## Title: Tonkünstlers Leben. Fragment I (Erstdruck) ## Author: Carl Maria von Weber ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031704 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Erstes Kapitel.(Nach der ersten Ausarbeitung.) #lb#Ich reise.Du mußt hinaus; fort in’s Weite. Des Künstlers Wirkungskreis ist die Welt. Was nüzt Dir hier im engbrüstigen Verhältniß-Zirkel der gnädige Beifall eines Kunst-Mäcens für eine dir abgerungene Melodie zu seinen geist- und herzlosen Reimen; was der freundliche Händedruck der niedlichen Nachbarin für ein paar hebende Walzer, oder der Beifallruf der Menge auf der Parade, wegen eines gelungenen Marsches? – Fort! der Geist suche sich in Andern; und hast Du fühlende Menschen durch Deinen Genius erfreut, hast Du Dir ihr Wissen angeeignet, dann kehre zur friedlichen Heimath, und zehre von dem Erbeuteten. Flugs packte ich meine TonKinder zusammen, umarmte meine wenigen Bekannten, die ich Freunde nannte, erbat mir einige Adressen in das nächste Städtchen, und fort ging die Reise auf dem bescheidenen Postwagen, den mir mein Geldbeutel sehr dringend empfohlen hatte. Nun weiß ich nicht, | ob’s andern Menschenkindern auch so im Wagen zu Muthe ist, wie mir. Eine Welt thut sich auf in meinem Innern, und preßt mir die Lippen zusammen, daß sie, jedes Lautes unfähig, mich, meinen Reise-Gefährten, als den schlechtesten Gesellschafter deuten. Die tausend, den Augen vorüberfliegenden Gegenstände erwecken eben so viel sich durchkreuzende Empfindungen in mir, ein Thema drängt das andere, und indem ich in Gedanken den höllischsten, verwickeltsten Fugensatz durcharbeite, hüpft vielleicht schon ein naseweises Rondo-Thema dazwischen, und wird eben so wieder durch einen Trauermarsch oder dergleichen verdrängt. Allem diesen machte die Ankunft in X., einem artigen Städtchen, dem ersten Ziele meiner Wanderung, ein Ende, und indem ich die Arie des Pedrillo aus der Entführung – nur ein feiger Tropf verzagt – summte, entschlief ich voll süßer Hoffnungen meines zu gebenden Concertes. Den andern Morgen stieg ich zu dem Herrn v. Y., dessen musikalische Familie mir sehr gerühmt war, und der Alles im Städtchen vermochte. „Ah!“ rief er mir entgegen, „willkommen, sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, man schreibt mir viel Gutes von Ihnen; Sie kennen doch meine neuesten Sonaten?“ | Ich. (in einiger Verlegenheit.) „Verzeihen Sie, nein.“ Er. „Aber doch das Quartett?“ Ich. „Erinnere mich nicht.“ Er. „Aber doch die Capricen, die müssen Sie kennen, wenn Sie anders die Zeitungen lesen und einigermaßen in der Kunst-Literatur bewandert sind.“ Ich. (sehr verlegen.) „Zu meiner Schande muß ich gestehen, ich wußte gar nicht, daß der Herr von Y. componiren –“ Er. „Liebster Freund, es thut mir leid, aber da ich höre, daß Sie hier Concert geben wollen, muß ich Ihnen frei heraussagen, daß Sie schwerlich etwas machen werden, denn Sie haben noch keinen Ruf; unser Publikum ist so difficil, wie das Wiener, und wenn Sie nicht meine Tochter persuadiren können, daß sie Ihnen singt, so –“ Eben trat Mamsell herein, und ich war durch ihren Anblick nicht wenig frappirt, ein derlei Oeuvre kommt einem nicht alle Tage vor. Man denke sich ein winzig kleines Geschöpf mit einem ungeheuern Kopf belastet, der, von Rabenborsten beschattet und einem Steindiademe geschmükt, einem aus seinem Munde, welcher einer Takt-Note | aus Aretins Zeit glich, solche Töne entgegen krächzte, daß meine Ohren vollkommen des eben so angenehmen Eindrucks sich erfreuten, als wenn Jemand auf einer Glasscherbe kratzt. Die Maikäfer-Arme der zärtlichen Tochter umfingen den Papa, und dieser präsentirte mich als ein Schüler der Kunst, und sagte: „Du mußt ihm was von der großen Arie vorsingen, so recht hoch und tief, Du weißt schon, wie ich sie liebe.“ Sie maß mich von unten bis oben, mit einer Protektionsmiene, und sprach, sich räuspernd: „Papa wissen, daß ich seit einiger Zeit immer sehr enrhumirt bin, und daher kaum ihrem Verlangen werde genügen können.“ (Ein Hüsteln hervorzwingend.) „Mein Gott, Sie können es ja selbst hören, wie rauh meine Stimme ist.“ – Allerdings konnte ich der armen Luft, die sich in dieser der Anatomie gewidmeten Gorge, die kaum zum Athmen den gehörigen Umfang verrieth, durcharbeitete, es nicht verargen, wenn sie sich darin zum Tone zu bilden weigerte; aber meine Bemerkungen unterdrückend, und meine Höflichkeit spornend, bat ich, doch nur etwas, nur ein paar Töne. Das nachgiebig geborne Weib wich den vereinten Bitten, warf sich nachlässig ans Klavier, und fing nach einigen mächtig gedroschenen Akkorden | und einem unglücklichen Laufe durch die halben Töne eine Bravour-Arie von Scarlatti zu krächzen an. Ich bewunderte meine gute Natur, und bemühte mich über die widerspenstigen Schultern, wovon eine die andere an Hochmuth übertraf, in die Noten zu sehen. Doch kaum hatte sie einige Takte gesungen, so rief sie: „sehen Sie, es geht nicht!“ sang wieder einige Takte, verwünschte ihre Heiserkeit, schrie aber wie eine Rohrdommel, und so erreichte sie endlich unter immerwährendem Unterbrechen das Ende. Ich ohrfeigte mich in Gedanken, daß ich nicht mehr Gewalt über mich besaß, wenigstens ein paar Bravo’s drein zu werfen, als zu meinem Glücke unterdessen sich die gnädige Mama, ein vortrefflich conservirter Abdruck der Xantippe, eingefunden hatte, und in solch einen Strom von Lob ausbrach, gegen den der Lärm eines Wranitzkischen Allegro’s Blättergesäusel ist, daß mein zerknirschtes Bravo darin verhallte. – „Ja, meine Tochter ist ein ganzes Genie, es ist ungeheuer, was sie für Talent hat, und obwohl sie erst seit ihrem dreizehnten Jahre Musik macht, hat sie doch den Stadt-Musikant schon oft den Generalpasch zurechte gewiesen, und die Strahl-Harmonika spielt sie auch sehr prächtig; o, hole sie doch einmal, s’ ist gar ein schönes Instrument.“ | Todesangst ergriff mich bei Erwartung dieser neuen Feuerprobe, und ich konnte nur hervorstottern, daß besonders zu Adagio’s das Instrument sich vorzüglich eigne. „Ganz recht,“ rief Mama, „die Adagio’s, das ist das Wahre; o, spiel’ doch einmal den Vogelfänger.“ – Nun riß meine Fassung, und ein sich rein aussprechendes Gelächter zog die Gesichter der Familie zur Decimen-Länge; man flüsterte einander zu, mein Musikorgan müsse dem eines Affen gleichkommen, der Sinn für Kunst fehle mir gänzlich, und in weniger als fünf Minuten sah ich mich von der nach der Küche eilenden Mama, dem schnell abgerufenen Papa, und der durch Migraine in ihr Boudoir flüchtenden Filia, verlassen und allein. Ich schöpfte Luft, als sey meine Lunge genöthigt, in der Westminster Orgel Blasbalgsdienste zu versehen, legte den Finger an die Nase, und fand, daß ich, vor der Hand zu dergleichen Besuchen ziemlich verstimmt, lieber gleich den Stadt-Musikus, und die mir nöthigen Musiker aufsuchen wolle.