## Title: Friedrich Wilhelm Jähns an Georg Goltermann in Frankfurt am Main. Thal bei Eisenach / Berlin, Sonntag, 20. bis Mittwoch, 23. August 1865 ## Author: Jähns, Friedrich Wilhelm ## Version: 4.13.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A043169 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Thal bei Eisenach Sonntag den 20. Aug. 65 Mein theurer Freund. Obwohl seit Freitag vor 8 Tagen, wo ich den mir so unvergeßlichen Tag bei Ihnen verlebte, ich oft desselben gedacht habe, so erhebt sich die Erinnerung doch doppelt lebendig, indem ich diese Zeilen an Sie zu richten mich anschicke, denn ich muß mich der schönen Freude berauben, selbst Ihnen auszusprechen, wie werth und theuer mir das Betreten Ihres lieben Hauses geworden ist. Es ist mein Erscheinen in Berlin am Dienstag nemlich unerläßlich und statt in Frankfurt noch einen halben Tag und in Darmstadt ebenfalls noch einige Stunden zu bleiben, wie ich mit Kapellmstr. Mangold verabredet, muß ich beides aufgeben und wieder zu der Feder greifen. Schon heute glaubte ich von hier nach Weimar reisen zu können, um dort meine Untersuchungen abzuschließen für diesmal; durch das Unwohlsein meiner Frau, das sich seit gestern leider wieder vermehrt hat, muß ich nun vielleicht Weimar ganz aufgeben und morgen Abend unwiderruflich nach Berlin. – Wir haben viel von Ihnen und Ihrem Hause gesprochen. Meine Frau läßt Ihrer lieben Gattin innigst danken für Ihr gütiges Gedenken ihrer an dem gemüthvollen Abend im Kreise der Ihrigen. Ich habe ihr natürlich den reichen, mit Ihnen verlebten Tag geschildert und sie hegt die Hoffnung, Sie entweder einmal bei uns zu sehen, oder Sie in Frankfurt zu begrüßen. So wie ich innerlich noch nicht so alt gewesen zu sein glaube, wie ich es äußerlich bin, so ist auch sie es nicht und | sie würden ein Paar ganz munterer Leute an uns finden. Nun wir wollen wünschen und hoffen! Wenngleich der schöne Tag bei Ihnen sich auf meiner Reise nicht wiederholte, so ist sie doch sehr angenehm und auch nicht ohne directe Frucht für meine Zwecke geblieben. Ein Variationen-Heft (ungedruckt) habe ich bei Zumsteeg in Stuttgart im Manuscript aufgefunden (für Bratsche mit Orchester, alt, vom Jahr 1806) und einen schönen Walzer werde ich durch Panofka, den ich in Baden-Baden traf, erhalten, der zwar in England gedruckt, in Deutschland jedoch ganz unbekannt ist; Panofka sang ihn mir, ich kannte ihn nicht; er stammt von Bärmann, dem berühmten Clarinettisten, aus München, der ihn vor langen Jahren von Weber dort erhielt u. ihn später an Panofka schenkte. Außerdem werde ich von den Kindern Gottfried Webersin Darmstadt ein Manuscript einer Fugen-Umarbeitung und endlich die W Briefe Carl Maria’s an Gottfried zur Durchsicht und Benutzung erhalten, die dort bereits eine Reihe von Jahrzehnten in Kisten begraben liegen. In Cassel sah ich bei der Frau Spohr das Original des merkwürdigen Gottfried-Carl Maria’schen Canons u. vieles andere Interessante (doch das wissen Sie ja schon); in Darmstadt brachte eine genaue Durchforschung des Archivs jedoch nichts des Gesuchten. Paur sprach ich in Jugenheim; er gab mir viele Notizen für London u. versprach lebendig zu wirken; er besuchte mich noch am selben Abend u. war bis 11 Uhr bei mir, wo das ganze Londoner Musiktreiben zur Sprache kam und ein großartiger Knäul von Verhältnissen sich vor mir abwickelte. In Bensheim sprach ich den alten pens. Darmst. Kapellmstr. Mangold, der mir viel von seinem Londoner Aufenthalt 1834 erzählte, wobei viel auf Weber bezügliches Interessantes vorkam. In Heidelberg waren meine Untersuchungen vollständig fruchtlos, wogegen ich in Mannheim bei dem alten Musikhändler Heckel einiges nicht Unwichtige für mich fand. Er besitzt unter | Anderem ein Stammbuch, dem Stiefbruder Carl Maria’s – Edmund v. Weber, einst gehörig, das vieles Anziehende für mich hatte z. B. eine Inscription von C. Maria vom Jahre 1797, wo dieser also 11 Jahr alt war. Von allgemeinem Interesse waren aber Mozart’s u. Haydn’s Inscriptionen, die ich Ihnen hieher setze: 1.) seyen sie fleissig – fliehen sie den Müssiggang – und vergessen Sie nie ihren sie von Herzen liebenden Vetter Wolfgang Amadé Mozart mpr Wien den 8t Januar 1787. Morgens um 5 Uhr vor der Abreise. 2.) Förchte Gott – Liebe deinen Nächsten – und deinen Meister Joseph Haydn, So dich von Hertzen lieb hat. Estoras den 22ten May 1788. Die Autographie ist bei beiden Copien genau beibehalten. Unserem verehrten Freund Speier, dem Sie mich gütigst ins Gedächtniß rufen wollen, werden die beiden Inscriptionen gewiß von Interesse u. wohl noch unbekannt sein; auch Herrn Meinert und die Herren André, denen letzteren ich mich verbindlichst und dankbar zu empfehlen bitte, werden die beiden pikanten Dinge fesseln. Hätte Webers Sohn die obige Inscription Mozart’s gekannt, so hätte er sich eine große Arbeit ersparen können, da Mozart in diesem Blättchen seine Verwandschaft mit Weber's Familie ausdrücklich erwähnt. Carlsruhe stellt zwei Manuscripte Weber’s in Aussicht. Auch Hauser sprach ich, der aber nichts hatte, mir aber ein italiänisches Manuscript von Battista für meine Sammlung gab. In Baden-Baden traf ich eben Panofka u. sprach außer ihm noch Vieuxtemps, der | höchst liebenswürdig war u. mir ein herrliches Autograph von sich schrieb, mir außerdem ein Manuscript in Aussicht stellt, was wunderbarerweise ich einst besaß u. der Frau v. Weber wieder zurückgab, da sie es nicht bedeutend genug fand, wogegen ich eben das ganze Heft Kriegslieder: Lützow, Schwertlied pp. von ihr bekam. – Grüßen Sie Vieuxtemps herzlich, er war sehr herzlich u. bildet eine hervorragend liebenswürdige Erscheinung meiner dießmaligen Reise. Bei der Garcia-Viardot verlebte ich ein paar angenehme Stunden, sah ihre Don Juan Partitur, Ihren Musiksaal, (ein freistehendes Gebäude, höchst reizend eingerichtet) sprach ferner in Baden den alten Pixis, der mir über den „letzten Gedanken Webers“ einige merkwürdige Mittheilungen machte, die, so viel ich auch schon darüber weiß, dennoch neu waren. Auch Moscheles, Clara Schumann u. die Artot waren da; Schlesinger wollte mich durchaus dahin führen; ich war aber allzu ermüdet. In Stuttgart war die größte Arbeit mir vorbehalten. An 20 Stellen habe ich geforscht, den Erfolg mit Zumsteeg wissen Sie; er ist der, der am meisten bedeutet für die Sache in directem Sinne. Im Theater-Archiv fand ich durch das Buch die Bestätigung, daß „der Freibrief“ eine Oper von Joseph Haydn sei, worüber immer noch ein Dunkel lag. Eckert sprach ich. Faist, Prof. u. Dir. des Conservat. hatte nichts, eben so der 86Jährige Dr: Kochel, Musik-Director an der Stiftskirche. Einen Antiquar an dieser fand ich nicht, wohl aber an der Leonhard Kirche einen solchen, Namens Hieronymi, der aber auch nichts hatte. Außerdem war ich noch etwa bei sechs verschiedenen, überall ohne Erfolg. — Im Ganzen genommen ist aber dennoch meine Reise eine für meine Zwecke ersprießliche gewesen u. wenn auch keine glänzenden Resultate hervorgegangen sind, so muß ich doch, u. kann zufrieden sein. – Außerdem | habe ich eine Menge lieber und liebenswürdiger, weit über mein Verdienst mir gewogen gewordener Menschen kennen gelernt und das thut dem ganzen Menschen wie ein geistiges Bad wohl u. wäscht manchen trüben dunklen Fleck aus der Seele, die ja täglich Verdunklungen, ja Schrammen auf ihrer Fläche erhält, die ja wie ein Spiegel sein sollte. – Verzeihen Sie mein langes Schreiben; doch ich glaubte Ihnen einen kleinen Bericht über meine Erfolge schuldig zu sein, der Sie sich nun schon so lange und so unermüdlich denselben widmen; und so ist es denn auch untrennbar davon, daß ich, da ich persönlich also nun nicht in Frankfurt erscheinen konnte, Sie mit neuen Bitten behellige. – Zuvörderst bitte ich also die Abschrift von H. André in Frankfurt gegen Postvorschuß an mich gütigst senden zu wollen; ebenso das, was Herr André in Offenbach mir etwa zugedacht hätte, da ich offenherzig gesagt, nicht genau weiß, ob ich noch etwas von ihm zu erwarten habe; ich glaube aber die Verlagsangelegenheit über die kleinen Sonaten mit Violin-Begl. ist noch zu erörtern, wo Weber das Honorar zur Hälfte wirklich ausbezahlt bekam, die Sonaten aber dennoch nicht bei André, sondern bei Simrock erschienen; auch Autographe Webers könnten sich noch möglicherweise finden, Noten oder Briefe, erstere gedruckt oder ungedruckt ist ganz gleich. Ja, ja, so ist es auch, das war verabredet! Sehen Sie diesen Herren (wie ist sein Vorname, dessen, der mir den Mozart schenkte –?) sehen Sie ihn also zufällig, so bitte, bringen Sie freundlichst diese Dinge bei ihm in Erinnerung; ich werde außerdem versuch[en] an ihn nächstens [zu] schreiben; auch meinen innigen Dank für seine Freundlichkeit, so wie meine Empfehlungen seiner Familie bitte ich zu sagen. – Was nun Ihren gütigen Herrn Collegen, den Herrn Kapellmeister Lachner, | anlangt, so bitte ich, ihn zu fragen, wann er die Summe von 40 Gulden (so viel war es – nicht wahr?) wünscht. Lieb wäre es mir, wenn es einige Zeit noch Anstand hätte, da meine beiden Reisen nach Sachsen u. die jetzige, doch etwas tief in meinen Geldbeutel gegriffen haben. Glauben Sie aber, daß ihm eine Verzögerung der Zahlung nicht erwünscht ist, oder daß das Geschäft etwa dadurch ihm leid gemacht werden könnte so bitte, schreiben Sie mir es unverholen, u. ich sende dann das Geld, sobald ich wieder in Berlin mich einigermaaßen zurecht gesetzt habe, spätestens in diesem Falle im September, wenn es sein muß – sofort! Die Erlangung des fehlenden Blattes ist mir jedoch von großer Wichtigkeit; ich werde dagegen nicht verfehlen, ein kleines Billetchen Webers mit Unterschrift zu senden, so sauer dies mir ankommt, da ich damit zugleich meinen Katalog, der sehr elegant gehalten ist, verunstalten muß. – So, nun habe ich allen Bitten keine weitern hinzuzufügen als mich Ihrem sehr geehrten Herrn Collegen verehrungsvoll u. dankbar für seine Bereitwilligkeit, mir durch Erfüllung meines Wunsches eine Freude zu machen, zu empfehlen. Ihrer liebenswürdigen Gattin aber vorzugsweise, wie Ihren verehrten Schwiegereltern gr sage ich meine innigsten und wärmsten Grüße, mit der Bitte, meinem Andenken eine kleine Stelle bei sich zu gewähren. Denken Ihre lieben Kinder wohl noch an mich, so klopfen Sie Ihn ihnen in meinem Namen die lieben runden Bäckchen und gestatten Sie mir, Ihnen aus warmem Freundesherzen die Hand zu drücken als Ihr treu u. dankbar ergebener FW. Jähns. | #lb#Berlin 23. Aug.#lb# Mittwoch früh.Wie das so geht! da hatte ich den Brief fertig, aber es war kein Bote da, ihn eine Viertelstunde mit in die ländliche Post zu tragen. So wanderte er ruhig mit mir hieher und nun will ich wenigstens mir noch die Freude machen Ihnen mitzutheilen, daß ich gestern Abend mit meiner Schwiegertochter und meinem Sohne Ihre neuen Duetten, die ich in Frankfurt von Ihnen empfing, durchgemacht habe und zwar zu inniger Erbauung von uns allen dreien. Alle sind sie, wie Alles von Ihnen, und ich möchte sagen, wie Sie selbst, d. h. ohne alle Kokketterie, warm, wahr und tief, zum redlichen vollen Herzen sprechend, indem sie es rühren. Die schöne und immer interessante Stimmführung überall fesselt zugleich den Musiker, wie solche Musik es den Hörer nach u. nach daran gewöhnt, das Künstlerische zu erkennen und zu nach und nach immer mehr lieb zu gewinnen, und abzuschwören vom bloßen geistlosen Klingklang. – Wir hatten alle unsere innige Freude an Ihrem Werke und ich sah Sie lebendig neben mir. – Schönen, schönen Dank, gelegentlich schicke ich auch mal was; jetzt aber erinnere ich aber Sie nochmals an die Schiller-Musik! Ich will sie zu Schillers Geburtstag zum 10. Nov. machen lassen, in welchem Monat das erste Urenkelchen Schiller’s geboren werden wird, wie mir die zukünftige Großmutter desselben heut sehr beglückt schreibt, die liebenswürdige Frau v. Gleichen, von der ich Ihnen erzählt habe. – Noch eins! Bitten Sie doch Andrés, d. h. einen der Handlungsinhaber, mir das op. 9 von Gänsbacher, Weber’s Mitschüler bei Vogler, gütigst zu senden; vor längerer Zeit habe ich mich durch die Trautwein’sche Handlung hier an André’s gewendet; es kam mir aber der Bescheid, man habe das opus nicht; es ist aber dort erschienen nach dem großen Whistlingschen Katalog. | Der italiänische Text ist von C. M. v. Weber übersetzt und darum interessirt es mich. Also richtig noch eine Bitte angebracht, müssen und werden Sie natürlich denken – jetzt aber auch kein Wort mehr, als ein nochmaliges herzliches Lebewohl Ihres F.W.J.