WeGA, Briefe, Digitale Edition Johann Gänsbacher an Maria Anna Gräfin Firmian<lb/> Darmstadt, Dienstag, 10. Juli 1810 Gänsbacher, Johann Veit, Joachim Übertragung Eveline Bartlitz Joachim Veit

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Machine-Readable Transcriptions of Texts from the Carl Maria von Weber Complete Edition (WeGA)

Der Brief vom 30. Juni kostete mich eine schlaflose Nacht

A; Innsbruck; Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Musiksammlung; F 5

Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe, Sämtliche Briefe

Übertragung folgt den ER der WeGA

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Darm: den 10t Juli 10

Der Brief vom 30 Juni kostete mich eine schlaflose Nacht; denn ich nahm ihn aus Ueberzeigung nicht für eine von mir bestellte Abforderung, sondern für eine wahre, herzliche Aeußerung meines geliebten KleeblattsMit Kleeblatt meint Gänsbacher vermutlich Maria Anna Gräfin und Karl Maria Graf Firmian sowie dessen Geschwister: Joseph Franz Graf Firmian (1774–1816), Rittmeister und kgl. bayerischer Kämmerer (Onkel Pepi genannt) sowie Barbara Babi, Komtess Firmian (*1788); vgl. Denkwürdigkeiten, S. 41 ; und diesem nicht entsprechen zu können, vielmehr meine Abreiße noch um 2 Wochen mehr hinausgerükt sehen zu müßen, machte mich so ängstlich, so verdrießlich, daß ich schwitzte, als hätte ich ein Verbrechen auf dem Herzen.

Ich ahndete wohl, daß ich einen solchen Brief nothwendig brauchte, und daß ich bey der erstlichen Anschikung zur Abreiße neue große Stürme bey V: auszustehen haben würdeGänsbacher hatte die Gräfin in seinem vorherigen Brief gebeten, ein Bittschreiben an Vogler zu richten, dass er Darmstadt verlassen dürfe – quasi eine Art Abberufung nach Prag. Vogler gab schließlich die Zustimmung zu Gänsbachers Abreise; vgl. Brief von Vogler an Gräfin Firmian vom selben Tag. Schon früher, als ich davon Meldung that, wollte V: nichts davon wißen, und proponirte mir, in seinem eigenen Hauß, welches er hier zu kaufen gesonnen ist, Freiquartir zu geben, auch seien die übrige Mittel zu finden, mit dem Zusatze, sein OrglSimplificationsSystem mitzutheilen zu wollen, um es zu verbreiten, und selbst Hand anzulegen; zu diesen 3 Beweggründen gesellt sich noch a. findet sich V: durch das seltsame Zusammentreffen und Zusammenstimmen der Trias sehr geschmeichelt, b. macht sie ihm ihre Gesellschaft viel Vergnügen, denn er war vielleicht nicht zu oft in dem Falle von Menschen umgeben zu seyn, die ihn wahrhaft verehren, uneigennützig denken, und ihm in allem seinen Willen thun, und mit seinen nicht gewöhnlichen Eigenheiten Nachsicht haben, und endlich ihn als Künstler und seine Werke so zu begreifen und zu würdigen wißen, wie wir; c: bilde ich seine KammerjungferVermutlich die auch als Vogler-Schülerin genannte Therese. /: ein kleiner Satan :/ im Gesang, damit sie mit der Zeit bey der großh: Kapell mit Gehalt eintretten kann; dieß wird von V: besonters in Anschlag genommen. d. will V: daß ich mein Operettchen unter seiner Aufsicht vollende, und endlich e. läßt sich von ihm und seinen Werken vieles erlernen; dieß sind ungefähr seine geäußerten und nicht geäußerten Beweggründe, mich so lange bey sich zu behalten. Nun hören Sie mich ganz aufrichtig. Ich werde V: als meinen Lehrer ewig dankbar verehren, und habe volle Ursache dazu; mich ihm aber so sehr a. verpflichten, und von ihm allein abhängen, hieße meine ganze Freiheit hingeben, die mir einstweilen um keinen Preiß feil ist, ich mußte mir ohnehin itzt schon so manches gefallen laßen; b: ein Orglbauer zu werden, habe ich alles, nur keine Lust, noch Fähigkeit. c. Die Trias und V: Harmonie ist das einzige, was noch hindert, Darmstadt für ein wahres exilium zu betrachten; d. V: Haußgesinde, aus 4 Stück Weibsleuten /: darunter seine Schwester als Großdrachen :/ bestehend, verdrüßt mirUnklar schon anzusehen, und außer seiner und meiner Wohnung habe ich noch keines Menschen Wohnung gesehen. e. Wird mein Operettchen diesen Monat noch gröstentheils vollendet, nur etwa höchstens 2 Stücke spahre ich geflißentlich aufs Land, aus den schon berührten Gründen; 4 StückeOder: 14? sind schon ganz fix und fertig, und 4 andere skizzirt. f. werd ich zwar nie ausgelernt haben, vielmehr sieht man nur immer deutlicher ein, wie viel man noch zu lernen und zu leisten hat; allein V: bedeutendste Werke sind schon durchstudiret, und lange so auf Stelzen zu gehen, bin ich gar kein Freund; g. Wenn V: meine Gesellschaft angenehm ist, so glaube ich der mir so Theuren Casa F:[irmian] um so mehr schuldig zu seyn; der ich seit beynahe 9 Jahren meine ganze Existenz und bisherige musik: Laufbahn, wie auch den wahren Lebensgenuß und Lebensfreiheit verdanke. k. Allein selbst diese ewig gleiche dankbare Gesinnung beyseite ges[etzt] so darf ich doch auch mit gutem Gewißen so viel Egoismus haben, um eine Lebensart der andren vorzuziehen, wo ich nicht allein nach meinen Launen angenehm sondern auch nützlich existiren kann; endlich i. geht meine Liebe zur Kunst noch nicht so weit, um ihr auschließlich allein übrigen Lebensgenuß zu opfern, kurz ich würde k. am 16t August krepiren, wenn ich den 15t nicht Darmstadt verlaßen könnte.

Wie ich Ihren Brief gelesen hatte, war im Augenblik gewiß niemand glüklicher als ich, allein ich hätte weiter weinen mögen, weder den 16t noch 26t dieß mit der Casa Firmian seyn zu können; mit dem Brief in der Hand gieng ich im Garten spatziren, laß und überlas ihn wieder, und bereitete mich vor zur Unterredung mit V:; ich las ihm den Brief vor; das ist nichts war seine Antwort, Sie müßen noch da bleiben; den Angstschweis trieb es mir aus allen Poren bey dem Sie müßen noch da bleiben; den 16[t] und 26[t] hatte ich schon meinem Operettchen und V: geopfert, und noch da bleiben? Die Sprache stokte mir; V: nahm das Wort, und äußerte obige 3 Gründe zum wiederholten mahle, auch einige von den übrigen; während dem sammelte ich mich, und dann bezog ich mich mit aller Wärme, wie sie mir aus wahrem Herzensgrunde kam, auf littera G. Dieß wirkte, daß V: zu unterhandeln anfieng, und von 3 Monaten, von denen er früher nicht abgehen wollte, bis auf den 15t August herabkam, wo er mir versprach, mich nach Maynz zu führen, um das Napoleonsfest mit ansehen, und ihn auf der großen Orgl spielen zu hören zu können. Dabey blieb es. Ich hoffe, Sie werden es für keine sequerey von meiner Seite nehmen, sondern, daß ich meinen ersten Plan und mein eigenes Vergnügen blos dem Drange geopfert habe. Nun bitte ich, um meinen verlängerten Aufenthalt /: o poveretto me! :/ und meine Reiße zu bestreiten, und rein von hier wegzukommen, das Legat von dem gütigen ManneOder: von der gütigen Minna???, was es nach gegenwärtigen Kurs in guten Münzen beträgt, bey V: nebst einem ganz schmeichelhaften Worte mir anzuweisen; vermuthlich werde ich ihm beßer in Prag Mellen Wein schiken müßen.

Sie sollen bey der Brunnenkur nicht viel schreiben, das weiß ich; ich will Sie deßen überheben, und stelle dafür meine liebe C: Barbara mit einem jährlichen Gehalt von einer italienischen Canzonette an; der Brief muß aber wenigstens 6 Seiten betragen; che gran feccatone[?]!, höre ich den Graf: ausrufen; C: Barb: thut es gern das weiß ich; sie ist mir auch gut; und Fr: Carl und Anna haben nichts als ihr vidi darunter zu schreiben; ich habe handeln gelernt. Auf seiner letzten excursion gab V: in Hanau ein Orglconcert; ein Eilbothe brachte uns Kunde hievon; sogleich ließ Baer die Post einspannen; ich war sein Gast, und Abends in der Mess hörte, und staunte ich den Orgldonnrer an; auf dem Orglstuhl ist V: ein wahrer Gott, denn er ist einzig. Vorgestern machte ich die Bekanntschaft des Verleger André von Ofenbach. ich hoffe daß er 6 meiner Canzonetten sticht. 6 behalte ich für Wien. Die vergriffenen LiederVgl. dazu auch den Kommentar zum Brief Gänsbachers an die Gräfin Firmian vom 22. bis 28. Mai 1810. sind die der C: dedicirten; die für die M: sind noch nicht erschienen. bey der großen Feuersbrunst ist die Fürstin Schwazenberg und Princeß Lemberg, eine Frau mit 6 Kindern und mit dem 7t im 5t Monat schwanger, verbranntBei einem Fest im Palais des österreichischen Gesandten Karl Philipp zu Schwarzenberg in Paris am 1. Juni 1810 war ein Feuer ausgebrochen, bei dem u. a. Fürstin Pauline Schwarzenberg, geb. von Arenberg (1774–1810), die Schwägerin des Gesandten, zu Tode kam. Weitere Brandopfer waren Sophia Theresia Fürstin von der Leyen, geb. Gräfin Schönborn-Buchheim (1772–1810), eine Generals-Gattin Mad. Joupard sowie die Frau des russischen General-Konsuls; vgl. Sammlung ausgewählter Stücke aus den Werken deutscher Prosaiker und Dichter …, hg. von Karl Anton Hülstett, Bd. 2, Düsseldorf 1831, S. 20–23., Fürst Kurakin hat sich Haut und Füße verbrannt; N: hat seine Gemahlin zeitlich gerettet; man sagt, sie [d.h. die Feuersbrunst] wäre zuerst an Guirlanden entstanden; ich halte es aber für angelegt. passer solitarius vom

alten treuen Hans