## Title: Theaterbericht Dresden (Juni 1817) ## Author: Anonymus ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030017 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Dresden. Am 11ten Juny gab die deutsche Gesellschaft zum erstenmale das Waisenhaus von Weigl. Diese Musik ist bekanntlich eine der schönsten dieses trefflichen Meisters, und kann wol nur da nicht also befunden werden, wo man in den Inhalt und Zweck dieses Stückes nicht eingehen kann oder mag. Mad. Mieksch, als Therese, Aufseherin der Waisenkinder, gefiel dem Publicum eben nicht sehr, sowol im Gesange, als in der Declamation der deutschen Prosa, weil ihre Stimme jenem ganz entgegen war und sie auch in dieser Art von Schauspielen nicht eben die erforderlichen Kenntnisse hat. Hr. Genast, als Director des Waisenhauses, zeigte die nämlichen Eigenschaften, wie in der Oper Johann von Paris. Hr. Wilhelmi spielte die Rolle des Obristen von Sternberg. Von Hrn. Zwick, als Sänger, der Sturms Rolle hatte, wollen wir nicht reden. Dem. Schubert spielte Louisens Rolle sehr gut. Dem. Julie Zucker spielte als Gustav schön und natürlich, und zeigte auch im Gesange wahres Talent und wahres Gefühl: nur mag man sie, bey ihrer Jugend und noch nicht hinlänglich festen körperlichen Constitution, nicht viel singen lassen; sie könnte sonst, wo nicht ihre Gesundheit, wenigstens ihre Stimme zu Grunde richten. Am 19ten sang Mad. Grünbaum auf ihrer Rückreise von Berlin nach Prag nochmals hier in der Oper, Johann von Paris, von welcher schon in No. 25, S. 423 die Rede gewesen ist. Wir können aber nicht umhin, zu sagen, dass wir diesesmal ihre Stimme sehr schwach gefunden haben. In der Arie des 1sten Aufzugs brachte sie die neulichen Verzierungen, Triller, chromatischen Scalen und Fermaten an, wie das erstemal, als sie debütirte, und wir unterstehen uns zu sagen, dass sie im Solo der Romanze des Troubadour, vorzüglich in den hohen Tönen E, Fis, G, detonirte. So vollkommen wahr das ist, so erhielt sie doch den lautesten Beyfall, auch in diesen Solos, und es war ein Wunder, dass sie nicht herausgerufen wurde. Hr. Wilhelmi, als Johann von Paris, zeigte mehr Haltung im Charakter, als damals, und gefiel nun um so mehr. Dem. Hunt, als Lorezza, eine Rolle, die zuvor Dem. Zucker spielte, gab sich alle Mühe, und es gelang ihr; wir fanden ihre Declamation gut und ihr Spiel der Rolle völlig angemessen. Am 21ten gab die italienische Gesellschaft die Oper, Cortez, Spontini's Meisterstück, von dem in diesen Blättern mehrmals gesprochen worden ist. Mad. Sandrini, als Amazily, und die Herrn Benelli, Tibaldi und Benincasa, als Cortez, Telasco und Moralez, zeichneten sich, wie gewöhnlich, in derselben aus. Hr. Ricci hatte die Rolle Alvaro's, eines der gefangenen Spanier, übernommen, die ehedem Hr. Mieksch spielte; wir müssen aber sagen, dass das schöne Terzett des 3ten Aufzugs ohne Begleitung nicht so gut ausgeführt wurde, wie in den vorhergehenden Vorstellungen, weil Hr. Ricci die starke Stimme nicht hat, die Hr. Mieksch besitzt, auch nicht die Festigkeit und Uebung in der Haltung des Tones. Ausser dem Schwanken, das man dann und wann in seinem Gesange bemerkte, wurde auch seine Stimme von den beyden andern, stärkern übertönt, und daher hörten wir das schöne Harmonische nicht, welches wir sonst mit so grossem Vergnügen gehört hatten. Am 27sten führte man, mit Beystande der königl. Kapelle, in der geräumigen schönen Frauenkirche zum Besten der Armen im Gebirge eine grosse musikal. Akademie auf. Diese wohlthätige Unternehmung verschaffte uns wieder einmal das ersehnte Vergnügen, Naumanns schöne Werke zu hören. Da sich die Anzahl der zu diesem Ganzen versammelten Künslter auf mehr als 200 belief, so musste man da, wo der Altar steht, eine Erhöhung anbringen, wie am 28sten Nov. 1809. Unser erfahrner Director und Kapellm., Hr. C. Mar. v. Weber, dirigirte das Ganze. Die Anzahl der Choristen belief sich über 30, weil sich auch mehre Mitglieder der deutschen Gesellschaft unter ihnen befanden. Nach einer kurzen Einleitung mit der Orgel eröffnete sich die Akademie mit einem schönen, harmonischen, frommen Chorale, mit den Worten: Selig sind etc. und dieser machte einen bewundernswürdigen Eindruck. Hierauf folgte der schöne 96ste Psalm: Singet dem Herrn ein neues Lied etc. von Naumann, der zu bekannt ist, als dass es einer Wiederholung der ihm gebührenden Lobsprüche bedürfte. Er wurde vollkommen schön ausgeführt, und nach diesen beyden Stücken begann Naumanns majestätische, klassische und fromme Composition, das Vater Unser von Klopstock. Unbeschreiblich ist die Wirkung, welche die Musik in ihrem grossen, edlen Style hervorbrachte. Die Kenner müssen über ihre Erhabenheit und Kunst erstaunen, und noch etwas zu ihrem Lobe sagen wollen, hiesse nur nachsprechen, was so viele Kenner, Künstler und würdige Tonsetzer schon so oft gesagt haben. Das Chor und die concertirenden Stimmen waren in zwey Flügel getheilt; wir hätten aber gewünscht, das Orchester hätte etwas höher gestanden, als die Singenden: es wurde dann die mehr zu unterscheidende Harmonie noch grössere Wirkung hervorgebracht haben. Mad. Sandrini sang das erste Solo mit Begleitung der Violine, welche unser berühmter Concertm., Hr. Polledro, mit an ihm bekannter und bewunderter Kunst, Haltung und Ausdruck spielte. In Ansehung des zweyten, ausdrucksvollen und rührenden Solo: Er hebt mit dem Halme etc. können wir, bey unserer gewöhnlichen Offenherzigkeit, nicht umhin, zu sagen, dass Mad. Sandrini sich noch nicht ganz auf den Kirchenstyl versteht, welcher mehr Stärke in der Stimme, festere Haltung, und mehr Bekanntschaft mit dieser Art Tonsetzungen erfordert, um sie gehörig durchzuführen. Hrn. Bergmanns Stimme that gute Wirkung: noch grössere würde sie aber gethan haben, wenn sie stärker gewesen wäre, da der Raum für eine schwache Stimme zu gross ist. Dennoch müssen wir ihm zugestehen: er sang seine Soli sehr schön. Das letzte, doppelte Chor und die Fuge setzten dieser vortrefflichen und würdevollen Composition die Krone auf, und allgemein war das Entzücken, in welches das herrliche Ganze die Zuhörer versetzte. Am 29sten wiederholte die deutsche Gesellschaft die Oper, Jacob und seine Söhne, worin Hr. Stümer, vom königl. Theater zu Berlin, als Joseph, eine Gastrolle gab. Dieser übertraf die Tenoristen, die bisher diese Rolle gespielt haben, nämlich Hrn. Bergmann und Hrn. Weixelbaum, sowol im Spiele, als in der Declamation, weil er sich in den zarten Charakter dieser Rolle ganz hineingedacht und empfunden hatte. Er besitzt auch eine gute, doch etwas rauhe Stimme, und singt ein wenig durch die Nase; in seiner Methode hat er viel Ausdruck. Aus seiner Eigenheit, beym Singen auf der ersten Sylbe der Worte zu lange zu halten, was bekanntlich fehlerhaft ist, dürfte man wol schliessen, er sey mit der Lehre vom musikal. Rhythmus nicht sehr bekannt.