Aus Prag, den 23. Febr.
Auch wir sahen nun Spontini’s Vestalin auf unsrer Bühne; schade daß das herrliche Geschöpf hier wie eine gemeine Mamsell erscheint. Die Art, wie sie gegeben wird, entspricht dem vorausgegangenen Rufe gar nicht. Wäre ihr Gehalt in
Wien und ParisZur Aufführung der Vestalin in Wien (erstmals am 12. November 1810) vgl. 1811-V-03; UA Paris: 25. Dezember 1807 nicht so kräftig beurkundet, so könnte man nach der hiesigen Aufführung kaum begreifen, wie diese Oper den ersten Preis gewinnen konnte. Als Grund der verfehlten Wirkung führe ich nur einiges an: Herr
W. Müller versteht, und dieß ist die Hauptsache, gar nicht in den Geist höherer Musik einzudringen. Der Geist eines
Sonntagskinds und einer Schwester aus PragDas Neusonntagskind und Die Schwestern von Prag von Wenzel Müller hat bis zur Vestalisation noch manche Schlacken wegzuwerfen. Eine natürliche Folge hievon ist, daß Herr Wenzel Müller selten ein Tempo erräth, und die verschiednen Nüancirungen im Vortrage des Orchesters, besonders die Crescendo’s, die bei dieser Oper so sehr berechnet sind und oft die imposanteste Wirkungen, vorzüglich in der Overtura und in dem
zweiten FinaleFinale Nr. 13 hervorbringen, ganz außer Acht läßt. Daß er auch ein gut angefangenes Tempo nicht festhält und nach Verlauf einiger Takte mit einem neuen, allgemach davon zu laufen pflegt, ist bekannt.
Was die Sangpartien angeht, so zeigt
W. MüllerGemeint ist hier Therese Grünbaum, die als Julia auftrat. als Vestalin viel Fleiß.
Herr Schweinzer Schreinzer als PontifexMatthias Schreinzer trat als Licinius auf; vermutlich legte er jene Arie von Joseph Weigl ein, die die Nr. 14 (Akt III) ersetzte und an zahlreichen deutschen Bühnen, u. a. Wien (vgl. 1811-V-03) und Frankfurt a. M. (vgl. Didion/Schlichte, S. 275) in Gebrauch war. entfaltet in einer eingelegten Arie einen schönen Umfang; die übrigen Subjekte sind zu beklagen, daß das Schicksal ihnen solche Posten anwies.
Bei diesem allen ist sehr begreiflich, daß die ausgezeichnet schöne Schöpfung Spontini’s hier so wenig Auszeichnung findet.