## Title: Die Winter-Konzerte zu Mannheim (2) (Teil 2/2) ## Author: Gottfried Weber ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030990 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Die Winter-Konzerte zu Mannheim. (2) #lb# #lb#Den 13ten Dezember 1811. (Schluß)Himmels Vaterunser war hier nur erst im Museum, noch nie öffentlich, gehört worden, und gar wohl verdiente darum dieses Werk, über welches schon so Vieles pro und contra geschrieben worden, zur öffentlichen Aufführung gebracht zu werden. Himmel befolgt auch hier (wie in der jüngst besprochenen Trauer-Cantate) – die Methode, kurze, wenig ausgeführte Sätze, Duette, Terzette (das erste Duett Adur besteht aus 16–18 Takten) – durch noch kürzere Zwischenspiele (hier durch Chöre, welche jedesmal eine der sieben Bitten einfach absingen) – aneinander zu reihen. Durch diese Methode ist er freilich sicher, den Zuhörer zu befriedigen, welcher liebt, eine Gallerie angenehmer Empfindungen vor seinem innern Sinne vorbey defiliren zu sehen, ohne sich um tiefere erschöpfendere Ergründung jeder einzelnen verweilend bemühen zu wollen; denn lieblich und einnehmend ist beinahe alles, was Himmel gibt: allein die Erfordernisse einer geistlichen Musik sind dadurch nicht erschöpft; Ref. will hiemit keineswegs dem steif-kontrapunktischen, an hergebrachten Formen und ängstlichen Regeln klebenden, mit unzähligen technischen Verboten dieses oder jenes Intervalles, dieser oder jener Fortschreitung überladenen sogenannten Kirchenstyl das Wort reden; er erkennt weniger einen technischen Unterschied zwischen Kirchen- und profanem Styl, als nur einen ästhetischen. Er versteht unter Kirchenstyl jenen veredelten, durch tiefes warmes Gefühl erzeugten, welcher den einmal aufgefaßten Gegenstand unverrückt im Auge behält, von allen Seiten beleuchtet und mit Wärme einprägt, – welcher, Zufälliges verschmähend, das Gemüth zur ungetheilten tiefen Aufmerksamkeit auf die Haupt-Empfindung zwingt, und den Zuhörer nicht losläßt, bevor er ihm die ganze Würde seines Gegenstandes, die ganze Tiefe der Empfindung hat fühlen lassen, bis er ihn ganz zu der Stufe von Verklärung erhoben hat, deren der Gegenstand würdig und das menschliche Gemüth fähig ist. – Die Kunstmittel zu Erreichung dieses Zweckes sind musikalische Durchführung, Ausführen eines einmal ergriffenen Hauptgedankens (Thema’s) unter mannichfaltigen, immer auf die Hauptidee zurückweisenden Beziehungen, rhetorische Ausführung und Begründung, welche das Wesen und innere Leben des Kirchenstyls ausmacht, dort überall hervorblicken soll, und in der Fuge (d. h. jedem Tonstücke der vollendetsten und konsequentesten Einheit) – ihren höchsten Gipfel erreicht, – eine Consequenz, zu welcher freilich die aphoristische Behandlung geradezu die Antipode bildet. Wie gesagt also, lieblich ist manches, ja das meiste von dem Verschiedenen, was Himmel uns im Vater unser zu hören gibt: so z. B. das erste kurze Duettchen Adur und manche Stellen der Sopran-Arie; noch glücklicher die Tenorstelle: „Der Friede schwingt die Palme“ mit eingeflochtenem Chor erst in C dann in B; am gelungensten das Quartett in As mit seinen enharmonischen Wendungen aus Asmoll nach Hdur, und von da durch Emoll zurück in den Hauptton: glücklich überraschend die Harmonieenwahl mancher kurzen Chorstellen, z. B. „Vater unser, der du bist im Himmel“ – und „dein Wille geschehe.“ – Gar zu obsolet ist aber dagegen doch die Melodie des kleinen Terzetts dreier Männer B 3/4 „kommt Engel von den heil’gen Höhn“ – und wenn nun vollends der Schlußsatz ganz mit der Miene einer Baß-Fuge auftritt, förmlich mit Dux und comes (wiewohl letzterer nicht an einem, nicht an zwey, sondern an drey Orten von jenem abweichend) – anhebt, allein gleich nach den hergebrachten vier ersten Eintritten – (der Exposition des Stückes) – alles Fugiren schon verschwindet, und der Satz in ein gewöhnliches Allegro freier Bearbeitung ausläuft, von dem als Fugenthema so pomphaft angekündigten Satze aber kaum mehr leichte Andeutungen wiederkehren – : so muß man wenigstens wünschen, der Componist hätte beim Eingange des Schlußsatzes weniger ausgeholt, und keine Erwartung erregt, welche er nicht zu erfüllen gedachte. Der Eindruck des Ganzen auf den Zuhörer kann bey diesen Umständen wohl angenehm, aber nicht tief rührend, groß und erhebend seyn; wiewohl Ref. nicht läugnen will, daß die Composition durch recht reichliche Besetzung der Doppel-Chöre (welche, wegen Mangel an gehöriger Choristenzahl, hier so viel möglich in einen Chor zusammen geschmolzen werden mußten) noch vieles an Effekt gewonnen haben würde. Der Mangel eines wackern, gut besetzten Chors ist nun einmal eine der 7 Hauptplagen, womit Mannheim von jeher vom Himmel heimgesucht wird: und auch die eifrigste Bemühung der Unternehmer vermag es nicht, die fünfzigerley kleinen Convenienzen zu beseitigen, welche dem Zustandekommen allseitigen Kraftvereines sich in den Weg drängen. Ueber die Solostücke bemerkt Ref. wie gewöhnlich nur weniges. Ein Duett von Hrn. Joseph Müller recht gefällig komponirt und von ihm mit Hrn. Lieber recht gut und besonders recht übereinstimmend und einverstanden vorgetragen, verdient in beiden Hinsichten lobende Erwähnung. Herrn Appolds Virtù auf der Flöte ist zu allgemein anerkannt, als daß sie hier einer besondern Erwähnung bedürfte. G. Giusto.