Prag d: 3t Nov: 1814.
Lieber Bruder!
Ich weiß daß mit jedem Tage, den ich ohne deinen Brief vom 1t Juny 1814 zu beantworten vorbeygehen ließ, ein gerechter Grund zu
neuem Unwillen in dir entsteht, daß je länger ich warte je größer die Kluft und die
Spannung werden möchte die leider Gottes sich so elend zwischen uns eingedrängt hat.
Kein Tag ist vergangen an dem ich dieß nicht schmerzlichst
gefühlt hätte, und doch hatte ich nie Kraft genug mich dran zu wagen, und die brandig
verharrschte Wunde mit Gewalt aufzureißen zu neuer ächter Heilung. du hast mir in deinem
Brief, wehe, recht im Innersten wehe gethan. — ich hatte dir in
meinem vom 5t May so ehrlich, ausführlich und wahr geschrieben wie mir zu Muthe, welch
fürchterliche Stimmung mich damals beherrschte, ich hatte so ganz im Gefühle meiner
Schuld gegen dich geschrieben, und hoffte nun auf einen vergebenden versöhnten Ton, –
und erhalte indem ich mit der innigsten Freude und Hoffnung den Brief öffne, das
Gegentheil davon mit einer Bitterkeit, die du selbst gewiß jezt nicht billigen würdest. –
Im Anfange war ich tief gekränkt, auch etwas
böse, das leztere hat sich bei ruhigerem Durchlesen verlohren. Ich sehe ein daß du ein
vollkommenes Recht hast mit uns allen Unzufrieden zu sein. du hast viel, recht viel
gethan. ich vor allem, habe dir nicht nur den grösten Theil
meines Bekanntwerdens in der Welt gröstentheils zu verdanken,
sondern auch Hauptsächlich die Gründung meines Rufes. ich werde
das nie vergeßen, und ein Schuft erster Größe müste ich sein, könnte ich das. daß es dir
mit der Anzeige deiner Sachen immer so wiederlich und schwer gegangen, muß freilich
endlich Unwillen in dir erregen, aber wenn du alle Umstände durch Beers und Gänsb: Nachläßigkeit herbeygeführt erwägst, so wirst du auch
gerecht genug sein deinen Verdruß nicht an mir auszulaßen, da ich mir glaube nichts
weiter vorwerfen zu können, als damals die Rezens: des Te deums
nicht abgeschikt zu haben. Wie dieß zusammen hängt werde ich dir sagen, sehe es aber als
keine Entschuldigung an, denn du hast Recht daß sich eigentlich
nichts entschuldigen läßt was nur halb Unrecht ist. – Hast du seit Jahr und Tag etwas
über Prag in der Mus: Z: gelesen? Nein! Warum? Seit Jahr und Tag habe ich Rochliz
versprochen eine getreue Relation deßen was hier geleistet, und aufgeführt worden zu
schreiben. Seit Jahr und Tag habe ich weder Stimmung noch Zeit dazu finden können, so
schob und häuffte sich das einzelne zum Ganzen nach und nach auf, und nun muß ich doch
endlich beginnen wenn nicht Prag keine vollkommne Null in der KunstWelt sein soll, und
ich Rochliz nicht soll umsonst so lange hingehalten haben. Ich glaube daß dadurch der
Vorwurf der Selbstsucht und des nur an sich
denkens, der recht hell in deinem Briefe an mich durchschimmert, – gehoben ist.
So lange ich hier bin, habe ich nichts von mir gegeben, ausgenommen
in denen Concerten die ich vor meiner Anstellung als Reisender gab.
ich habe Beers Oratorium aufgeführt, dein Te Deum,
und Gänsbachers RequiemZu den Aufführungen am 25. Dezember 1813 (Gott und die Natur), 4. Juli 1813 (Te Deum) und 25. Februar 1814 (Requiem) vgl. u. a. die Tagebuchnotizen, allerdings war Weber nur bei Meyerbeers und Gänsbachers Werk tatsächlich als Dirigent beteiligt, beim Te Deum dürfte er lediglich den Anstoß zur Aufführung gegeben haben, wie sein Brief an Gänsbacher vom 5. März 1814 nahelegt.. Jedes bey vorzüglichen Gelegenheiten
und starker außergewöhnlicher Besezzung. da ich selbst weis wie wohl es thut seine
Sachen gepflegt zu sehen, so ist es auch mir eine wahrhaft große Freude fremde Arbeiten
mit möglichster Vollendung zu geben, ja, ich sezze meinen Stolz darein. um wie viel mehr muß es mir also Freude sein,
von denen etwas zu geben, die mir theuer sind, die ich liebe,
und denen ich Dank schuldig bin. Schreib etwas für die Bühne und du sollst es sogleich
aufgeführt sehen. Da du das Locale hier nicht kennst, so wähnst
du Böhmen als ein so Musikbegieriges Volk, als es /: weis Gott wodurch :/ gewöhnlich
beschrieen wird, du glaubst vielleicht die Kirchen Musik im Flor, oder beachtet? Nichts
weniger. Niemand führt etwas auf, und geschieht es, so
bekümmert sich kein Mensch darum. Ich habe Beer um seine Jephta gebeten, Er hat mir nicht geantwortet.
Was dein Te Deum
betrifft so gebe ich dir mein Wort, daß es unter dieser Gestalt nicht mehr gegeben
werden soll. die große MusikGesellschaft hat es auf Ihre Kosten damals ausschreiben
laßen aber ich mache es zu meinem EigenthumIn Prag wurde das Werk offenbar in der Urfassung von 1808, nicht in der überarbeiteten Fassung von 1812 gegeben; zu den Fassungen vgl. Weberiana 21 (2011), S. 102f.. der Beweiß den du davon forderst ist zu
unbeweisend als daß ich ihn für nöthig fände und /: verzeih das harte Wort :/ noch jezt
empört mich der Hohn und Grimm mit dem du ihn verlangtest. die neue Partitur werde ich
mir zu verschaffen wißen. –
Lieber Bruder! Wie kann man 3 Seiten lang so
hart, bitter und aufs höchste kränkend sein, und dann doch wieder einen herzlichen
Funken zeigen. - Ja, könnten wir uns sehen, sprechen. - Es wäre doch bey Gott
schändlich, wenn ein so schön geschloßener Bund, wo so recht Kopf und Herz mit einander
Hand in Hand giengen wegen ein paar erbärmlichen Empfindlichkeiten sich langsam selbst
zernagen sollte. Nein wahrlich das soll er nicht. und wenn du
auch noch 1000 mal bittrer wirst, und gar nichts mehr von mir wißen willst, so werde
doch ich nie deine Liebe, deine Hülfe, deine Treue und deinen Rath vergeßen. du glaubst
nicht wie es mich ergreifft wenn ich daran denke daß du mich nicht mehr lieb hast. ich
stehe ja ohnedieß so allein in der Welt. - ich kann nicht mehr. Gute Nacht. -
d: 9t
Es sind nun schon 8 Tage her, daß ich nicht
wieder dazu kommen konnte, meinen Brief zu vollenden, doch fühle ich mich beruhigter nur
durch den Gedanken daß ich endlich einmal wieder frisch weg aus dem Herzen mit dir
gesprochen habe, es ist mir als müstest du es jezt schon wißen, schon versöhnter, und
freundlicher an mich denken. Ich ziehe dir hier in Kürze meine Fata zusammen.
Das Ende May und der Juni vergiengen in GeschäftsArbeiten die von meinem ewigen Kopfwehe
begleitet waren, und Anstalten zu meiner Reise, die ich d: 8t July ins Baad Liebwerda antrat! wo ich eine
förmliche Baad und Trinkkur gebrauchte, die mir nebst der Ruhe große Dienste that. d:
31t reiste ich nach Berlin ab, wo ich d: 2t August ankam. Hier
war ein ganz andres Leben und Weben als vor 2 Jahren, alle Menschen voll guten Muths und
frohen Sinnes, und hier wurde denn auch mein erschlafftter Geist wieder gewekt, und Lust
und Liebe zur Arbeit erwachten in dem Kreise von wahren Kunstfreunden und angefeuert
durch ein theilnehmendes Publikum. Ich sah alle damaligen FestlichkeitenVgl. den Kommentar zum Brief vom 5./6. August 1814. und genoß des
angenehmsten Umgangs, machte Geschäfte mit Schleßinger gab d: 26t mein Concert das sich durch ein volles Haus und Beyfall auszeichnete. das
zusammentreffen mit den beyden Rombergs, und Rhode, trug auch
nicht wenig zur lebendigen Unterhaltung bey, und du kannst denken daß wir was ehrliches
gemusikt haben.
d: 5t Sept: wurde
Silvana bey brechend vollem Hause gegeben, und dieselbe
Nacht noch reiste ich nach Leipzig ab. In Berlin wurden mir Anträge von vielerley Art
gemacht da zu bleiben, und es wäre wohl möglich daß in der Zukunft sich etwas davon
realisirt doch steht es noch in weitem Felde, und hätte auch
wenn gleich viel reizendes und beglükendes für mich als Comp:
doch manches unangenehme als KapellMster. wegen der Nähe und denen QuerZügen meines H:
Vetters Anselm.
In Leipzig war nichts für mich zu thun da
alle Säle noch unbrauchbar von den Lazarethen her warenWährend und nach der Völkerschlacht in Leipzig im Oktober 1813 mussten in größeren Räumlichkeiten der Stadt Notlazarette eingerichtet werden, so wurden mehrere Kirchen und der Konzertsaal im Gewandhaus vorübergehend umgewidmet.. ich blieb also blos 2 Tage da
um mit Rochliz manches abzusprechen, und kam d: 9t in Weimar an.
Auch hier traf mich der Unstern die Großfürstin gerade im Begriffe abreisen zu wollen,
zu treffen, und ich muste also blos mit einer freundlichen Audienz abgespeißt nach Gotha trollen, wo ich den Herzog auf dem Lustschloße Tonna besuchte und bis den 18t da blieb mit aller Liebe und Güte
gepflegt wurde, und mir wohl sein ließ.
d: 18t giengs nach Gotha zurük wo ich Abends im HofConcert spielte
welches d: 20t wiederholt wurde, hier fand ich nun die dringendsten Briefe von meiner
Direktion zurük zu kommen die auch so wichtige Gründe enthielten daß ich guter Esel mich
entschloß noch vor gänzlichem Ablauf meines Urlaubes zurükzugehen, und mein Concert in Leipzig welches ich auf die Rükreise d: 4t 8ber
bestimmtZu Webers Hoffnungen auf ein Konzert in Leipzig vgl. den Kommentar zum Brief an Carl Christoph Schultze vom 16. August 1814., – aufzugeben und im Stiche zu laßen. Ich reiste also Hals über Kopf den
21t schon ab, gab im Durchfluge d: 23t
in Altenburg Concert, und kam
den 25t endlich glüklich wieder im StandtQuartiere an, wo ich
seitdem kaum Zeit zum Athemholen habe erhaschen können.
Ich fand hier Mad: Werner die Gastrollen mit vielem Beyfall gabGastrollen vom 14. September bis 3. Oktober 1814., erkundigte mich nach
dir, Sie konnte mir aber gar wenig von dir sagen, als daß Sie glaube du seist nach Mainz
gereiset. da Sie noch Umwege machte gab ich keinen Brief mit, hätte es aber doch thun
sollen denn dieser kömt nun doch nicht früher hin. so weit meine Fata.
Comp: habe ich fast
gar nichts als 9 Lieder von KörnerWeber komponierte erst nach den 6 vierstimmigen Gesängen vier (nicht drei) Sololieder und Variat über ein rußisches
Lied. Beers Oper /: Wirth und Gast :/ ist in Wien nur einmal gegebenVorstellung an der Hofoper (Kärntnertortheater) am 20. Oktober 1814. und Total durchgefallen,
welches mich unendlich ärgert, warum giebt der Kerl seine Sachen nicht hieher. Sie haben
ihm gewiß unendliche Kabalen gemacht, und sind doch viele Stimmen die den Werth der
Musik anerkennen. ich werde ihm darüber schreiben.
Gegenwärtig ist Andreas Romberg hier
und giebt ConcertDas Konzert des Violinisten Romberg war am 23. November 1814 im Redoutensaal und bestand vorwiegend aus eigenen Kompositionen, vgl. Der Sammler, Jg. 7, Nr. 15 (4. Februar 1815), S. 68.
Fidelio von Beethoven studire ich jezt ein, hat herrliche Kraftstükke. Gänsbacher sizt
in Mantua und langweilt sich, weil Er lieber in Trient war, ich
hoffe doch daß er beym Militär bleibt. Von Ritters Opern, kann ich deiner Liste gemäß,
nichts brauchen, und das thut mir leid, ich hätte ihm gerne bewiesen daß ich anderst
denke als Er. Wegen der Verlaßenschafts Angelegenheit, werde
ich wohl das übrige noch bezahlen müßen, und dir nebst dem dir schuldigen noch meinen
Benefize überschikken. damit die Sache einmal ein Ende nimmt.
Es ist unbegreifflich daß Vogler gar nichts über seine Werke disponirt hatte,
und Gott weis wie sie jezt werden verschleudert werden.Sein Nachlass wurde noch im selben Jahr versteigert, vgl. Verzeichniß der von Vogler nachgelassenen, größtentheils noch nicht bekannten praktischen und theoretischen, im Manuscript vorhandenen Werke, sowie seiner im Druck erschienenen und mehrerer fremden Musikalien (Auktionskatalog 29.Sept.1814), Darmstadt 1814 Sein Te
Deum habe ich, dir steht es natürlich zu Diensten.
aber sonst auch Niemand.Ungewiss, welches Weber besaß, von Vogler gibt es mehrere Te Deum-Kompositionen, vgl. Karl Emil von Schafhäutl, Vogler, Nr. 127, 163, 228, 262, 263
Aechte Türkische Bekken, wirst du nun wohl
nicht mehr brauchen damals waren keine da. jezt kostet das Paar 100ƒ –
Lieber, alter Gottfried, könnt ich dich doch
mir gegenüber sehen, und dich so recht innig an meine Brust drükken, wie bald würdest du
sehen daß ich noch ganz der Alte für dich bin, und wie schnell würde dein Groll
schwinden. Sey nun aber auch barmherzig und schreibe mir bald nur 2 Zeilen wieder, damit
ich endlich ein bischen ruhiger werde. Deine liebe Gustel grüße Tausendmal und Sie soll
für mich bitten. Könntet ihr euch nur 2 mal 24 Stunden in meine Laage denken, ihr würdet
gewiß anderst urtheilen und fühlen. ich könnte mich oft selbst prügeln. noch 2 Jahre
habe ich hier auszuharren, und Gott gebe nur daß ich nicht endlich gar dieß trokne
fortEseln gewohnt werde und zulezt nicht mehr fühle wie Geist tödtend es ist.
Lebe wohl, recht wohl mein theurer Bruder,
und laße bald ein Wort des Trostes hören, deinen dich gewiß
ewig unverändert liebenden Bruder Weber.
d: 16t 9ber —