## Title: Wilhelm Pötzsch an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin. München, Donnerstag, 25. Mai 1882 ## Author: Pötzsch, Wilhelm ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A044397 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Sr. Hochwohlgeb. Herrn Professor Fr. W. Jähns in Berlin. München, 25. Mai 1882. Hochgeehrter Herr Professor! Erlauben Sie mir ohne viele Umschweife Ihnen zu sagen, daß ich Sie als Autorität in Bezug auf Beurtheilung C. M. v. Weber'scher Werke betrachte, u. mir deßhalb in folgender Angelegenheit Ihre Ansicht u. Ihren Rath erbitten möchte. . — Ich beabsichtige, die von Weber im Jahre 1811 hier für Weixelbaum componirte Arie für Tenor mit Chor „Qual altro attendi“ im Druck, d. h. in Partitur, sowie im Clavierauszug mit dem ursprünglichen italienischen Text u. einer deutschen Uebersetzung herauszugeben. — Sie führen in Ihrem vortrefflichen Buche „C. M. v. Weber in seinen Werken“ pag. 149 selbst an, daß diesselbe bisher ungedruckt ist; u. wenn auch diese Arie nicht auf der künstlerischen Höhe der übrigen fünf steht, so dürfte doch die Veröffentlichung derselben bei den vielen Verehrern Weber's, sowie überhaupt in der Musikwelt ein musikalisch-historisches Intresse unweifelhaft erwecken. | Sie sagen in Ihrem Buche im Verlauf der näheren Besprechung der Arie: Die Münchner Musikalische Akademie besitze eine Abschrift des Autographs Ich möchte nach vorhergegangener Vergleichung mit mehreren aus dieser Zeit stammenden Handschriften Webers fast mit Bestimmtheit behaupten daß diese, der Mus. Akad. gehörige Partitur-Abschrift von Webers Hand selbst herrührt, wie ja des öftern vorkommt, daß Weber eine Partitur zwei mal geschrieben. — Auch Prof. C. Bärmann dahier, der ja mehrere Manuscripte aus demselben Jahre besitzt, sowie der Sekretair der königl. Musikschule, welche ich hierüber befragt, stimmten in der Hauptsache meiner Ansicht bei. Jedenfalls aber, (u. das steht zweifelsohne fest) hat W. diese Partitur bei der damaligen Aufführung (25. Nov. 1811) benützt, weil sich verschiedene von W. Hand herrührende Abänderungen mit Bleistift, sowohl in der Partit. als auch in den Stimmen befinden. Die Letzteren sind mir bei Anfertigung der Partitur u. des Clavierauszuges maßgebend gewesen, u. ich glaube umsomehr den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, da ja das 1. Manuscript (in M. M. v. Webers Händen) unvollständig, u. auch unsre Partitur fehlerhaft ist, es fehlen | sogar 2 Takte in derselben. — Nur eins kann ich nicht recht begreifen; Sie sagen, die Arie zähle zusammen 226 Takte, ich habe aber nach genauem Vergleich mit allen 1811 benützten Stimmen nur 217 Takte (mit Einschluß der 2 fehlenden) gezählt. Es würde mich ungemein intressiren, zu erfahren, ob Ihre Abschrift nach der unsrigen, oder nach den Stimmen, oder nach dem 1. Autograph (in Wien) gemacht wurde. Könnten Sie mir vielleicht auch Aufschluß geben, wohin die Bibliothek des im vorigen Jahre verstorbenen Max M. Freiherrn v. Weber in Wien gekommen ist, (vielleicht gar nach England?) Die italienischen Worte der Arie entstammen einem Operntext „Demetrio“ von Metastasio (1. Akt, 15. Scene.) Ob Weber außer dieser Arie noch etwas andres aus diesem Demetrius componirte ist mir unbekannt; dürfte aber für Sie vielleicht von Intresse sein, darüber nachzuforschen. Ich komme nun noch auf einige Kleinigkeiten, bezügl. Abweichungen zwischen Partitur u. Stimmen zu sprechen. Auf pag. 13 der Part. ist bei der Stelle ist ursprünglich auf dem Takt B „Allegro“ gestanden, was aber in allen Stimmen zweifelsohne von W. Hand in „Adagio“ corigirt worden ist, | ebenso sind auch im Takt C die Noten des Streichquartetts auf dem 4. Viertel ausgestrichen, so daß der Akkord nur von 2 Fagotte geblasen wird u. das Quartett erst im Takt D einsetzt. Vielleicht dürfte mit dem „Adagio“ ein Moderato gemeint sein, welches den Uebergang bis zum Tenorsolo „Vorrei“ vermitteln soll — Der der Arie beigefügte 3stimmige Chor dürfte nun allerdings für die Zwecke einer leichtausführbaren öffentlichen Aufführung etwas im Wege stehen u. dadurch auch die Verbreitung der Arie sehr in Frage gestellt sein, denn es ist nicht immer anzunehmen, daß man ohne besondere Unkosten zu einem Concertenor auch einen Chor zur Verfügung hat. — Obwohl der Chor, wie Sie ja ganz treffend bemerken, die Gesammtwirkung sehr erhöhen dürfte, ist er doch im Nothfalle nicht absolut nothwendig, wenn man die betreffend. 10 Takte überspringt. Ich, würde Sie nun, hochverehrter Herr Professor höflichst ersucht haben, mir über die Differenz der 226 oder 217 Takte sowie über das oben angeführte, als auch die nothfallsige Hinweglassung des Chores einige Zeilen gütigst zukommen zu lassen u. mir Ihre Ansicht darüber mittheilen zu wollen. Indeß ich auch wegen der mir genommenen Freiheit um gütige Nachsicht bitte, zeichne Hochachtungsvollst ganz ergebenster Wilh. Pötzsch Bibliothekar der Musikalischen Akademie München, (Herrenstraße 36.IV.)