## Title: Der Dresdner Liederkreis ## Author: Dagmar Beck ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A090012 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Ende 1814 hatte sich in Dresden auf Anregung von Christian Adolph von Seckendorff unter dem Namen „Dichterthee“ eine Vereinigung gebildet, die aus literarisch und künstlerisch interessierten Vertretern des Bürgertums und des Adels bestand, die sich wöchentlich bei Seckendorff trafen. Nach dessen Weggang aus Dresden 1815 wurden die Zusammenkünfte, vor allem auf Initiative von Nostitz, weitergeführt, bald (ab ca. 1817) unter der neuen Bezeichnung „Liederkreis“ und nun bei wechselnden Gastgebern. Die Treffen fanden dann in der Regel vierzehntäglich, meistens Freitags, bei verheirateten Mitgliedern statt. In geselliger Runde, zu der auch Ehefrauen und erwachsene Töchter gehörten, wurden u. a. Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Literatur besprochen, eigene Arbeiten vorgestellt. Gäste waren willkommen. Von den Zeitgenossen wurde der Dresdner Literatenklub zwiespältig betrachtet, so spottete Varnhagen über die „Dresdener Wäßrigkeit. Liederkreis! Böttiger, Winkler &c.“, und Börne ließ 1822 in seine Vertraulichen Briefe zum Freischütz (Teil 2) einen ironischen Hinweis aus Dresden einfließen, nach welchem sich „der viel liebe Liederkreis [...] in einen Opernkreis verwandelt [habe], und die Mitglieder alle würden, Einer nach dem Andern, ächt deutsche Opern verfertigen“. Auch Tieck hielt, obwohl seit 1819 in Dresden ansässig, Abstand zu diesem Kreis und zeichnete in seiner Novelle Die Vogelscheuche (1834) Karikaturen einiger der Wortführer des Liederkreises. Andere Autoren suchten hingegen den Kontakt und widmeten dem Verein sogar eigene Werke, so etwa Biedenfeld und Kuffner sowie Streckfuß, der in seiner Dresdner Zeit (bis 1815) selbst Mitglied des Dichterthees gewesen war. Immerhin besaß der Liederkreis auch überregional Ausstrahlung und Einfluss, besonders mit seinem Organ, der von Theodor Hell (d. i. Theodor Winkler) und bis 1826 auch von Kind herausgegebenen Dresdner Abend-Zeitung. Unklarheit herrscht über die genaue Zusammensetzung des Dichterthees bzw. Liederkreises, die freilich über die Jahre nicht stabil blieb. In der Sekundärliteratur wird die Zahl der Mitglieder möglicherweise zu groß dargestellt; Böttiger sprach 1822 von lediglich zwölf „Liederfreunde[n]“. Friedrich August Schulze, der 1815 mehrfach als Gast geladen wurde, erwähnte in seinen Briefen als Akteure neben Seckendorff vor allem Böttiger, Kuhn, Kind, Winkler, Streckfuß, Hasse und Loeben, aber auch Damen wie die Schauspielerin Hartwig und Therese aus dem Winkel. Genauere Anhaltspunkte bieten in späteren Jahren Gedichte, die mehrere (wohl aber nicht alle) Mitglieder des Liederkreises gemeinsam unterzeichneten. Eines aus dem Jahr 1819 trägt elf Unterschriften: neben jener von Weber auch die von Winkler, Geißler, Kind, Nostitz, Kuhn, Förster, Böttiger, Breuer, Herrmann und Hasse. Ein an Biedenfeld gerichtetes, im Jahr 1821 publiziertes nennt zwölf Autoren; von den zuvor Genannten fehlen Geißler, der dem Liederkreis nur bis 1820 angehörte, und Breuer, hinzu kommen statt dessen Therese aus dem Winkel, Gehe und ein gewisser Ludwig Brand. Ein Gedicht an Streckfuß aus dem Jahr 1820 hatte sogar zwanzig Unterzeichner (darunter möglicherweise nicht nur Mitglieder, sondern auch Gäste). Das 1819 als Hochzeitsgabe des Liederkreises für Agnes von Nostitz entstandene Taschenbuch zum geselligen Vergnügen, für Liebende enthält neben Dichtungen von verbürgten Mitgliedern wie Kind, Förster, Kalkreuth, Loeben, Böttiger, Breuer, Malsburg, Hasse, Herrmann, Kuhn, Winkler, Gehe sowie von „W. G. geb. H.“ (vermutlich Wilhelmine Geißler, geb. Holderrieder) auch solche von Christian August Semler und Luise Brachmann (ein geplanter musikalischer Beitrag Webers kam krankheitsbedingt nicht zustande). Gesichert ist für die Zeit von Webers Mitgliedschaft (1817–1826) durch dessen Tagebuchaufzeichnungen lediglich der Stamm der zu den Geselligkeiten einladenden Mitglieder; dies waren neben Weber selbst (ab 1818) die Herren Kind, Böttiger, Kuhn, Nostitz, Förster, Herrmann, Geißler (bis 1820), Hasse (ab 1818), Kalkreuth (nur 1820 und 1824), Weigel (ab 1823), Winkler (ab 1824), Quandt (ab 1824) und Vogel (nur 1825) sowie als einzige Dame Therese aus dem Winkel. Daneben gehörten offenbar Breuer und Gehe zum festen Mitgliederstamm. Fanny Tarnow, die 1820 nach Dresden zog, wurde von Weber am 5. Oktober 1821 noch ausdrücklich als ‚fremder Gast‘ vermerkt, von Böttiger dann jedoch 1822 unter die Mitglieder gezählt; möglicherweise war sie zwischenzeitlich als Vollmitglied aufgenommen worden. Malsburg wird in der Sekundärliteratur als außerordentliches Mitglied geführt; Weber notierte ihn am 15. Januar 1820 noch ausdrücklich als „Fremden“, der lediglich als Gast geladen war, betonte dagegen am 2. Juni desselben Jahres ausdrücklich dessen Abwesenheit bei der Zusammenkunft des Liederkreises (gemeinsam mit vier gesicherten Mitgliedern). In einem Spottgedicht auf den Liederkreis in der Zeitschrift Agrippina sind mehrere Akteure der Liedertafel genannt, darunter auch Clotilde von Nostitz, ob sie allerdings Mitglied im engeren Sinne war oder lediglich als Tochter von Gottlob Adolph Ernst von Nostitz an den Treffen des Vereins teilnahm, bleibt ungewiss. Fraglich ist zudem eine Mitgliedschaft von Helmina von Chézy, die Weber in seinen Notizen nie in Verbindung mit dem Liederkreis erwähnte, weder als Mitglied noch als Gast. H. von Chézy selbst erwähnt in einem späteren Schriftenentwurf nur ihre Mitgliedschaft in einem zweiten Zirkel, dem sogenannten Dienstagskreis, dem freilich auch mehrere Mitglieder des Liederkreises (Th. a. d. Winckel, O. von Loeben, E. von der Malsburg) angehörten, zudem beschreibt sie, häufiger als Gast an den Liederkreis-Treffen teilgenommen zu haben. Weber, der ab 1817 zu den Mitgliedern der Gesellschaft zählte, war in den folgenden Jahren regelmäßiger Gast (bzw. Gastgeber) bei den Zusammenkünften. Auch die Silvesterabende pflegte er ab 1817 im Liederkreis zu verbringen. Speziell für diese Abende wurden von den Teilnehmern eigene, oft humorvolle Beiträge vorbereitet. So verfasste Weber für den Silvesterabend 1818 Texte zur Übergabe einer Tischglocke und eines Papierhalters, die er zur Lotterie beigesteuert hatte, zu jenem 1819 laut Tagebuch das Gedicht „Anrede des Simson an Delila“, für die Lotterie bei der Silvesterfeier 1820 entstand das Gedicht Kristall-Humpen, und auf die für Silvester 1821 als gemeinschaftliches Thema vorgegebene Frage zum fiktiven Weltuntergang am 7. Dezember reagierte Weber mit seinem Bürgerlichen Familien-Mährchen. Zwei weitere Silvester-Beiträge Webers sind lediglich aus Tagebuchnotizen bekannt: ein nicht näher bezeichneter Aufsatz für 1822 bzw. „Hans Sachs“ für 1824. Andere im Liederkreis vorgetragene Arbeiten von Mitgliedern waren Weber gewidmet, so 1817 eine Dichtung auf Webers Hochzeit, 1818 Kinds Weberliedchen und ein Gedicht Winklers auf die Jubel-Kantate, Geburtstagsgedichte von Förster aus den Jahren 1823 und 1825 sowie 1825 das Festspiel Der neue Orpheus von Winkler mit einer Einlage von Kind und Winklers Gedicht auf die Reise Webers nach Ems.