## Title: Franz Weber an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin. London, Montag, 20. Oktober 1879 ## Author: Weber, Franz ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A044270 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ 9 Askew Villas Cambridge Road Chiswick London am 20ten Oct 1879. Sehr geehrter Herr Professor, durch Dr. Langhans ließ ich Ihnen vor einiger Zeit von mir Nachricht bringen, und nun sind wieder Monate verflossen und erst heute komme ich dazu Ihnen wieder einmal eine direkte Mittheilung zu machen! Nun, wenn ausnahmsweise anstrengendes Arbeiten während der letzten Monate meinerseits als eine Entschuldigung gelten darf, so kann ich Ihre gütige Nachsicht wohl in Anspruch nehmen, denn die Anforderungen welche Profession und Dilettantismus (worunter ich mein Pfuschen in's Musik-Handwerk verstehe) an mich gestellt haben waren geradezu absorbierend. Besten Dank für Ihren freundlichen Brief vom ─ nun, ich muß ja wohl das, für mich beschämende, Datum citiren ─ vom 23ten April. Bitte aber, lieber Herr Professor, verfügen Sie ganz über mich in irgendwelcher Angelegenheit worin Sie in einem englischen Blatte etwa Veröffentlichung wünschen mögen. Ich stehe mit mehern hiesigen Zeitschriften in Verbindung, und redigire seit ein paar Jahren einen Theil des bedeutendsten hiesigen MusikBlattes „The Musical Times“, worin ich bestrebt bin echter deutscher Kunst das Wort zu reden, und was von Ihnen kommt kann nur diesem Streben förderlich sein. Heute erlaube ich mir einen, allerdings sehr dürftigen, Beitrag zu Ihren Weber-Notizen zu übersenden; theils um Ihnen zu beweisen daß ich die Angelegenheit nicht ganz habe ruhen lassen, theils auch um von Ihnen zu erfahren ob Ihnen diese Art der Behandlung des Stoffes überhaupt zweckdienlich erscheint. Natürlich erwarte ich, daß Sie nur von ein oder der andren meiner Bemerkungen werden Gebrauch machen können, indessen schien es mir doch gerathen auch das scheinbar Gleichgültige wenigstens zu erwähnen. In Bezug auf die anderen W'schen Opern scheint mir nur die Freischütz-Aufführungen-Frage (freilich die Wichtigste) große Schwierigkeiten zu bereiten. Selbst Benedict (an welchen ich mich u. A. gewendet habe) hat keinerlei Aufzeichnungen in Bezug auf d. Aufführungen des Werkes in London gemacht; es bleibt somit Nichts übrig als etwa sämmtliche Nummern, d. h. Jahrgänge, der „Times“ zu consultiren, seit der ersten Aufführung des Werks, um die Zahl Gesammtzahl derselben festzustellen. Dies ist eine Riesenarbeit, die mindestens viel Zeit erfordert. Vielleicht aber gelingt es mir, auf weniger umständlichem Wege, die wichtigsten Data zu ermitteln an welchen das Werk hier zur Wieder-Aufnahme gelangte und wozu mir schon manches Material vorliegt. Wie Ihnen bekannt ist hat man es hier in London nicht nur mit den beiden ständigen (italienischen) Opern zu thun, sondern auch mit einer Anzahl kleinerer Bühnen, welche sich dann und wann mit Opern-Aufführungen befasst haben. Bei dem ständigen Wechsel der „Unternehmer“, sowohl der italienischen Opern Institute wie der andren Theater, ist an eine geordnete Registratur der Aufführungen (wie bei den deutschen Bühnen) gar nicht zu denken, und so ist der Statist entweder auf Privat-Aufzeichnungen oder Tagesjournale, oder Beide, angewiesen. Uebrigens soll es an meinem fortgesetzten Eifer in dieser Angelegenheit nicht fehlen und ich hoffe Ihnen bald Resultate mittheilen zu können welche Ihr „Verzeichniß“ wenigstens theilweise, in Bezug auf London, ergänzen werden. Zum Schluß noch eine Frage: Ist Ihnen ein Freund Weber's der den Namen Susan trägt, oder trug, bekannt? Die „Musical Times“ wird demnächst einen „Original Brief“ des verehrten Meister's (in engl. Uebersetzung) bringen welcher angeblich an einen Träger dieses Namens gerichtet ist. Mir selbst ist der Name, als der eines Freundes Carl Maria's, gänzlich unbekannt und die Biographie des Sohnes enthält keinerlei Erwähnung desselben. Ich nehme den Brief für die M. T. an weil er von achtbarer Autorität mitgetheilt ist und obschon mir der Styl desselben etwas geschraubt ─ mit andern Worten Un-Weberisch ─ vorkommt. Falls Sie es wünschen schicke ich Ihnen gerne eine Copie des Originals (welches auch mir nur in Copie vorliegt) Nun aber genug für heute! Ihrer gütigen Antwort auf meine Frage entgegensehend verbleibe ich in aufrichtigster Verehrung Ihr Ergebener F. Weber Beilage: „Abu Hassan“─ Im „Verzeichniss“ steht, Seite 129: ─ „Zu London zum 1ten Male im Theater Drury Lane am 1ten April 1825 mit vielem Beifall“ ─ wozu Folgendes als Ergänzung dienen mag: ─ Die genannte Aufführung kann nur bedingungsweise als die des Weber'schen Hassan angesehen werden. Das Textbuch (welches ich besitze) steht hat mit der Hiemer'schen Bearbeitung nur das Sujet in seinen allgemeinen Umrissen gemein. Es ist ein, mit viel Geschick und Witz abgefasster, Schwank in zwei Akten, welcher sich unter Mitwirkung damals beliebter Schauspieler, wie Paul Bedford und Harley, eine zeitlang vielen Beifalls erfreute. Der Verfasser war William Dimond. Was die eingeflochtene Musik anbetrifft, so heißt es auf dem Titelblatt „the music entirely composed by K. M. Von Weber“ (die Musik durchaus componirt von K. M v W) was ich, trotz der damals herrschenden pasticcio-Mode, auch als zutreffend ansehe, nur muß dabei nicht an die ganze W'sche Hassan-Musik gedacht werden. Nach dem Rhytmus der Gesangnummern zu schl und anderen Anzeichen zu schließen, hat neben einem Theil der Hassan Musik auch die aus Preciosa herhalten müßen. Nachstehend gebe ich die Reihenfolge der verschiedenen Nummern, mit meinen, auf obige Gründe gestützten, Angaben der Composition: Chor (das Stück eröffnend) „Heil Preciosa“ Preciosa Arie (Zulima) „Wird Philomele“ Hassan Chor(Gläubiger) „Geld! Geld! ─“─ Duett (Abu & Zulima) „Liebes Weibchen“ Hassan Scena (Abu) „Was nun zu machen“ ─“─ Quartett (mit 8 Hörnern) „Im Wald“ Preciosa Finale (I Akt) Ballet Musik v. „Es blinken“ ─“─ Duett (Hassan & Zulima) „Umgaukelt“ (?) Hassan Arie (Zulima) „Hier liegt“ ─“─ Anfangschor wiederholt Preciosa Falls meine Angabe richtig ist, so wäre freilich die Musik „durchaus komponirt von K. M. Von Weber“, aber die im Jahre 1825 stattgehabte Aufführung von Dimond's „Abon Hassan“ [ist] kaum als eine englische Reproduktion des Weberschen Werks zu betrachten. Diese fand ─ soweit ich habe in Erfahrung bringen können ─ zuerst am 12 Mai 1870 mit italienischer Uebertragung des Textes, im Drury Lane Theater statt, wo die Oper 3 mal aufgeführt wurde, viel Beifall erntete, jedoch seitdem nicht wieder hier gegeben worden ist. ─ Siehe weiter unten. „Les Adieux“. Im „Verzeichniss“ heisst es u. a. Seite 447: „Das Stück ist …aus allerlei allenfalls an W . e rinnernden Motiven locker zusammengestellt“ etc a. Vielleicht ist es Ihnen entgangen daß das Hauptmotiv des letzten Satzes (Allegro Moderato) welches hier vermuthlich den letzten, entscheidenden Moment des „Abschieds“ ausdrücken soll, beinahe Note für Note dem KlavierQuartett in B dur entnommen ist und zwar dem Menuetto Notenbeispiele und so fort, einschließlich des ganzen ersten Satzes des Menuetto, wie ein Vergleich zeigen wird. Gesetzt den Fall, daß Weber ein in früheren Jahren erfundenes Motiv noch einmal zum Ausdruck einer, von der ursprünglichen grundverschiedenen, Stimmung habe benutzen wollen (was ja bei ihm, wie bei andern großen Meistern, wohl vorkommt) würde er, von andern Veränderungen abgesehen, den charakteristischen Schluß der oben angeführten Phrase des Menuetts Notenbeispiele wie folgt so unsäglich trivialisirt haben? Meinen Sie nicht, daß diese Stelle allein genügt „Lesadieux“ für eine untergeschobene Arbeit zu erklären? Vielleicht haben Sie aber den Vergleich längst schon selbst gezogen und es für unnöthig gehalten davon im „Verzeichniß“ spezielle Erwähnung zu thun. S. w. u. „Abu Hassan.“ Londoner Aufführungen i. J. 1870 Mai 12 Mai 23 und Juli 4 im Drury Lane Theatre, damals unter der Direktion von George Wood. Marchesi hatte den italienischen Text verfasst. Dialog in recitativen von Arditi componirt, welcher die Aufführungen leitete. Madame Monbelli sang Fatima und Mad me Tribelli den Hassan, welche Parthie für Sopran transponirt war. „Les Adieux“ ist ganz kürzlich wieder in neuer Ausgabe, als ein unbezweifeltes Werk Weber's, bei einem englischen Verleger erschienen. N. B. Ich bin versucht die Sache, mit Anlehnung an Ihr Urtheil, einmal in der „Musical Times“ zu besprechen.