WeGA, Briefe, Digitale Edition Friedrich Rochlitz an Carl August Böttiger in Dresden <lb/>Leipzig, Donnerstag, 11. Januar 1827 Rochlitz, Friedrich Veit, Joachim Übertragung Eveline Bartlitz

Version 4.9.1 of February 5, 2024

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Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe
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Machine-Readable Transcriptions of Texts from the Carl Maria von Weber Complete Edition (WeGA)

äußert sich ausführlich über seinen Eindruck von Webers letzter Oper, deren deutsche Erstaufführung am 24. Dezember 1826 in Leipzig mit großem Erfolg stattgefunden hat, er bittet, dass Böttiger seine Schilderung Caroline von Weber übermitteln möchte, des weiteren persönliche Mitteilungen Sie verlangen von mir Nachricht über unsres Webers Oberon, liebster Freund!

D; Dresden; Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek; Mscr. Dresd. H.37,4°, Bd. 171, Nr. 41

Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe, Sämtliche Briefe

Übertragung folgt den ER der WeGA

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German Themenkommentar verlinkt am Digitalisat korrekturgelesen und Verweise aufs Digitalisat eingefügt ED (Auszug) nachgetragen Brieftext-Eingabe
Leipzig, d. 11ten Jan. 27.

Sie verlangen von mir Nachricht über unsers Webers Oberon, liebster Freund! Wahrscheinlich komme ich nun zu spät damit: doch sollen Sie wenigstens sehen, daß ich jeden Ihrer Wünsche gern erfülle. Früher konnte ichs nicht; denn ein Werk, das, wie die andern der spätern Opern W.s gleichfalls, so vieles ganz Eigenthümliche – dabey auch so viel Pracht- und Reizvolles zu sehen, nicht aber in einem guten, ein wahres Ganze bildenden Gedichte Etwas bietet, was über das zerstreuende herrscht, beym Mittelpunkte des Werk Ganzen hält: ein solches Werk muß man erst mehrmals hören, ehe man sich ein Urtheil erlauben darf. Dafür können Sie sich aber auch auf das verlassen, was ich Ihnen nun schreibe. Wären Sie ein Musiker, so würde ich sehr in's Einzelne gehen und meines Schreibens viel werden: da Sie aber jenes nicht sind, halte ich mich blos an das Allgemeinste.

Der Dichter hat zwar einige gute Situationen, sonst aber nichts gegeben, als eine Reihe – weniger verbundener, als an einander gehangener Scenen und Tableaus. Desto mehr ist der Componist zu bewundern, daß er dennoch, wenigstens im Wesentlichen, ein wahres Ganze herzustellen vermocht hat; und ein Ganzes, das sich nicht nur von den Opern aller Andern, sondern auch von seinen eigenen andern, ganz absondert. Das vermag selbst das eminenteste Talent allein nicht: es muß ein wahrhaft denkender Geist dazukommen; ein Geist, der überall weiß, was er will und was er soll.

Jenes hat W. zunächst und im Allgemeinen dadurch erreicht, daß er das gesammte Geisterwesen scharf von dem, was Menschen thun oder leiden, geschin seiner Musik geschieden, und NB jenes zur Hauptsache erhoben hat. Dadurch hat er zugleich seinem Werke einen unbeschreiblichen, auch durchaus neuen Reiz verschafft (daß, soll dieser Vorzug zur lebendigen Anschauung kommen, nicht nur ein reicher Chor, sondern auch der Maler, Decorateur, Maschinist, Tanzmeister vor allemLaut Theaterzettel war neben F. Gropius auch der Maler Friedrich Traugott Georgi an der Ausstattung beteiligt, von dem die Schlussdekoration des II. Akts stammte. Die Choreographie der Tänze übernahm Gottlob Michael Wentzel, die Bühnenmaschinerie stand unter Aufsicht des Theatermeisters Höck., ein Director, der diese Alle mit Geschmack anzustellen wußte und nun über der pünktlichsten Ausführung hältdaß diese Alle ihre Schuldigkeit mit Geschicklichkeit und Liebe thun müssen: das versteht sich. Bey uns ist dies alles nicht nur gut, sondern das Schönste, was wir hier noch jemals gesehen und gehört haben.) Nur Oberon selbst macht im oben Angeführten gewissermaßen eine Ausnahme. Offenbar hat der Dichter nicht gewußt, was mit ihm machen; und so hat auch W. ihn nur als ein Mittelding zwischen Geist und Menschen ziemlich unbestimmt hinstellen können. Hüon und Rezia sind gut gezeichnet: aber etwas Anderes, etwas Bestimmteres, aus ihnen zu bilden, als einen tüchtigen ersten Sänger und eine tüchtige erste Sängerin, war, nach dem was ihnen der Dichter zu thun und zu sagen gibt nicht möglich. Da man dies aber aus vielen deutschen und allen italienischen Opern gewohnt ist: so thut es dem Werke nicht keinen Schaden, es entziehet ihm nur einen Nutzen. Fatime hat sehr schöne Gesangstücke: aber ein wahrer Charakter konnte auch sie nicht werden. Die Andern bedeutenwenig. – So bleiben die Geistergeschichten die Hauptsache: diese aber sind auch an Originalität und Seele, an Anmuth und Zartheit, an Mannichfaltigkeit bey fester Haltung, an Leichtigkeit und Reiz bey geistvoller Ausarbeitung, nicht zu viel zu preisen; sie sind die lieblichsten und fleckenlosesten Blüthen der Phantasie unsers Freundes. Hören Sie früher oder später die Oper, so halten Sie sich in den ersten Aufführungen vor allem, ja allein, an sie; und ich verspreche Ihnen den schönsten Genuß. Mit dem Übrigen wird sichs dann nach u. nach finden, und Sie werden dann auch hier verschiedene treffliche Stücke entdecken. Hieraus ergiebt sich auch, wie der Gesammteindruck des Werks auf die gemischte Menge seyn müßte. Alle Welt wird es hören und – sehen wollen. Wird für Beydes hinlänglich gesorgt, so wird sie sich sehr, sehr freuen: aber so oft wiederkommen, wie beym Freyschütz, das wird sie nicht. Wer hingegen zu unterscheiden und Jedes in seiner Art zu genießen fähig ist, der wird eben so oft, wie dort, wiederkommen, und vielleicht noch lieber zu diesem Feen-, als zu jenem Teufels-Spuk.

Dies sey Ihnen genug; und wenn Sie glauben, daß es der guten, lieben Weber einige Freude machen könne, diese meine Ansicht und ganz unumwundene Überzeugung zu lesen: so theilen Sie es ihr, mit meinen herzlichen Grüßen, mit.

Für Ihren traulichen Freundschaftsbrief will ich übrigens nur danken. Daß Ihnen die letzte Vergangenheit so schwer geworden und auch die Gegenwart nicht leicht wird, Gott weiß, daß ich daran redlichen Antheil nehme. Indessen Geduld! guten Muth! Wolken verschweben. Und: Dolor hic proderit olim. – Mir giebt Gott die Gnade, daß ich, und ohne sonderlichen Kampf Alles fallen lassen kann, was fallen will; auch, was mich, und mit Recht, kränken oder beunruhigen könnte. So bleibt mein Geist frey und ich kann viel oder doch vielerley zu Stande bringen, ja, es drängt sich geistig mir jetzt mehr zu, als jemals; weit mehr, als irgend einmal auszuführen, ich mir nur einfallen lassen kann. Dabey genieße ich oft den Spaß, daß Bekannte mir zu lesen dringend empfehlen, auch wohl darbringen, wovon sie keine Ahnung haben (durch mich auch keine bekommen) daß ich selbst es gemacht habe; denn schon seit geraumer Zeit nenne ich meinen Namen öffentlich so selten, als – Andere ihn nennen; werde auch dabey verbleiben, und damit dieselbe Erfahrung auch fernerhin machen, wie ein Verstorbener, dem der Geist unbemerkt zurückkehrt und der nun die Gespräche der um seinen Sarg Versammleten mitanhört.

Reisen Sie im Julius immer nach Marienbad und holen Sie sich neue Gesundheit: mir entlaufen Sie nicht; ich hoffe den Junius, Julius und August in Dresden zu verleben. Ihr Rochlitz.

Ich habe lüderlich geschrieben: es geschahe in Eil u. unter Störungen.