## Title: Carl Stein an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin. Wittenberg, Montag, 27. Februar 1882 ## Author: Stein, Carl ## Version: 4.13.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A044404 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Wittenberg d. 27. Februar 1882. Sehr geehrter Herr Professor! Indem ich Ihnen für Ihre freundlichen Zeilen bestens danke, will ich versuchen, so weit meine Erinnerung reicht, von meiner Begegnung mit Böhner zu berichten, obgleich ich nicht glaube, daß dadurch etwas wesentlich Neues zu Tage gefördert wird. Böhner war keine gewöhnliche Erscheinung, ein edles, fein geschnittenes Profil, ein feuriges Auge unter buschigen Augenbrauen ein echt classischer Kopf ließ sogleich den genialen Künstler errathen. Als ich ihm die bekannte Mähr entgegen hielt um seine Bestätigung zu vernehmen, flammte er auf, „Das sei ihm nie eingefallen, er habe mit Weber keine persönliche Begegnung gehabt[.] Er vertheidigte sogar Weber sehr warm und suchte der Sache folgende Erklärung zu geben[:] Weber sei in Gotha gewesen, bei einem der Hofconcerte habe er wahrscheinlich das Böhner’sche Klavierconcert gehört; später bei der Komposition des „Freischütz“ sei ihm jenes Hauptmotiv unbewußt in die Feder gekommen, so daß er (Böhner) ihm durchaus daraus keinen Vorwurf | machen könne. Im Uebrigen kehrte dieser Vorgang bei allen Musikern wieder. Mir selbst sind verschiedene Beispiele dieser Art gegenwärtig: Ein Hauptmotiv in dem Taubert’schen Liede „So herzig wie mein Lisel pp“ findet sich in einem Beethoven’schen Klavierquartett, und T. hat das gewiß nicht absichtlich entlehnt. Eins der lieblichsten Motive der Sommernachtstraum-Ouvertüre kommt bereits in einer Mozart’schen Sonate vor. Was die Melodie des Jungfernkranzes betrifft, so theile ich entschieden Ihre Ueberzeugung. Böhner wird jedenfalls zuviel Ehre erwiesen, man liebt es, seine Person mit einem Nimbus zu umhüllen; so z. B. hat er jahrelang als der Urheber von „Ach, wie ists möglich pp“ gegolten, während doch Lux der Komponist dieser Melodie ist. Mit collegialischem Gruße und vorzüglichster Hochachtung Ihr ergebenster C. Stein.