Besprechung von Karl August Böttiger: „Für Freunde der Tonkunst. Von Friedrich Rochlitz“

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Für Freunde der Tonkunst. Von Friedrich Rochlitz. 1. Band. 1824. 430 S. in 8.

Wir lassen billig eine eindringendere Beurtheilung und Würdigung dessen, was uns dieser erste Band bringt, den Eingeweihten. Möchte Maria v. Weber selbst dazu Zeit gewinnen können! Wenigstens dürfen wir aus seinem Munde die Versicherung geben, daß ihm über alle die Gegenstände, die hier verhandelt werden, weder etwas Gründlicheres, noch für das große Publikum belehrenderes und faßlicheres vorgekommen sey. Fr. Rochlitz war der Erste, der vor ungefähr 30 Jahren begann, eigentliche philosophische Kenntniß und wissenschaftliche Ansichten (damals die Kantischen) zur Musik zu bringen und auf sie anzuwenden; einer der Ersten auch (und das besonders in Deutschland, da hierin in früherer Zeit Italien vorangegangen, Frankreich und England nachgefolgt war), der ernstliche historische Studien und was allein vor Einseitigkeit und Ueberschätzung bewahrt, allgemeine Bildung in dieses Fach gebracht und von der durch darstellende Schriften andrer Art vielfach erprobten Fähigkeit, gut zu schreiben, Gebrauch gemacht hat. Natürlich ging, was er in diesem Fache von Zeit zu Zeit, besonders durch das überall gern vernommene Organ der musikalischen Zeitung (dieses bis jetzt einzigen Pepertoriums) bekannt machte, großentheils sogleich in die allgemeine Meinung über. Ist dieß ge¦geschehen, so denkt nicht leicht jemand daran, wann oder durch wen dieß zuerst gefunden und also aufgestellt wurde. Findet er es später wieder da, wo es zuerst ausfloß, so sagt er: "Nun, das ist nicht übel, aber daselbe, was du schon längst gehabt, gewußt, geurtheilt hast"! So ist es von jeher allen gegangen, die ihrem Zeitalter tüchtig voreilten und noch ein zweites Geschlecht erlebten. Das muß so seyn und wehe jedem, der in hohem Alter noch gelernt hat, seine Persönlichkeit dem mächtig fortrollenden Zeitrad unterzuordnen! Sagt man nun, daß man hier nicht Weniges, den Stoffe, den Ansichten, den Urtheilen nach wiederfinde, was der Verf. füher schon anderwärts, besonders in der musikal. Zeit ansprach; so muß dieß doch dahin beschränkt werden, daß hier kein einziger Aufsatz so erscheint, wie dort gegeben wurde, bei weitem die meisten aber jetzt ganz neu ausgearbeitet und erst 1823 niedergeschrieben worden sind. Man prüfe und vergleiche selbst!

Das eingenthümliche Verdienst dieser Aufsätze ist die Einkleidung, womit gediegene Gründlichkeit und Gelehrsamkeit ein Lesebuch im edelsten Sinne des Wortes zu gestalten verstand. Des alten: Lehre durch Beispiel, tutior per exempla via, eingedenk, weiß er im ersten Abschnitt, welcher Bildnisse überschrieben ist, in den Kunstbiographieen von Hiller, Gertrud Mara und Andreas Romberg, dieser 3 Repräsentanten der deutschen Operncomposition, des hohen Gesanges und der Instrumentalcomposition, an die gerechte Würdigung dieser Meister überall die fruchtbarsten Winke und Warnungen zu knüpfen; dann führt er im 2ten Abschnitt, mit der Ueberschrift Betrachtungen, die Dilettanten, ja selbst die bloßen Laien gar freundlich an der Hand, wenn er das innerste Wesen der Fugen anschließt; die Urtheile über die Werke der Tonkunst in vier Klassen ordnet; die von Frankreich aus vorgebrachte Klage gegen Symphonien mit Gesang gerecht würdigt; Händels, dieses Fürsten der Tonkunst, einzigen Messias meisterhaft zergliedert; die Macht des Rhythmus bei rohen Völkern ausdeutet, oder uns unerwartet an die wahre, oft vergeblich gesuchte Wiege der italienischen Oper hinstellt. Gerade in dieser letzten Untersuchung zeigt sich der Kenner, der die Ergebnisse seiner Jahrelangen Forschungen mit einer Leichtigkeit und Klarheit aufstellt, als hätte sie ihm gar keine Mühe gekostet, die Quellen selbst in Einer alles umfassenden Note S. 302 nachweiset, um so mehr zu seinem Vortheile, als er seine vor 25 Jahren schon öffentlich geäußerte Behauptung heute förmlich zurücknimmt. Das Resultat ist: „Giovanni di Bardi, Graf von Vernio gestaltete sie als Rezitativ, als musica nuova in stilo rappresentativo am Hofe Lorenzo von Medici, in Verbindung mit Giulio Caccini. Die erste wirkliche Oper brachte Peri in Verbindung mit dem Dichter Rinuccini hervor. Ihre Vollendung erhielt sie durch | die Euridice am Vermählungsfest der Maria Medici mit Heinrich IV.“ der dritte Abschnitt, Vermischtes betitelt, ist vielleicht für die Mehrzahl der Leser der anziehendste. Denn da nach Jean Paul der Mensch aus zwei Theilen besteht, aus Ernst und Scherz, so mögen die scherzenden Aufsätze, der erste Ausflug eines Virtuosen und das Schreiben an der Redaction der Leipziger musikal. Zeitung, wegen die trockenen Laune, mit welcher sie gedichtet sind, vorzügliche Gunst finden. Aber bei der jetzt so mannigfach abgeregten und auf Blindenbildung und Pflege gerichteten Aufmerksamkeit dürfe wohl auch der dritte Aufsatz über Blinde Musiker (besonders auch bei uns in Dresden) volle Beherzigung fordern, vorzüglich durch die des blinden von Baczko Schrift über sich und seine Unglücksgefährten abgeleitete Bemerkung, daß man immer dahin arbeite, die Blinden den Sehenden so ähnlich als möglich zu bilden, statt sie immer als Blinde anzusehen und sie zu Leistungen anzuführen, womit jeder seine Sphäre ausfüllt. Möge der Meister in seinem Fache uns noch oft aus den reichem Schatz seiner Lebens- und Kunstansichten eine volle Spende schenken. Wenn auch der Markt unsrer Literatur mit ganz andern Dingen sich abarbeitet und Beifall erhascht; eine erlesene Zahl wahrer Kunstfreunde werden stets einen geistigen Kreis um ihn schließen. Und kommen die höhern Jahre, er wird nie eine senectam cithara carentem haben!

Böttiger.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Dubke, Esther

Überlieferung

  • Textzeuge: Wegweiser im Gebiete der Künste und Wissenschaften (Beilage zur Abend-Zeitung), Jg. 8, Nr. 33 (24. April 1824), S. 129–130

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