## Title: Carl Maria von Weber an Johann Carl Liebich in Prag. Prag, Ende November 1815 ## Author: Weber, Carl Maria von ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A040835 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Wahrlich, mein verehrter Freund, die Eröffnung, die Sie mir von den Bemerkungen der hohen Landesstelle in Betreff des Zustandes der Oper machen, die den Vorwurf ausdrücken, daß seit dem Jahre 1812 nichts für dieselbe geschehen sey, hat den bittersten Augenblick meines Künstlerlebens herbeigeführt. Einen Augenblick, dessen Erscheinung ich mir bei dem Bewußtseyn meines Eifers für die Sache nie und am allerwenigsten an einem Orte erwartet hätte, wo ich durch rastlose Thätigkeit meine Gesundheit und die Zeit zusetzte, in der ich als Componist etwas für die Welt und meine Ehre zu leisten im Stande gewesen wäre. Blos um das schöne Bewußtseyn zu haben, den alten Ruf der Prager Musikvollkommenheit herzustellen, und zugleich zu zeigen, daß doch wenigstens eine Kunstanstalt vorhanden sey, die ohne die tausend gewöhnlichen kleinlichen Handwerks- und Neides-Erbärmlichkeiten rein und fern von allen Nebenrücksichten wirke und handle. Als ich im Januar 1813 hier ankam, weit entfernt von dem Gedanken, mich irgendwo durch eine Anstellung fesseln zu lassen, weil dieses nicht mit den Ansichten vereinbar war, die ich von dem Wirken des Künstlers für das größere Publikum hatte, konnte blos jene Rücksicht, jene Hoffnung, – das ungetheilt mir von allen Seiten entgegen kommende Vertrauen und hauptsächlich auch die persönliche Achtung und Freundschaft, die mir Ihre Handlungsweise einflößte, in der ich eine sichere Stütze zur Beförderung meiner Zwecke für das Gute sah – mich bestimmen, die Leitung der Opern zu übernehmen. Vor andern Rücksichten sichern mich Gottlob meine Verhältnisse und das Zutrauen, welches das übrige Deutschland meinem Streben und meinen Arbeiten schenkt. Ich trat meinen Dienst mit dem unerschütterlichen Muthe an, dessen jeder an der Spitze einer Kunstanstalt stehender Mann, die dem Geschmack, der Laune, den Eigenheiten und der Tadelsucht der Einzelnen ausgesetzt ist, – so sehr bedarf. Ich fand einen Musikgeschmack, der durch die ehemalige Italienische Oper und dann durch die Mozartische Periode eine seltsame Gestaltung erhalten hatte. Es war ein unruhig ins Blaue hinaus wünschender Geist, der mit sich selbst nicht einig war, was er wünschen sollte. Die Natur der Italienischen Oper erfordert wenige, aber ausgezeichnete Künstler. Einzelne blitzende Steine, gleichviel in welcher Fassung. Alles Uebrige ist da Nebenwerk und unbedeutend. Der Deutsche greift alles tiefer, er will ein Kunstwerk, wo alle Theile sich zum schönen Ganzen runden. Er verschmähet auch den lebendig thätigen Sinn des Franzosen nicht, der immer nur etwas vorgehen – Handlung sehen will. Sein tiefes Gemüth ergreift und umfaßt alles Vorzügliche, und sucht es sich anzueignen. Mir schien die Aufstellung eines schönen Ensemble's die erste Nothwendigkeit, ich hielt nichts für Nebensache, denn in der Kunst giebt es keine Kleinigkeit. Diese Ansicht hatte sich des Beifalls unsers kunstliebenden, einsichtsvollen Landes-Chefs zu erfreuen. Und öfters hatte ich später mündlich die Gelegenheit, mich seiner Zufriedenheit über das Zusammenwirken und Spiel des Chors, Orchesters und Theater-Personals zu versichern. Wir eröffneten eine ausgebreitete Correspondenz mit allen Künstlern, die ich auf meinen Reisen kennen zu lernen Gelegenheit hatte, oder die der Ruf uns als vorzüglich bezeichnete. Zugleich waren wir bemüht, die in der Nähe liegenden Mittel anzuwenden. Das Orchester und Chor bekam keine bestimmte Organisation, wodurch eine freie und sichere Benutzung der Kräfte zum Gelingen der Vorstellungen bezweckt wurde, mit bedeutenden Anstrengungen gewann sie hierzu Herrn Klement, den Oboisten Selner, und manche Andere. Der Krieg und andere Verhältnisse, die zu erörtern mir nicht zukommt, und die auch zu allgemein bekannt sind, verhinderten leider die Zusammenstellung eines Personals gänzlich, so wie wir es gewünscht hätten. Doch blieb uns oder war vielmehr als ganz neu engagirt anzusehen (da es erst durch neue Bestimmungen wieder für uns gewonnen worden) so manches Treffliche vor andern Theatern. Wir haben als Sängerinnen: Madame Grünbaum, Demoiselle Bach, Demoiselle Brand, Dem. Böders, Madame Alram. An Tenoristen: Herrn Grünbaum, Herrn Mankard, Herrn Neumeyer. Die Bassisten Herrn Siebert, Kainz, Maletinsky, Alram, u. a. m. Daß von schon Engagirten der Tenorist Herr Tölle nebst Frau, und Herr R[h]ode als Bouffon, des Krieges wegen nicht kommen konnten, daß später die Unterhandlungen mit den Herren und Damen: Mad. Harles. Herr Pestaker, Tenorist. –   Fischer. –   Tarti, Bassist. Dem. Buchwieser. –   Rosenfeld Tenorist. Mad. Pewais. –   Wild [Tenorist] –   Regina Lang. –   Schikaneder, Bassist. Dem. Herz. –   Flerx,          – –   Seidler. –   Scharbök  Bassist. Mad. Flerx –   Kronner [Bassist] –   Eberwein. –   Stöger, Tenorist. –   Weixelbaum. –   Schiele, –  – Herr Häser. –   Weixelbaum. – Stümer, Tenorist. – Hanabacker. nicht und warum nicht zu Stande kam, als der Tod uns Morhard raubte, daß Dem. Bach und Herr Neumeyer die Erwartungen nicht befriedigten, wie man nach dem Urtheile Sachverständiger hoffen durfte, das waren unübersteigliche Hindernisse, die sich alle beweisen lassen; übrigens war bei allen den das Publikum nicht so schlimm daran, als wie diejenigen, die für dasselbe zu sorgen hatten; die Wahl der Werke, die man mit einem beschränkten Personale geben kann, war schwierig, und oft wurden, große Anstrengungen erfordert, um das Repertoire im Gange zu erhalten; was mit den vorhandenen Mitteln geleistet worden, hat der Beifall aller Fremden und derjenigen hinreichend bewiesen, die Gelegeheit hatten, unsere Opern-Darstellungen und unser Opern-Repertoir mit dem beinahe aller auswärtigen Theater von Rang, das Wiener gar nicht ausgenommen, zu vergleichen. Fehlen uns etwa die anerkannt besten Werke und erscheint irgend etwas Neues, das wir uns nicht auch bald aneigneten? Die letzten Engagements des Herrn Elers und der Mad. Czeka beweisen ihren stets gleichen Eifer, jede Gelegenheit zu Ergänzung des Personales zu ergreifen. Wer über unser Personal klagt, der zeige uns die Künstler an, die Vorzüglicheres leisten, und zu haben sind. Jeder Hof, jedes Theater hält das Gute fest, das es besitzt, auch hat die Sturmbewegte Zeit die Talente selten gemacht, sie sind keine Waare, die man nur zu bezahlen und zu verschreiben braucht, um sie zu besitzen. Und was können wir denn dem Ausländer bieten, das ihn reizen und zu uns locken könnte; der in öffentlichen Blättern ausgesprochene Tadel einzelner schreibseliger, ununterrichteter Krittler hat mich unangenehm schon berührt, wie z. B. erst kürzlich im Sammler, wo der Referent vergeblich gehofft hatte, daß durch mich die Oper sich verbessern werde. Da er und alle ihm Gleichdenkende das feurige und richtige Zusammenwirken der Finales des Orchesters u. s. w.  für nichts zu rechnen scheint, so vermuthete er vielleicht, daß ich, ein musikalischer zweiter Prometheus, Sänger und Sängerinnen aus Thon hervorzaubern könnte. Indem diese Machthaber der öffentlichen Stimme mit einer Zuversicht absprechen, die das größere Publikum für Wahrheit annehmen kann, habe ich daraus leider den Schluß ziehen müssen, daß man in Prag einen wohlerworbenen Ruf zusetzen aber nicht erhöhen könne. Demohngeachtet ließ und lasse ich mich in meinem Thun und Wirken nicht irren, vertrauend auf die Einsicht und Gerechtigkeit der Sachverständigen und Billigdenkenden. Sollte aber diese Unzufriedenheit auch diejenigen ergreifen, deren Achtung und Zufriedenheit mein einziger Lohn seyn konnte, dann sehe ich den Zweck meines Aufenthaltes hier gänzlich verfehlt, ich konnte nicht das leisten, was man erwartete, ich kann mich nur mit dem Bewußtseyn trösten, das Meinige im vollen Maße mit immer gleichem Eifer gethan zu haben, und muß sie bitten je eher je lieber einen Mann an die Spitze der Oper zu setzen, der besser als ich im Stande ist, die Wünsche des Publikums zu befriedigen. Befürchten Sie übrigens nicht, daß die geringste Bitterkeit oder gar ein sträflicher Trotz in dieser Aeußerung liegt, es ist die reine Ueberzeugung, hier nicht mehr zum Guten wirken zu können. So lange ich übrigens noch das Ruder führe, wird die gleiche Lust, dasselbe unermüdete Streben, bis auf den letzten Augenblick mein Handeln bezeichnen, und glauben Sie, daß ich stets und überall die herzlichste Achtung und Freundschaft für Sie als Künstler und Mensch mir bewahren werde.