WeGA, Rezeptionsdokumente, Digitale Edition Aufführungsbesprechung München, Königliches Hoftheater: <q>Abu Hassan</q> von C. M. von Weber am 4. Juni 1811 Anonymus Veit, Joachim Stadler, Peter Übertragung Mo, Ran

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Aufführungsbesprechung München, Königliches Hoftheater: Abu Hassan von C. M. von Weber am 4. Juni 1811 Anonymus Kritischer Anzeiger für Litteratur und Kunst 5 26 29. Juni 1811 127-128 Fraktur

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Miscellen. Königliches Hoftheater.

München, am 27ten Juni. Vor Kurzem gab man zum erstenmale auf dem königl. Hoftheater: Abu Hassan, Singspiel in einem Aufzuge von HiemerUA am 4. Juni 1811; vgl. TB-Eintrag von Weber. Vorher wurde Leichtsinn und gutes Herz von Hagemann gegeben. Besetzung lt. Theaterzettel im Theatermuseum München: Tochtermann (Kalif) / Altmutter (Zobeide) / Mittermair (Abu Hassan) / Flerx (Fatime) / Freuen (MersurMesrur) / Tochtermann (Zemrud) / Muck (Omar). In Musik gesezt von Carl Marie von Weber. Wir hätten zwar schon früher bei Gelegenheit eines am 5ten April d. J. gegebenen ConzertesBei dem Konzert im Münchner Hoftheater wurden Webers 1. Sinfonie C-Dur, das Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur, das Concertino für Klarinette und die Kantate Der erste Ton gegeben. Veranlassung gehabt, von dem ausgezeichneten Talente dieses jungen Künstlers alles Vortheilhafte zu sagen; doch um zugleich von dem Umfassenden seiner Geschicklichkeit eine soviel möglich allgemeine Ansicht zu geben, wollten wir, bis nach einer von dessen Komposition aufgeführten Oper, unser Urtheil zurückhalten.

Abu Hassan ist das neueste, was Hr. v. Weber für das Theater in Musik gesezt hat. So klein auch dieses Singspiel ist, so war es doch eine auffallende Bestättigung unsrer schon früher gefaßten Meinung, daß nämlich dieser Künstler, nach der wahren Ansicht eines ächten Kunstwerkes, nicht nur auf den Effekt der einzelnen Theile unbekümmert des Ganzen losarbeite, sondern vielmehr jederzeit aus einzelnen in sich geschlossenen Musikstücken ein Ganzes konstituire, das nicht weniger den Charakter der Geschlossenheit trägt, als jeder Theil desselben. In dieser Hinsicht giebt uns schon die Ouverture einen herrlichen Beleg. Die einzelnen Stellen darin enthalten einen trefflichen Vorgeschmack des Ganzen, sie tragen die Eigenthümlichkeit des Stückes, und wie in einem leichten fließenden Satze sie fortlaufen, so heben und unterstüzen sie sich auch wechselseitig wieder zur fröhlichen Einheit. – Es ist dem Tonkünstler ein Leichtes, sein Publikum durch schmeichelnde Melodien und musikalische Tändeleien für sich einzunehmen; es wird ihm aber nicht so leicht, des Kenners höhere Foderungen zu befriedigen. Dieser bringt durchaus auf Charakter in der Darstellung, auf Ausdruck der Empfindung, und wo diesem ein Text zum Grunde liegt, auf vollkommene Uebereinstimmung des Tongemäldes mit den Gefühlen des Dichters. Diese Operette besteht zwar, ihrer Kürze gemäß, nur aus wenigen Musikstücken, aber es ist auch nicht eines darunter, das genannten Foderungen nicht genau entspräche, und deutlich bewiese, wie sehr des Künstlers Bestreben auf deren Befriedigung hinausgieng. Wir führen unter Andern Nro. 2. die Arie des Abu Hassan an. Der Dichter schildert hier das bunte Gemisch von Empfindungen eines leichtsinnigen Verschwenders, der jeder Lust sich hingebend, dennoch treu und zärtlich an seinem Weibchen hängt. Selbst die Wahl der verschiedenen Versart (bald Jamben, bald Trochäen und Daktylen) deren der Dichter sich dabei bediente, und die fast mit jeder Strophe den Rhythmus ändert, trägt zur Eigenthümlichkeit dieser Schilderung bei. Der Kompositeur drang in diesen Charakter vollkommen ein, und sein Gesang mahlt den Kontrast der Empfindung auch bis zu den feinsten Nüanzen täuschend aus. Was anfangs vielleicht auch planlos dabei, und ohne Einheit im Ganzen erscheint, gerade das ist bei genauerem Vergleiche mit dem Texte voll Wahrheit und dem richtigsten Gefühle niedergeschrieben. Nro. 3. Der Chor der Gläubiger ist ein Meisterstück in diesem Singspiele, ein treffliches Charaktergemählde voll Kraft und Haltung. Fatime'ns Arie, die zunächst darauf folgt, entzückte allgemein; aus einer Fülle von Harmonie quillt sanft die Empfindung, die bei den Worten: Doch Abu Hassan ohne dich &c. sichtbar wächst. Ueberraschend, und von der gelungensten Wirkung ist daher bei dieser Stelle die Lieblichkeit des Thema's, in welches der Künstler sehr verständig den frühern melodischen Gang der Musik einlenkt, um mit der gesteigerten Empfindung gleichen Schritt zu halten. Mit Recht darf man dieses Stück mit zu den zartesten Geistesblüthen des Hrn. v. Webers rechnen. – Nicht minder ausdrucksvoll und natürlich als die vorhergehenden ist auch das Singstück Nro. 6 geschrieben. Der Drang der sich durchkreuzenden Gefühle von Verlegenheit und Angst, Hoffnung, Furcht und Unwille ist darin so richtig und treffend bezeichnet, daß man auch hier den Künstler von tiefer Ueberlegung und gründlicher Bildung nicht verkennen kann. In Beziehung dessen dürfen wir kühn noch des lezten Terzettes hier Erwähnung thun, das wegen seiner durchaus schönen Haltung, und des charakteristischen Uebergangs in einen Marsch von ungemeinem Effekte ist, und darum mit zu den ausgezeichneten Stellen dieses niedlichen Singspiels gezählt zu werden verdient.

Dem leichten einfachen Gesange entspricht durchaus eine gefällige Begleitung der Instrumente. Hr. v. Weber besizt auch hierin eine eigene Geschicklichkeit; er kann reich seyn ohne Verschwendung, aber auch einfach ohne Leerheit, und dieß alles zu rechter Zeit und am rechten Orte. Sicher von der Wirksamkeit eines jeden Instrumentes ist er Meister in der Vertheilung und Zusammenhaltung derselben. Er weiß mit dem Geschmackvollen sehr sinnreich auch das Charakteristische ihres Gebrauches zu verbinden. Wir erinnern uns noch immer mit Vergnügen an die Arie Abu Hassans gleich im Anfange des Stückes, worin die Guitare abwechselnd mit dem Fagott eine so allgemein ansprechende Wirkung hervorbringt. Von ganz anderer Art hingegen, jedoch völlig aus der Natur des Gegenstandes gegriffen, finden wir die Untersetzung des ersten Chores, der vorgreifende Gang der Bäße ist vortrefflich angebracht. Welchen Reichthum von Harmonie aber der Künstler auch nur aus wenigen Instrumenten hervorzuzaubern vermag, davon giebt die Arie Nro. 4. einen glänzenden Beweis. Das zarte in einander Fließen der einfachen Accorde reißt unwiderstehlich hin, und giebt mit dem sehr sinnig darein verwebten Violonzell-Solo dieser Arie den höchsten Reiz. Bei solcher Anlage und Bearbeitung des Ganzen ist nun freilich alles sehr genau berechnet, und die Ausführung mußte daher allerdings ihre Schwierigkeiten haben. Das Orchester überwand sie alle mit einer Leichtigkeit, die nur allein von dessen Ruhm und Geschicklichkeit zu erwarten ist.

In Betreff des früher schon gegebenen Konzertes bemerken wir nur noch kürzlich, daß wir auch damals in des Künstlers Werken Reichthum, Kraft und Tiefe der Gedanken mit Genialität im Ausdrucke bewundern mußten. Seine Konzertkompositionen tragen überdieß noch einen eignen Charakter, und weichen ganz von jener des gewöhnlichen Schlages ab, worin bloß brillante Solo mit unbedeutenden Ritornellen abwechseln. Hr. v. Weber bringt beide in nähere Verbindung, oder genauer zu reden, aus einem schön angelegten und mit Einheit durchgeführten Ganzen läßt er gleich einem freundlichen Gestirn die Hauptstimme hervorglänzen. – Nicht minder ausgezeichnet ist dessen Virtuosität auf dem Forte-piano. Wir rechnen das, was dabei dem Mechanismus angehört, eben nicht zu seinen größten Vorzügen; aber desto mehr Würdigung verdient sein freier, geistreicher Vortrag, und dessen Präzision, sein Crescendo und Ausdruck, welchen leztern er vorzüglich durch seinen Accent bewirkt, den wir in so hohem Grade außer Beethoven noch nirgends bemerkt haben.

Möchte uns doch auch die Muse dieses geniereichen Künstlers einst mit einem Werk im reinen Kirchenstyle erfreuen.

S.