## Title: Hans Michel Schletterer an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin. Augsburg, Sonntag, 22. Juni 1879 ## Author: Schletterer, Hans Michel ## Version: 4.13.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A044259 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Augsb. 22. Juni. 1879. Hochverehrter Herr u. Freund Ich muß Ihnen als ein wahres Ungeheuer von Undankbarkeit u. Rücksichtslosigkeit erscheinen, da ich auf so viele, von freundschaftlichstem Entgegenkommen Zeugniß gebende Briefe, so wenig u. selten antworte. Allein das Schicksal hat mich arg am Ohr. Erst hat die Hochzeit meiner ältesten Tochter meine Zeit über Gebühr beansprucht, dann brach ein längst drohender Gelenkrheumatismus mit aller Macht bei mir aus, u. hat mich eine zeitlang völlig gelähmt, dann warf er sich auf die Brust u. ich ringe heute noch mühsam nach Athem. Kurzum, durch Wochen war ich zu jeder Arbeit untüchtig. Seien Sie nachsichtig mit mir! Die tiefste Dankbarkeit gegen Sie erfüllt mich u. ich wünschte nur, dass ich Ihnen dieselbe, wie ich sie empfinde, auch aussprechen könnte. Doch nun zur Beantwortung Ihrer freundl. Briefe. Es geht mit verbindlichstem Danke an Sie an | bei zurück: 1. Das Libretto der Silvana. 2. Das des Abu Hassan. 3. Gedrucktes Textbuch des Abu Hassan. 4. Englischer Zettel des Oberon. 5. Deutscher Zettel Diesem füge ich bei das Textbuch: P. Schmoll u. den Freischütztext 1822; wogegen ich von Ihrer gütigen Erlaubniß Gebrauch mache u. das Freischütztextbuch 1821 zurückbehalte. Zugleich wage ich in meiner unausstehlichen Weise schon wieder eine Bitte. In dem Schmolltext kommen einige gar so schlechte Verse vor, von denen ich nicht sagen kann, ob sie Druckfehler sind oder wirklich so komponirt wurden. Ich ersuche Sie nun höflichst in der Partitur an betreffender Stelle nachzusehen, die Korrektur nach derselben vorzunehmen u. dann das Textbuch unter Kreuzband direkt an Breitk. u. Härtel nach Leipzig abgehen zu lassen. Die in Rede stehenden Stellen finden sich (im neuen Textbuch) pag. 18, Z. 6. v. u. wär’ oder wäre? pag. 21. Z. 4. v. u. ’rein oder herein? An dieser Stelle spreche ich Ihnen auch meine Bewunderung über die prächtige Charakteristik der einzelnen | Nummern des P. Schmoll aus. Ist die kürzlich in den Besitz des Königs von Sachsen gekommene Part. der Oper P. Schmoll eine der beiden, von denen Sie in Ihrem Buche sprechen; oder ist sie eine neu zu Tage getretene? Diese Frage findet sich in Ihrem Briefe vom 13. v. bereits beantwortet. Bezüglich der Oberonaufführungen u. Besetzungen wäre es höchst wünschenswerth die erste Leipziger Besetzung auffinden zu können, da sie die erste deutsche war. Alle meine Bemühungen sie in L. aufzutreiben, waren vergebliche. Sollten Sie hier nicht auch Auskunft geben können? Über „Das Waldmädchen“ weiß ich gar nichts zu sagen. Goedeke gibt über F. G. Ritter von Steinsberg auch nur ganz unbestimmte Nachrichten; er läßt ihn in Prag geboren sein; seine schriftstellerische Thätigkeit fällt zwischen die Jahre 1781‒1798. ‒ Ich besitze die neuere Ausgabe des Silvanaklavierauszugs. Nun komme ich zu der leidigsten aller Geschichten, zu meiner Anfrage bezüglich der Mozart’schen Texte. Wie bedaure ich Sie damit behelligt zu haben u. wie soll ich Ihnen je meinen Dank für Ihre vielfachen Bemühungen in der Sache ausdrücken u. beweisen können? | Unglaublich ist die Mühe, die mir die Textbücherchenausgabe macht. Niemand wird diese Arbeit, die mich finanziell, körperlich u. geistig zu Grunde gerichtet hat, je würdigen können. Sie hat mich finanziell ruinirt, weil für eines dieser Bücher, das oft die Arbeit von 3‒4 Monaten repräsentirt (denn die aus fremden Sprachen übersetzten Texte, müssen, da sie nie zum Original stimmen, von mir alle neu übersetzt werden) nur ein Honorar von 20 Mk bezahlt wird. Ich bin begierig, was Sie zu Don Juan, Titus, Figaro u. Cosi fan tutte sagen; ich habe meine beste Lebenskraft an diese Arbeit gesetzt. Als ich den Idomeneo herausgab, hatte ich noch keinen Begriff von der Schwierigkeit der Sache; recht allmählig fielen mir die Schuppen von den Augen. So genügt mir denn sehr vieles des Gedruckten jetzt schon nicht mehr u. ersehne ich aus diesem Grunde eine Neuauflage, die aber gerade hier auf sich warten lassen wird. Aber bei Zampa u. den oben genannten Mozart’schen Opern hatte ich bereits erkannt, um was sichs handelte u. es wurde mir Ehrensache das Beste zu geben, was ich vermochte. Mit großen Kosten u. vieler Mühe habe ich gesammelt was an Mozart’schen Textbüchern mir erreichbar | war u. besitze ich von D. Juan allein 20 Bearbeitungen; aber die wichtigste, die von Neefe geht mir noch ab. Bitter in s. Mozart D. Juan-Übersetzung sagt p. 12 ausdrücklich, dass das Originalmanuscript in d. K. Bibl. zu Berlin sich befinde: „Der bestrafte Wollüstling oder Der Krug geht so lange zu Wasser bis er bricht“. 1789. Ihm lag dasselbe bei seiner Arbeit selbst vor. Eigentlich hätte ich nur an diesen mich wenden müssen. Bemühen Sie sich doch in der Sache nicht weiter; ich muß nur auskundschaften, wo Bitter gerade lebt u. in welcher Stellung. In meinem verwirrten Kopfe trug ich immer die Idee, daß Jahn über diese Übersetzung spräche u. wollte eben Ihnen die betreffende Notiz aus dessen Werk näher bezeichnen. Nachdem ich jedoch vergebens nachgesucht, besann ich mich, daß Bitter eingehend von dieser Sache handelt. Diesem Gewährsmann kann H. Dr. Koppermann sich nicht entziehen. Von Berliner D. Juan-Texten besitze ich eigentlich nur einen, den des Königsstädter Theaters v. J. 1843. Sollte Ihnen aus der Zeit um 1790‒1850 (oder 1870) gelegentlich einmal ein dortige Texte zu Handen kommen, würde ich über | ihre Mittheilung sehr dankbar sein, gerne auch jeden Preis dafür bezahlen. Bezüglich Lichtenstein od. Lichtenthal bin ich nun auch im Reinen. Als Verballhorner des Idomeneotextes ist der letztere anzusehen. Ein Pendant zu Ihrem treffl. Herr Bahrdt befindet sich in München. Ein Herr Her. Die beiden Herren müssen sich sehr ähnlich sehen. Her ist eine lebendige Theaterchronik, besitzt eine kolossale Zettelsammlung u. 4‒5000 Operntexte, mit rührend-zärtlicher Sorgfalt geordnet u. gepflegt. Für den Idomeneo-Text von Niese (den ich aber leider schon besitze; dagegen fehlt mir der von Treitschke) sowie das Juandeckblatt nachträglich besten Dank. Und nun, hochverehrter Herr u. Freund, wünsche ich Ihrer Kur besten Erfolg. Sie leiden also ohngefähr am gleichen Übel, wie ich. Das geht bei mir schon seit 9 Jahren so fort. In den ersten Jahren hatte ich wunderbare Wirkung von warmen Bädern (Pfäfers, Wildbad) aber in letzter Zeit treiben mir | dieselben mein Leiden immer auf die Brust, so daß ich aus dem Regen in die Traufe komme, wenn ich nothgedrungen die alten Hilfsquellen wieder aufsuche. Ist in Oeynhausen eine warme Quelle oder ist nur eine Kaltwasserheilanstalt daselbst? Doch jetzt werden Sie packen u. haben keine Zeit zum Briefschreiben. Nochmals besten Erfolg u. aufrichtigsten, herzlichsten Dank für alle mir bethätigte große Güte. Mit achtungsvoller Ergebenheit, bestens grüßend Ihr Dr. H.M.Schletterer.