## Title: Friedrich Rochlitz an Ignaz Franz Edlen von Mosel in Wien. Leipzig, Samstag, 30. September 1826 ## Author: Rochlitz, Johann Friedrich ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A042608 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Sr. Hochwohlgebl. dem Herrn Hofrath, Edlen von Mosel, Vice-Director des k. k. Hof-Burgtheaters in Wien. Frey, Gränze. im Schottenhofe. Leipzig, d. 30sten Septbr. [18]26. Ich habe Ihnen, mein theurer, verehrter Freund, lange – frage ich meine Empfindung, sehr lange nicht geschrieben. Ich zweifle nicht, Sie werden vorausgesetzt haben: Läßigkeit u. dgl. ist das nicht; er muß Ursachen haben, die, wenigstens ihm, als hinreichend erscheinen. So ist es auch wirklich. Dieser schöne, unabläßig zum Freudegenuß einladende Sommer ist – ich will nicht sagen, der unglücklichste, wohl aber die niederschlagendste meines ganzen Lebens gewesen. Und zwar wurden Geist und Körper ohngefähr zu gleichen Theilen gebeugt und niedergehalten; so weit das nämlich von Eindrücken auf den eigentlichen, innersten Kern unsern Wesens abhing. In solchen Verhältnissen nun zu dem Freunde, mit dem man an Einem Orte wohnt, zu flüchten: das darf man, das soll man. Kann er nicht helfen, kann er auch nicht trösten: so wird der Anblick seiner Theilnahme erquicken; ja selbst seine Nähe und Vertraulichkeit wird lindern, erleichtern, wohlthun. Und warum sollte man sich das versagen, da es gern geleistet wird? warum es ihm nicht zumuthen, da man sich fähig und bereit fühlt, in jeder Stunde es zu erwiedern? Aber den entferneten Freund soll man nicht damit behelligen. Wäre es auch möglich, Alles schriftlich so darzulegen, wie mündlich – was es doch niemals ist: so ist es ein bloßes, erfolgloses Sichauslassenwollen; mithin etwas Gemeines oder Selbstisches: und das soll sich wenigstens der Alte, der sich | muß besinnen und fassen können, niemals erlauben. Und so habe ich mir’s nicht erlaubt und erlaube mir’s auch jetzt nicht. Was ich bisher gesagt, schien mir nöthig, damit Sie nicht irre an mir werden: jetzt lenke ich zu Heitererm ein. Und da habe ich sogleich anzuknüpfen: Ich kann Gott nicht genug für die Gnade danken, daß ich bey allem jenem, die zufriedene Begabung kaum in einigen Stunden aufgereizter Schwäche, und die Fähigkeit und Geneigtheit zu arbeiten kaum in einigen Tagen, wo ich hart darniederlag, verloren hatte. Und so rufe ich, wie ein ehrlicher Bergmann, der im dunkeln Schacht sich abmühet: Glück auf! – In dem, was ich dieses Halbjahr geschrieben, bin ich jener Kunst, die zuerst uns Beyde einander näher gebracht, fast untreu geworden: doch ist sie wenigstens nicht ganz leer ausgegangen. Einiges davon, mit oder ohne meinen Namen, werden Sie in der hiesigen musikal. Zeitung gefunden haben oder finden; z. B. Fesca’s Leben; Erfahrungen eines Musikers pp Von Anderm führe ich Ihnen nur an, was Sie um der Gegenstände selbst willen interessiren kann, wenn es auch von mir nicht sonderlich geachtet wird; nämlich die von Tiecks dramaturg. Blättern, besonders dem 2ten Bande, im hiesigen „Repertorium“, und von Quandts Geschichte der Kupferstecherkunst, die kürzere, ebendaselbst, die ausführliche, in der hiesigen Literatur-Zeitung. Das ist viel von mir selbst gesprochen! es soll aber auch hoffentlich Alles seyn. Jetzt Einiges | in Beziehung auf Ihren letzten, schönen Brief, vom 16ten Julii, aus dem reizenden Baden. Willkommen im Lande der Lebendigen, du kleiner Eduard! Gott erhalte und seegne dich zu deinem Heil und deiner lieben Aeltern Freude! Bist du der treuen Mutter schwer geworden, so wird sie dich darum nur desto mehr lieben, und du hast ihr diese Liebe um so reichlicher durch die deinige zu vergelten. Wandelt den gewissenhaften Vater zuweilen eine Sorge um deine Zukunft an, so darfst du nur um so fröhlicher um ihn spielen, um so kindlicher auf ihn aufmerken, so wird sie verfliegen. Werde ich jemals dich sehen? Schwerlich! Aber laß uns redlich das Unsrige thun, daß wir dereinst im Himmel einander kennen lernen! – Die Auflösung – nicht Ihres Freundschafts-, doch Ihres Geschäfts-Verhältnisses mit dem würdigen Grafen Dietrichstein beklage ich um Ihretwillen: ihm muß ich Glück dazu, und noch mehr zu seinem jetzigen Amte, von Herzen wünschen. Letzteres auch Ihnen zu dem erhöheten Posten. Es ist Ihnen damit nur geschehen, was Ihnen gebührt: aber das ist auch in den weltlichen Verhältnissen das Beste. Mehr lastet noch öfterer, als weniger schmerzt. Verlieren Sie den Muth nicht und lassen Sie jede gute Erfahrung die Liebe neu erwecken. Von allen, die wirklich ein Urtheil haben, wird wahrhaftig Ihr großes Verdienst anerkannt. Sie können einige Schauspiel-Virtuosen, (in ganz Deutschland nur zwey männliche und einen weiblichen,) die Sie nicht aufwiegen können, zugestehn: aber alle | Fächer so brav besetzt und ein so ausgezeichnetes Ensemble, wie Sie, besitzt doch ganz offenbar kein deutsches Theater. Auf Letztes kömmt’s aber doch zuvörderst an. Und nun einem solchen Institute vorzustehen und es möglichst (hier zucke ich freylich mit Ihnen die Achseln) zum Besten zu leiten: das ist doch wahrlich keine Kleinigkeit, mag man nun auf die Sache an sich, oder auf ihren Einfluß auf so viele, oder, wie man soll, auf Beydes sehn. Wie sehr mich Mar. v. Webers Tod betrübt hat, kann ich nicht sagen. Ich habe seit seinem 14ten Lebensjahre (da schickte sein damaliger Lehrer – so weit er Lehrer seyn konnte – Michael Haydn, seine ersten Compositionen mir zu) mit ihm in Bekanntschaft, seit er ein Mann geworden, mit ihm in wahrer Freundschaft gelebt, wenn wir auch über Vieles verschieden dachten; ich habe im jetzigen Deutschland ihn wie Sie, für den besten, wo nicht den einzigen, wahrhaft theatralischen Theater-Componisten gehalten und deshalb mit Dank geehrt; ich habe ihn als einen wahrhaft schönen, nur durch kränkelnde Überreizung oft wankenden Charakter geliebt, um letzter willen gehätschelt und doch in Liebe nicht selten geleitet; er hat mir manche Mühe und Sorge gemacht, aber durch beharrliche Anhänglichkeit und viele kleine Erweisungen zarter Liebe (in welchen er besonders erfinderisch war) dies reichlich vergolten; alles dies hatte mich nur um so enger an ihn gezogen: und alles dies ist nun, so plötzlich, unter manchen so schmerzlichen Umständen, von denen | die Welt noch wenig weiß, dahin, und kehrt ihr und mir nicht wieder! Aufgefordert von ihm selbst (in einem sehr schönen, höchst rührenden Briefe, den er, für unvorherzusehende Fälle, versiegelt seiner Frau zurückließ) und von Andern, wollte ich sein Leben beschreiben: da kam unser Prof. Wendt und meldete mir, er thue das schon, ganz ausführlich und schnell, um den neuen Eindruck seines Todtes zu benutzen pp und so bin ich, der nicht schnell hervortreten konnte, zumal da ich damals krank lag, zurückgeblieben; habe auch selbst die Wittwe gebeten, Hrn. W. durch Webers Papiere zu unterstützen, behalte indessen mir vor, früher oder später, ein möglichst treues, einfaches Bild von dem lieben Entschlafenen, wo es nun sey, aufzustellen. – Von Herzen freuet es mich, daß Sie ein Gleiches dem seel. Salieri angedeihen lassen, und was Sie früher dagegen verstimmt hatte, von sich geworfen haben. Vielleicht erzeigen Sie jenes auch mir, wenn ich dahin seyn werde. Gern arbeitete ich selbst meinem dereinstigen Biographen in die Hand: ja, wenn nur mein Leben, mein inneres nämlich, einen so einfachen Gang genommen hätte, wie meistens das, der Künstler; oder wenn ich von dem meinigen nicht – zu vieles wüßte! Indeß bleibt mir die Neigung; und wer weiß, ob ich sie nicht dennoch erfülle. Darf Hr. Schreyvogel wissen, daß ich unterrichtet bin, er sammle seine Papiere und werde sie der Welt vorlegen: so bezeugen Sie, mit | herzlicher Begrüßung, ihm doch ja meine Freude darüber und meinen lebhaften Wunsch, daß er nicht zu lange zögern möge, damit ich auch wirklich noch etwas davon zu genießen bekomme. Irre ich nicht, so wird er zwar oft von Tieck sehr verschieden urtheilen und lehren, aber ohne daß der Eine dem Andern eigentlich Eintrag thun wird; wie ja der vielerfahrne, geistvolle Praktiker dem bloßen, wenn auch gleichfalls geistvollen Theoretiker und Historiker im Grunde niemals Eintrag thut. Thut der treffliche Prediger und Seelsorger dem buch-gelehrten Theologen und Casuisten Eintrag? Im Gegentheil: sie gehören zusammen und bilden für den rechten Mann erst das Ganze. Ich z. B., wenn ich auch noch nicht der recht Mann zu seyn behaupte, habe von Tieck nicht wenig gelernt, und werde von Schr. viel lernen; habe dort mich oft sehr gefreut, und werde hier mich öfter sehr freuen. – Die Art, wie Gottfr. Weber nun seinen Angriff auf das Mozartsche Requiem fortgesetzt und durch Advocaten-Rabulisterey den Schwachen imponirt, die Unklaren verdutzt hat – wird Sie, wie mich, angewidert: aber die giftige Niederträchtigkeit, womit er unsern ehrwürdigen Stadler zu beschmutzen gesucht und freche Übermüthlinge auf seine Seite gezogen hat – empört haben. Und nun die musikalische Welt –? Schott hat die Cäcilia, bey einer Auflage von 1500 Exemplaren, noch einmal drucken müssen, und jene Requiems-Geschichte noch besonders – mithin zum drittenmale: mein Verleger verkauft an meinem Buch in einer | Auflage von 800 Exemplaren noch heute. Man will Streit und Haß und Zerstörung, nicht Ruhe, Liebe und Aufbauen. So bin ich auch in mehrern Zeitblättern weidlich heruntergerissen worden, daß ich im Oratori, die letzten Dinge, nicht einmal wirklich dramatische Scenen und Geschichte, sondern blos prophetische Andeutungen hiervon und fromme Gefühle dabey – ja auch diese nicht einmal aus meinem Hirn, sondern blos aus der Bibel, gegeben habe; was doch wahrlich heiße, es sich gar zu bequem und Andern Langeweile machen pp Gestehen Sie nur: es gehört Etwas dazu – ich sage nicht: ohne Erbitterung; denn diese läßt kein wackrer Mann aufkommen: ab er, mit ungestörtem Fleiß und beharrlicher Liebe ohne die geringste irdische Entschädigung der guten Sache treu zu bleiben, und fortzufahren, dieser, wie viel oder wie wenig man vermag, zu nützen, auch selbst jenen Verächtern und Schmähern einige Freude zu bereiten, wie ich ja hier durch Spohrs Musik gethan, der ohne mich gar nicht daran gedacht hätte, sie oder irgend ein Oratorium zu schreiben. Diese Musik kenne ich nun, in wiefern man solch ein wahrhaft großes und reiches Werk durch bloßes Durchlesen kennen lernen kann. Ohne allen Zweifel ist es das Geist- und Seelenvollste, Edelste und Grandioseste, was jemals Spohr geliefert hat. Er hat Wort gehalten, und ist meinen Ideen und Angaben überall gefolgt (sogar darin, daß er den Gesang für sich möglichst ausdrucksvoll, doch dabey sehr einfach und auch leicht | auszuführen gehalten, von der neuesten Instrumentation aber, und dem, was man ihr jetzt zumuthen kann, alle Vortheile gezogen hat,) – aber er ist jenen, wie freylich Jeder, der in der That ein Selbstständiger ist, auf seine Weise gefolgt. Nicht Weniges habe ich mir, nicht in Idee, aber in der Handhabung und Ausführung derselben, anders gedacht: doch kann ich keineswegs entscheiden, welcher von uns Beyden mehr Recht hat. Auf jeden Fall wird die Musik, stark besetzt und gut ausgeführt, überall Glück machen; auch wo man, wie gewöhnlich, um ihren Sinn und Zweck sich gar nicht bekümmert, sondern blos mit offenen Ohren sich ihr hingiebt. Und so darf ich zufrieden seyn, sie veranlaßt zu haben; und auch allenfalls etwas dafür zu dulden. Von Webers Oberon kenne ich die Ouvertüre, eine Hauptarie und ein Hauptensemblestück – nämlich, wie sie sind, nicht blos aus dem Klavierauszuge, der besonders bey W.s neuern Arbeiten nur als Schattenriß dient. Man wird mir freylich eben von dem Trefflichsten der ganzen Oper vorgelegt haben: aber von diesen drey Stücken halte ich auch jedes für das schönste von allen derselben Gattung, die W. jemals geschrieben hat. Der Schluß der engbekritzelten, achten Seite erinnert mich endlich, daß ich aufhören muß. Gott mit Ihnen, mein theurer Freund; mit Ihnen und allen den lieben Ihrigen! Erhalten Sie mir das Andenken Ihres Freunschaftsbeweises! Wie gern hätte ich Adam Müller, der mit den Seinigen in diesen Tagen nach Wien gegangen, begleitet! Wie gern –! Ihr Rochlitz.