## Title: Tonkünstlers Leben. Fragment V (Erstdruck) ## Author: Carl Maria von Weber ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031551 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ III.Dem Gesellschaftszirkel entronnen, betrete ich mein stilles, einsames Zimmer, und wohlthätig umfaßt mich die Oede, die mir wenigstens erlaubt, den selbstauferlegten Zwang abzulegen, der mein Inneres vor der Welt verschließt, – der durch Kampf mit den Verhältniß-Stürmen errungen zu einer äußeren Ruhe sich formte, so, daß Wenige unter meiner freundlichen, und vielleicht sogar fröhlichen Hülle, den Gram suchen werden, der mich verzehrt, und meinen Geist und Körper benagend aufreibt. – Nur unter dem Drucke hebt sich die Welle, nur gedrückt zeigt die Stahlfeder ihre Schnellkraft, und die ungünstigsten Verhältnisse und Lagen – nur gebahren große Männer. Dann steht die Anwartschaft auf Großes fest begründet in mir, denn nie hat wohl ein Sterblicher, sich widerlicherer, | unterdrükenderer und talentlähmenderer Umstände zu rühmen gehabt, als ich. Bei dem kleinsten wie bei den bedeutendsten Unternehmungen meines Lebens warf mir das Schicksal feindliche Dinge in den Weg; und gelang mir je etwas, so waren gewiß die überstiegenen Hindernisse, überwundenen Schwierigkeiten, unglaublich, und verbitterten den Genuß. Eine beinah förmliche Stumpfheit gegen alle Schicksals-Schläge ist der einzige Gewinn, der noch das höchstzermalmende Gefühl mit sich bringt, daß selbst die Freude keinen reinen Eindruck mehr auf mich zu machen im Stande ist, weil gespensterhaft die feste Ueberzeugung mit ihr Hand in Hand vor mich tritt, daß ich sie nur verbittert genießen kann. Vom Mutterleibe an beschrieb mein Lebenspfad andere Linien als die eines jedes andern Menschen. Ich erfreue mich nicht der Erinnerung froh durchgaukelter Kinderjahre; kein freies Jünglingsleben erhob mich. Im Alter des Jünglings stehe ich da, an Erfahrung ein Greis, Alles durch mich, Alles aus mir, nichts durch Andere. Ich habe nie geliebt, denn nur zu bald zeigte mir immer meine Vernunft, daß alle Weiber, von denen ich Thor geliebt zu seyn wähnte, nur aus den erbärmlichsten Antrieben mit mir spielten, die eine liebelte mit mir, – | weil ich vielleicht der einzige Mensch unter 40 Jahren im Orte war, die Andere lockte die Uniform, und die Dritte glaubte vielleicht mich zu lieben, weil sie das Bedürfniß zu liebeln hatte, und der Zufall gerade mir den Eintritt in ihren häuslichen Zirkel verschaffte. Mein Glaube an die Weiblichkeit, von der ich ein hohes Ideal in der Brust trage, ist dahin, und also auch ein großer Theil meiner Ansprüche auf menschliches Glück. Wenn ich nur je eine fände, die sich wenigstens die Mühe geben wollte, mich so geschickt zu betrügen, daß ich ihr glaubte. Wie dankbar wollte ich ihr auch beim Erwachen dafür seyn. Ich fühle es, ich muß lieben, ich bete die Weiber an, und hasse, verachte sie – ich kannte nur die zarten Bande der Bruder- und Schwester-Liebe, meine Mutter starb mir früh, mein Vater liebte mich überzärtlich, und trotz aller Achtung und Liebe, die ich ewig für ihn hege, entzog ihm dieß mein Vertrauen. Ich fühlte ihn manchmal schwach gegen mich, und diese Liebe verzeiht sich nie. Freunde glaubt’ ich gefunden zu haben. Die Gewohnheit meines Umgangs hatte sie an mich ge | fesselt, wir trennten uns und ich war vergessen. Ich warf mich der Kunst in die Arme, betete die großen Künstler abgöttisch an, und fand sie endlich bei der gesuchten Vertraulichkeit mit ihrem Götterthume, beinahe zu mir herabgezogen. Die Meister widersprachen sich, was sollte der Lehrling thun? Lägen nicht in dir, göttliche Kunst, die Regeln, dich zu fassen, ich wäre verloren gewesen. Und du, meine einzige Erquickung, mein Alles, auch du kannst feindlich vor mir stehen und mich, indem ich glühend dich umfasse, im Gefühle meines Nichts vor dir zu Boden stoßen. Herkules Kleid der Menschheit, alles umengende Verhältnisse, ihr seid es, die mich mit mir, mit meinen Freunden, der Kunst und Gott entzweien, indem ich euch Allgewaltigen mich füge, zernichte ich mich, indem ich lache, vergehe ich, und bei einem Bonmot spreche ich mein TodesUrtheil. Kurz, Erbärmlichkeit ist das Loos des Menschen, in nichts der Vollkomenheit nahe, stets unzufrieden, uneinig mit sich selbst, ist er ein personifizirtes schwankendes, immerwährendes Treiben, ohne Kraft, Willen, Ruhe. Denn das Mo | mentane aller dieser Dinge als Erscheinungen ist nicht zu rechnen, und selbst diese Aeußerungen, die aus der Fülle meines Ichs kommen, sind der Beweis davon.