reihe der Eindrücke, die mir die letzte Zeit gegeben hat, ist wahrhaft unermeßlich.

Mittwoch den 5ten früh

So eben erhalte ich Euren lieben Brief und eile den meinigen zu schließen damit er heut fortkommt. Das Wetter ist seit 5 Tagen so himmlisch hier, daß ich ohne allen Überzieher selbst Abends ausgehe. Auf den Boulevards sitzt alles im Freien bis spät Abends. Es ist eine von Allen merkwürdig bevorzugte Stadt. Jetzt wird es mir fast schwer fortzugehen, da ich eingewohnt bin u. dieses glänzende Laterna magica Schauspiel zu Ende geht. Die Zeit seit Sonnabend war wieder sehr reich. Sonntag hatte ich reizendes Dinner u. nach reizenderen Abend (bis ½ 3 Uhr) bei Szavardy wo die süße kleine FrauWilhelmine Clauss-Szarvady (1834–1907). Pianistin, heiratete 1855 den ungarischen Publizisten und Diplomaten Frigyes Szarvady (1822–1882) und lebte seitdem mit ihm in Paris. die huit pièces a 4 mains von Papa, die Schmoll u. Rübezahl Ouvertüre etc mit SchulhoffJulius Schulhoff (1825–1898), Pianist und Komponist, lebte ab Mitte der 1840er Jahre in Paris, ab 1870 in Dresden, später in Berlin zusammen köstlich spielte. Montag gab mir zu Ehren mein alter steinreicher Freund PerdonnetAlbert Auguste Perdonnet (1801–1867), französischer Ingenieur und Eisenbahnpionier in seinem prächtigen Hôtel in der Rue de Calais ein superbes Diner, wozu er wie er sagte die Enfants terribles der Pariser Presse eingeladen hatte. Die Herrren waren höchst amüsant, das Diner herrlich (wir 10 Herren verzehrten für 100 Fr. Erdbeeren!) und ich machte einige mir sehr nützliche Bekanntschaften. In den Zeitungen ist hier mehr als mir lieb ist die Rede von mir u. ich bringe Euch einige Blätter mit. Gestern endlich gelang es uns gegen Entree von 12 Fr à Person das neue Zauberstück der Porte St. Martin die Biche au boisLa biche au bois ou Le royaume des fées, vaudeville-féerie in 4 Akten von den Brüdern Théodore (1806–1872) und Hippolyte Cogniard (1807–1882), Musik komponiert bzw. arrangiert von Auguste Pilati (1810–1877), uraufgeführt im Théâtre de la Porte-Saint-Martin in Paris am 29. März 1845. zu sehen. Da hört alle Beschreibung auf! Das ist wirklicher Zauber der höchsten Schönheit. Ich war ganz verdreht von dem Unerhörten was ich gesehen hatte. Nur mündlich mehr davon. Nur soviel daß man z. B. einen ganzen Akt in einem Wasserfalle drin steckt, der sich von wirklichem Wasser in der ganzen Breite der Bühne herab ergießt, während darunter das Stück im Wasser spielt.

Sonntag Abend so Gott will, denke ich von hier abzureisen Montag u. Dienstag in Carlsruhe zu bleiben u. Mittwoch Mittag bei Euch zu sein. Wie schlägt mir das Herz bei dem Gedanken Euch wieder zu umarmen! — Doch kann sich darin noch manches ändern. Jedenfalls telegraphire ich Euch wenn ich abfahre. Möge ich daheim Alles wohl finden. Schickt mir Nichts mehr hierher. Freuen würde ich mich aber in Carlsruh bei Devrient eine Zeile von Euch zu finden. Jetzt muß ich laufen mich photographiren lassen, denn ich brauche hier mindestens 24 Bilder zum Austausch. Für M.'a werde ich mir noch ein Bild von PassiniMöglicherweise der überwiegend in Paris lebende italienische Maler Alberto Pasini (1826–1899), dessen Bilder mit orientalischen Sujets reißenden Absatz fanden. unterschreiben lassen.

Gott mit Euch Ihr Herzlieben! Grüßt mir alle Freunde herzlich Aki, Hagen, Ochs, Fugl nicht zu vergessen. Mit der unendlichsten Liebe umarmt u. küßt EuchEuerPas u. Alfi