## Title: Korrespondenz-Nachrichten Aus Prag, 23. Februar 1811 ## Author: Johann Gänsbacher ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031003 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Aus Prag, den 23. Febr. Auch wir sahen nun Spontini’s Vestalin auf unsrer Bühne; schade daß das herrliche Geschöpf hier wie eine gemeine Mamsell erscheint. Die Art, wie sie gegeben wird, entspricht dem vorausgegangenen Rufe gar nicht. Wäre ihr Gehalt in Wien und Paris nicht so kräftig beurkundet, so könnte man nach der hiesigen Aufführung kaum begreifen, wie diese Oper den ersten Preis gewinnen konnte. Als Grund der verfehlten Wirkung führe ich nur einiges an: Herr W. Müller versteht, und dieß ist die Hauptsache, gar nicht in den Geist höherer Musik einzudringen. Der Geist eines Sonntagskinds und einer Schwester aus Prag hat bis zur Vestalisation noch manche Schlacken wegzuwerfen. Eine natürliche Folge hievon ist, daß Herr Wenzel Müller selten ein Tempo erräth, und die verschiednen Nüancirungen im Vortrage des Orchesters, besonders die Crescendo’s, die bei dieser Oper so sehr berechnet sind und oft die imposanteste Wirkungen, vorzüglich in der Overtura und in dem zweiten Finale hervorbringen, ganz außer Acht läßt. Daß er auch ein gut angefangenes Tempo nicht festhält und nach Verlauf einiger Takte mit einem neuen, allgemach davon zu laufen pflegt, ist bekannt. Was die Sangpartien angeht, so zeigt W. Müller als Vestalin viel Fleiß. Herr Schweinzer als Pontifex entfaltet in einer eingelegten Arie einen schönen Umfang; die übrigen Subjekte sind zu beklagen, daß das Schicksal ihnen solche Posten anwies. Bei diesem allen ist sehr begreiflich, daß die ausgezeichnet schöne Schöpfung Spontini’s hier so wenig Auszeichnung findet.