Wien, den 2. April 1804.
Lieber Freund und Bruder!
Nach mondenlanger Frist einmal wieder ein Wort des Freundes zum Freunde. Ha! dacht
ich, hat auch dieser dich vergessen, so ist die ganze Welt Trug, und du glaubst
nichts mehr. Endlich erhalte ich gestern zu meiner gänzlichen Beruhigung den dritten
und vierten Bogen deines Briefes. Sie thun mir wohl, denn seit kurzem wieder von
vielen Seiten getäuscht, in Menschen betrogen, auf die ich nicht nur Häuser, nein!
mich selbst gebaut hätte, dachte ich mir alles im schwarzen Lichte, dachte dich auch
der Abtrünnigen Einen. – Aber du bist es ja nicht, – bist ja noch immer der alte, und
das söhnt mich wieder mit dir und der Welt aus, – aber du bist so schuldlos auch
nicht, denn ich sollte ja schon längst den ersten und zweyten Bogen erhalten haben,
bis jetzt habe noch keine Sylbe davon gesehen. – Inzwischen daß du nicht ganz ohne
Strafe durchkommst, sollst du einen ellenlangen Brief von mir erhalten. – – Dein Plan
ist vortrefflich, und ich will ihn, so viel in meinen Kräften steht, auszuführen
suchen. Am schwersten wird mir die Zurückrufung der Vergangenheit seyn, ich werde
aber von einer starken Epoche der Kunst- oder vielmehr Theatergeschichte Wiens oder
der Hauptepoche des Theaters an der Wien anfangen. Du wirst ohne Zweifel schon von
dem Verkaufe desselben an den Baron Braun (der die Hoftheater auch besitzt) für
900.000 fl. gehört haben. – – – – – Das Theater an der Wien war immer die Freystätte der
Kunst und erhielt die Hoftheater in beständiger Aufmerksamkeit, daher die
Angesehensten vom Adel, als ein Fürst Lobkowitz, Esterhazy, Schwarzenberg etc. sich
schon lange verbunden hatten das Theater an der Wien zu kaufen, koste es auch was es
wolle, und dadurch den Hoftheatern eine rechte Brille auf die Nase zu setzen. Braun
erfährt es, läuft zu Zitterbarth (dem vorigen Besitzer desselben, einem Kaufmann, der
bloß für das Kaufmännische des Theaters zu brauchen war, zugleich ein Narr in Folio,
bey dem aber doch Schikaneder Alles führte) und in Zeit von einer Stunde ist der
Handel geschlossenZum Verkauf vgl. auch den Bericht vom 12. Februar in: AmZ, Jg. 6, Nr. 22 (29. Februar 1804), Sp. 361f.. – – – – Der Liebling Schikaneder, dem man wirklich große Theatral und Lokalkenntniß nicht absprechen kann, wird abgedankt, und sitzt nun auf seinem
Gütchen in NußdorfIm sogenannten [Léhar-]Schikaneder-Schlössl in Nußdorf (heute zum 19. Wiener Gemeindebezirk Döbling gehörig), Hackerhofgasse 18, E. Schikanders Domizil von 1802 bis 1812 (mit Unterbrechungen).. Die Direktion des Theaters wird einem gewissen Sonnleithner, der
ein vortrefflicher Kopf ist, doch unmöglich genug praktische Kenntnisse zur Führung
eines so großen Wesens haben kann, der zugleich Sekretär bey Baron Braun ist, und dem
das Kunst- und Industrie-Comptoir auf dem Kohlmarkt gehört. Das Publikum ist
mißmuthig, der Adel eikant, das kleinste Versehen wird doppelt geahndet, das Haus ist
meistens leer, nun reißt eine falsche Politik bey der Direction ein, man dankt die
am besten bezahlten, daher brauchbarsten Leute (als die Mad. Willmann, die beste
Bravoursängerinn und einzige deutsche Sängerinn am Wiedner Theater), denn Mad. Campi,
eine Italienerinn (singt bloß in großen Opern, deren höchstens drey bis vier sind
und kann kaum deutsch) und Hrn. Teimer einen sehr braven Bassisten, und
Englisch-Hornisten ab, um Geldausgaben zu sparen, und sich dadurch die Mittel zum
Geldverdienen zu benehmen. Abbé Vogler, dem von der französischen Partey alle
erdenklichen Cabalen gespielt werden, verliert sehr durch den Abgang obiger
Mitglieder, denn diese beyden waren die einzigen, die ganz einstudirt waren, auf
die er hauptsächlich gebaut und geschrieben hatte. Nun muss er beynah wieder von
vorne anfangen, die Hauprolle einer Sängerinn (Mad. Campi) geben, die nicht sprechen
kann (welches Unglück er schon mit der männlichen Hauptrolle hat, nemlich mit Hrn.
Simoni, dem Geliebten der Mad. Campi, – – – ) vieles umarbeiten etc.Laut AmZ, Jg. 6, Nr. 35 (30. Mai 1804), Sp. 583 und Webers Brief vom 12./14. Juni 1804 sangen in der Uraufführung u. a. G. Simoni, A. Campi (Maha), L. Müller (Naga), F. S. Mayer (Tamburan), J. Caché und Ph. Teimer (Sterndeuter). Schikaneder
sollte auch seine Oper heben helfen, der ist auch weg. – Seit dem Theaterkauf, als
dem Fastnacht Sonntag, ist nichts Neues geliefert worden. Concerte gab es genug.
Abbé Vogler gab eine große musikalische AkademieBericht über Voglers geistliche musikalische Akademie (Concert spirituel) am 26. März 1804 im Theater an der Wien in: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 4, Nr. 41 (5. April 1804), Sp. 325f.; vgl. dazu auch Joachim Veit, Der junge Carl Maria von Weber. Untersuchungen zum Einfluß Franz Danzis und Abbé Georg Voglers, Mainz u. a. 1990, S. 68f. , wovon ich dir den Zettel
beyschließe. Die ganze Symphonie ist ein Meisterstück, der Menuet mußte wiederhohlt
werden. Das Terzett von Acerbi ist auch sehr schönVgl. Veröffentlichung in der AmZ (Beilage XIV zum 12. Juni 1799, Sp. 592ff.). Vogler componirte es in Schweden
in einem Zimmer ohne Stühle und Bänke, da nemlich Acerbi und noch ein guter Freund
Vogler's nach Lappland reisten, um dort die Sonne auf gehen zu sehen, und sie sich
alle drey längst vorgenommen hatten, auf diese Gelegenheit etwas miteinander zu
verfertigen, so ward es aber doch unter Zerstreuungen bey Gelegenheit der Abreise
bis auf den letzten Augenblick vergessen, wo sich auf einmal Acerbi, der den Text
auch noch nicht fertig hatte, daran erinnerte, Voglern aufforderte, und so die
Geburt dieses äußerst edlen Gesanges in Zeit von wenig Minuten im leeren Zimmer
verursachte. Es wurde recht brav vorgetragen. Trichordium. Aus dem bekannten Lied
Rousseau's ist hier ein sehr vollständiges mannigfaltiges Ganze mit einer Polonaise
am Schlusse geworden. Es ging recht brav und wurde mit allgemeinem Beifall
aufgenommen. OuvertureVgl. (SchafhäutlV 168). Ein originelles Meisterstück, welches aber nicht zum besten
vorgetragen wurde, besonders bey dem Eintritt der vollen türkischen Musik.
Benedictus. Zu der Messe aus D-moll, welche Vogler in Mannheim vor Jahren schrieb,
hier neu dazu verfertigt. Ein vortreffliches Werk in vierstimmigem Gesang und
Harmonie. Ich besitze es und werde sehn es dir gelegentlich schicken zu können, aber
bloß für dich. Madmoiselle SuperLaut Vollständigem Verzeichniß der in dem k. k. privil. Theater an der Wien aufgeführten Schauspiele und Opern vom 1ten Januar bis 31ten December 1804, Wien 1805, S. 5 die Chorsängerin Mlle. Supper eine Choristin des Wiedner Theaters eine sehr brave
Stimme, war hier etwas furchtsam, griff das hohe Ais etwas zu schwach, es wurde
dadurch falsch und das Publikum lachte. – Israels Gebet. Hier neu und schnell
componiert, wurde erst den Tag vor der Aufführung fertig, ging nicht gut. Mad.
Willmann fiel viel zu früh ein, und zog auch den Chor nach sich. Hr. Teimer bließ sehr
schön, und auch Mad. Willmann sang die sehr schwere Passage mit vieler Leichtigkeit
und Deutlichkeit. Variationen. Sind sehr schön und außerordentlich schwer, da sie
aber über ein moll-Thema geschrieben sind, so fanden sie wohl nicht den allgemeinen
Beyfall, den sie verdient hätten, bis auf die Fuge, die Vogler stets aus dem
Stegreife, und so oft als ich sie ihn schon spielen hörte, anders spielte, gefiel so
außerordentlich, daß er sich noch einmal hinsetzen und phantasiren mußte, welches
dann mit Enthusiasmus aufgenommen wurde. Dlle. GrohmannIm Vollständigen Verzeichniß der in dem k. k. privil. Theater an der Wien aufgeführten Schauspiele und Opern vom 1ten Januar bis 31ten December 1804, Wien 1805, S. 4 ist die Sängerin als Ensemblemitglied sowie unter den Personalabgängen der Saison genannt. In der AmZ, Jg. 6, Nr. 30 (25. April 1804), Sp. 304 heißt es zu ihr: hat eine unbedeutende Stimme und wenig Methode, auch sang sie sehr unrichtig und spielte so steif als möglich
. beym Wiedner Theater und
Dlle. Strak, Dilettantinn (Delinquentinn) sind beyde Anfängerinnen, und können gut
werden. Das Haus war sehr voll, beyde Majestäten waren zugegen, ein Hauptanstoß der
Etikett-Menschen war es, daß Vogler, der ein Fortepiano stets nach der Quere auf dem
Theater stehen hat, den Majestäten den Rücken zukehrte. Mein Gott, daran hat der gute
Mann gewiß nicht gedacht, er dachte bloß akustisch und nicht etikettisch. Von
hiesigen Künstlern waren noch Concerte: von EberlZu dessen Konzert am 6. Januar 1804 im Saal von Ignaz Jahn in der Himmelpfortgasse vgl. u. a. AmZ, Jg. 6, Nr. 18 (1. Februar 1804), Sp. 294 und Nr. 28 (11. April 1804), Sp. 468–470., Compositeur und Clavierspieler
auch Capellmeister; von Mad. Auernhammer, einer sehr fertigen ClavieristinnZum Konzert der Pianistin im Saal von Ignaz Jahn vgl. u. a. AmZ, Jg. 6, Nr. 28 (11. April 1804), Sp. 471., welcher Mozart sechs Sonaten dedicirt hatte. Von Joseph Mayseder, einem Violinspieler, einem
jungen verdienstvollen Künstler, einem Schüler von Schupanzig, hat einen
vortrefflichen Ton, viel Festigkeit und Fertigkeit. Dann war die Schöpfung, wo ich
nicht hineinkommen konnte etc. Von fremden Künstlern sind jetzt hier: Clementi,
CalmusZu seinen Auftritten in Wien vgl. u. a. AmZ, Jg. 6, Nr. 28 (11. April 1804), Sp. 469 sowie Nr. 32 (9. Mai 1804), Sp. 545f., der den Sommer über noch hier bleibt und gegen den Herbst nach Rußland zu gehen
gedenkt. Flath Hoboist und Metzger Flautraversist, beyde von München, haben auch
Concerte gegeben, ich war aber nicht darin.
Den 4. April, heute werde ich mit Abbé Vogler den Vater Haydn besuchen, ich freue mich, zum Zeugen der Unterredung zweyer so
ehrwürdigen Veteranen erwählt worden zu seyn. – Ich war schon einigemale bey Haydn.
Die Schwäche des Alters ausgenommen, die ihm oft gebietet das Zimmer zu hüthen, ist
er immer munter und aufgeräumt, spricht sehr gerne von seinen Begebenheiten, und
unterhält sich besonders mit jungen angehenden Künstlern gern. Das wahre Gepräg des
großen Mannes, dieß alles ist Vogler auch, nur mit dem Unterschied, daß sein
Literaturwitz, wenn ich so sagen darf, viel schärfer als der natürliche Haydn's ist
(es ist rührend, die erwachsensten Männer kommen zu sehen, wie sie ihn Papa nennen
und ihm die Hand küssen. – Ich freue mich wirklich recht auf die Zusammenkunft, das
Resultat davon morgen. – Die Recension habe ich noch nicht gelesen, habe aber schon
von andern sie rühmen hören. Du fragst ob ich nicht bald wieder Gelegenheit zu einer
gebe. O ja, rüste dich nur, spitze die Feder und gehe christlich mit mir um , es sind
Variationen fürs Clavier über ein Thema aus Vogler's Castor und Pollux
, denen
Vogler einen ausgezeichneten Beyfall schenkte, ja, es war auch keine Kleinigkeit für
eine schreibfähige Seele, an einem so viel gebährenden Orte beynahe neun Monate zu
sitzen und – keine Note zu componiren, aber es war mein fester Vorsatz lange zu
hören, zu sammeln und zu studieren ehe ich wieder etwas schreiben würde. Fest hielt
ich bis jetzt, trotz allem Anfeuern und Fragen von Andern und Brummen von Papas
Seiten, meinen Vorsatz, bis mich Vogler selbst jetzt dazu aufforderte. – Sie werden
bey Eder gestochen, sobald sie heraus sind schicke ich ein Exemplar, wo du sie dann
selbst beurtheilen kannst. Sie sind nach dem Vogler'schen Systeme geschrieben, und
ich sage dir es gleich im Voraus, ärgere dich nicht über die etwa darin befindlichen
Quinten. – Sobald Vogler's Oper gegeben ist, werden mehrere Variationen von mir über
darin befindliche Themata erscheinen. – Kürzlich bekam ich einen sehr
schmeichelhaften Brief von SchultheriusMöglicherweise Dankschreiben für die Widmung der Six Petites Pieces faciles op. 3. – Vorigen Samstag kam der berühmte Castrat
Crescentini hier an, er wird dreyßigmal auftreten, wobey jedesmal doppelt Entrée
istZu den Auftritten des Sängers im April und Mai 1804 vgl. AmZ, Jg. 6, Nr. 32 (9. Mai 1804), Sp. 543f. und Nr. 37 (13. Juni 1804), Sp. 618f.. Vor Ostern war ich bey beyden Majestäten, wobey ich zugleich Sr. Majestät der
Kaiserinn obige Variationen überreichte. Das weitere habe ich zu erwarten und du zu
erfahren. – Die beyden ersten Bogen d. B. habe ich noch nicht erhalten, ich bitte
dich schicke mir künftig alles durch die Post. – Du bist wohl? – O Freund schone
dich, erhalte dich um meinetwillen. Ich bin recht besorgt um dich, wann werde ich
dich wohl wieder in meine Arme schließen? mir fehlt hier nichts als – – ein Freund,
wenn ich dich hätte, verlangte ich nichts mehr, kannst du dich denn noch zu gar
nichts entschließen? – Vogler hat einen Theil deines Briefes gelesen und dich einen
sehr denkenden Kopf genannt, darauf kannst du stolz sein. Das Schicksal der Kunst in
Salzburg muß traurig sein, Haydn hätte hier beym Fürst Esterhazy so gutes Brot mit
800 fl. und alles frey gehabt, sein Bruder hat mir alles umständlich erzählt. – Die
Italiener werden wohl auch bey euch jetzt die Oberhand behalten, o wie mit vollem
Herzen unterschreibe ich alles, was du so wahr sagst; – doch laß-uns den Muth nicht
sinken, vereint können wir noch manches Gute bewirken, und doch vielleicht manchen
vom Irrweg zurechtweisen.