WeGA, Rezeptionsdokumente, Digitale Edition Aufführungsbesprechung Stuttgart: <q>Der Freischütz</q> von Carl Maria von Weber, April 1822, Ludwig Börne: Vertrauliche Briefe (Teil 2 von 2) Ludwig Börne Veit, Joachim Stadler, Peter Übertragung Solveig Schreiter

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Kritik von Ludwig Börne über die Aufführung des Freischütz in Stuttgart (Teil 2 von 2) Vertrauliche Briefe Huber, Therese Morgenblatt für gebildete Stände Cotta, Johann Friedrich Stuttgart Tübingen 16 107 4. Mai 1822 426–427 Fraktur

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Vertrauliche Briefe. I. (Beschluß.)

Warum ich vorhin so gelacht habe? Wie sollte ich nicht! Bin ich ja recht ins Deutschen hineingekommen, wie die Andern. Hat es mich endlich auch erwischt! Aber bey mir ist es ein schleichendes Uebel. Die guten Leute sind zu bedauern und nicht zu tadeln. Voltaire hat gesagt: "wenn es keinen Gott gäbe, müsste man Einen erfinden." So könnte man sagen: wer kein Vaterland hat, erfinde sich Eins. Die Deutschen haben es versucht auf allerley Weise, sie haben es mit deutschen Röcken, mit den Nibelungen, mit der deutschen Malerschule versucht, und seit dem Feyschützen thun sie es auch mit der Musik. Sie wollen einen Hut haben, unter den man alle deutsche Köpfe bringe. Man mag es den Armen hingehen lassen, daß sie sich mit solchen Vaterlandssurrogaten gütlich thun. Nur sollten sie nicht vergessen, daß es nicht Tugenden, sondern Fehler sind, die jedem Volke diejenige Eigenthümlichkeit geben, die es von andern Völkern auszeichnet. Die Tugend ist das Gemeingut aller. Sie sollten nicht von deutscher Treue, von deutscher Beharrlichkeit, von deutschem Fleiß sprechen; das ist höchst lächerlich und Gottvergessen.

Welch’ ein ohrenzerreißendes Jubelgeschrey haben sie nicht über diesen Freyschützen erhoben, blos weil es ein deutsches Werk ist. Kann es Weber schmeicheln, wenn man ihn am meisten wegen seiner geographischen Verdienste lobt? Da haben sie geschrieben: von der Sehnsucht, "den Mann von Angesicht zu Angesicht zu sehen, dessen herrliches Talent, unserer in Nacht gehüllten Tonkunst eine neu aufgehende Sonne verspricht." Ein anderer ließ sich vernehmen: "Zur Ehre Deutschlands, ist es nun endlich einem Deutschen gelungen, die Partheyen, die sich so lang leidenschaftlich befehden, unter dem Panier der einfachen Natur und Wahrheit zu vereinen." Ein Dritter schrieb: "Die Nation blickt auf ihn mit Stolz und Freude." Von Wien aus melden sie, der Freyschütz habe "einen Enthusiasmus hervorgebracht, der bey jeder Wiederholung gleich der ins Thal rollenden Lauwine sich vergrößert." (Das wäre also gefrornes Feuer!) Am lautesten aber hat die kleine Abendzeitung geschrieen, die, wie gewöhnlich, nicht im langsamen Wege der Natur, sondern auf egyptische Art, im Backofen ihre Lobsprüche ausbrütet. Unter andern enthält sie folgendes Sonett an Maria von WeberVgl. Gedicht in der Abendzeitung Nr. 87 vom 11. April 1822, S. 347.

Der freye Schütze hat ins Ziel geschossen – Es war sein rastlos, eifriges Bestreben, Des Denkens Muth, was ihm das Ziel gegeben – Ein Gott hat mächtig seinen Pfeil gegossen. Er drang durch Wolkenschleyer unverdrossen; Ein Zauberschlag – erweckt’ er neues Leben. Zum Sinn der Töne Chaos zu erheben, Das Joch zu brechen deutscher Kunstgenossen.

Es soll also ein musikalischer Befreyungskrieg geführt werden, um den Tyrannen Rossini zu stürzen. Daß es ihnen nur nicht ergehe wie mit Buonaparte – "den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben." ... Das Sonett fährt fort:

Wohl uns, wir dürfen einen Meister loben, Mit Stolz ein deutsches Kunstwerk nun betrachten. Die Mutter preisen, ob des Hochgebohren, Doch ist es Deutsch – den Edlen auserkoren, Den Vater schweigend gleichsam zu verachten? Ein Kind hat, Maria, doch erhoben. –

An Brennholz hat es uns Deutschen nie gefehlt, aber an Feuer. Nun da es flammt, werden die lieben Leute alle herbeygelaufenl kommen, um ihren Reisbündel hinein zu werfen. Der Himmel sey uns gnädig! Doch genug vom Freyschützen. Lassen Sie sich nur noch erzählen, daß Weber mit der Komposition zweyer neuen Opern beschäftigt ist, mit einer ernsten Namens Euriante, von Frau von Chezy, die schon die Wiener Censur passiert hat, welches sehr schmeichelhaft ist, sowol für die Dichterin, als für die ganze deutsche Nation; und mit einer komischen: Die beyden Pinto’s, von Th. Hell gedichtet. Man schrieb mir aus Dresden, der viel liebe Liederkreis dort habe sich in einen Opernkreis verwandelt, und die Mitglieder alle würden, Einer nach dem Andern, ächt deutsche Opern verfertigen, um das Joch zu brechen deutscher Kunstgenossen.

Leben Sie wohl, schönes Frauenzimmer ... aber bald hätte ich es vergessen. Schon vor sieben Briefen haben Sie mich gefragt, für wie alt ich Sie hielt. Sie wollten wahrscheinlich meinen Witz auf die Probe stellen. Freylich, so schnell ist er nicht, wie der indischen Symnosophisten, die dem großen Alexander Rede standen. Ich habe mir diese wichtige Sache drey Monate lang reiflich überlegt, Ich habe Chesterfields Briefe1774ff. erschienen Briefe des Herrn Philipp Dormer Stanhope, Grafen von Chesterfield, an seinen Sohn Philipp Stanhope, Esquire, ehemaligen außerordentlichen Gesandten am dresdner Hofe, aus dem Englischen übersetzt von Johann Gottfried Gellius, in mehreren Bänden, Knigge’s Umgang mit MenschenVgl. Adolf Franz Friedrich Ludwig von Knigge, Ueber den Umgang mit Menschen, 2 Bde., Hannover 1788, und Wenzels Mann von WeltVgl. Prof. Wenzel’s Mann von Welt, oder dessen Grundsätze und Regeln des Anstandes, der feinen Lebensart, und der wahren Höflichkeit, für die verschiedenen Verhältnisse der Gesellschaft von Gottfried Immanuel Wenzel, Pesth 1821 zu Rathe gezogen. Ich habe mehrere alchymistische Bücher gelesen, um daraus die gehörige Mischung von Grobheit, Feinheit, und Wahrheit zu lernen – und ich habe endlich folgendes zu Stande gebracht. An Verstand, Orthographie und Blüthe der Schönheit, gleichen Sie einem sechzehnjährigen Mädchen; Sie mögen aber schon fünf und zwanzig Jahre mehr alt seyn, sonst wäre Ihnen eine solche Frage gar nicht in den Sinn gekommen. – Das, für die kleinen Oblaten!