Erklärung von Johann Gottfried Fischer auf die Bemerkungen Webers zum „Waldmädchen“

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Abgeforderte Erklärung zu Nr. 4. dieser Nachr. pag. 39.

Man mußte über die große Dreistigkeit erstaunen, mit welcher der Herr Compositeur v. Weber seine Oper, das Waldmädchen, ausposaunte, um nur ein günstiges Urtheil zu erzwingen. Die Sache ist dem Publiko bekannt und ich würde ganz geschwiegen haben, wenn ich nicht namentlich wäre aufgefordert worden; ja sogar glaube ich es dem Freybergischen Publiko schuldig zu seyn, daß ich hier meine Meynung ohne Beleidigung und Schminke sage.

Die Erwartung war damals freylich sehr groß, ehe die Aufführung begann; denn der pomphafte Zeddel verkündigte: daß ein 13jähriges Genie, ein Zögling von Haydn, (also doch wohl ein kleiner Mozart!) eine Oper componirt und unserer Durchl. Churfürstin dedicirt habe. Aber wie wurde aller Erwartung getäuscht! Ich will nur jetzt davon reden, was ich noch gewiß weiß. Das Ganze war mehrentheils so angelegt, daß keine gute Wirkung erfolgen konnte, theils waren die Instrumente, theils der Text, so auch die Harmonie und der Rhythmus nicht gut behandelt, man hörte Fehler aller Art; bald fieng dieses Instrument, bald jenes seine holprichten Passagen an, und so auch die Singestimmen. Das hiesige brave Orchester, welches die schwersten Opern sonst so schön executirte, war nicht im Stande dasjenige zu leisten, was nicht möglich war, weil der Hr. Compositeur die Behandlung der Instrumente zu sehr vernachlässiget oder zu wenig verstanden hatte. Ich erinnere mich noch jener Arie, die Mad Seyfert sang, (es sollte eine Bravourarie seyn!) o welche Passagen in unschmackhaften Triolen viele Takte hindurch! bald hoch, bald tief, die gute Frau wurde so gemartert, daß sie nicht wußte, wie sie die Arie herausbringen sollte. Das Quartett oder Quintett, o! das zerfloß in Harmonien, die niemand, weder nach Kirnbergers noch Voglers System auflösen wird; besonders jene Stelle, wo die Singestimmen ganz ohne Begleitung einige Takte hatten. Und wie war der Text behandelt? Nur eins zu gedenken: auf der ersten Sylbe von Liebe eine Cadenze und Trillo! Alles zusammen genommen kann man wohl mit Recht sagen, daß der ganzen Aesthetik Hohn gesprochen sey. Sollte dieses der Herr Compositeur v. W. beleidigend finden, so erbitte ich mir von ihm die Partitur oder auch nur jene Arie und Quartett, damit ich diese meine Meynung aus seinem Manuscript beweisen und die übrigen Fehler, die mir wieder entfallen oder damals entwischt sind, auch mit auftischen kann. War also wohl das Publikum undankbar zu nennen, wenn es diese Arbeit nicht so aufnahm, wie Sie wünschen? – war dies Kabale oder unrein gestimmt? –

Doch Sie trauen dem Freybergischen Publiko zu wenig Geschmack und den Musikern zu wenig contrapunctische Kenntniß zu. Wir wollen doch ein wenig einander rechten, denn aus Ihrem Vorwurf muß ich fast glauben, daß Sie nicht eigentlich wissen, was Contrapunct ist. Meynen Sie den einfachen, so lassen Sie sich sagen: daß ein jeder, der nur eine Menuet mit einem Baß setzen kann, schon ein Contrapunctist ist. In diesem Fall sind es viele meiner Schüler, auch die, welche nur einen Choral vierstimmig an die Tafel | schreiben können. Wollen Sie vom doppelten Contrapunct reden? Nun wohlan! ich nehme die 6 Fugetten her, die in den musik. Zeitungen so vortheilhaft, wie Sie sagen, recensirt sind, und beleuchte selbige ein wenig. Es sind in diesen kleinen Sächelchen (manche ist 7, 8 bis 10 Tacte lang) häufige Druckfehler, die ich jetzt abrechnen will; doch ist auch kein großer Contrapunctist darin wahrzunehmen, denn eben solche Exempel gebe ich meinen Schülern, wenn ich sie lehren will, was Dux und Comes ist; daher kann man auch nicht viel darüber sagen, als daß man auf die Gedanken kömmt, ob diese Fugetten nicht etwan eben so unter Leitung eines Lehrers möchten entstanden seyn? Aber ihr Lehrer müßte denn auch folgende Fehler nicht haben stehen lassen, die in Fuga IV Tact 8, und Fuga V Tact 5 bis 6 sich finden. Meine Schüler sagten: daß eine sey eine falsche Quinten- das andere eine falsche Octavenfortschreitung. Man traut kaum den Augen, denn der Recensent hat in den musik. Zeitungen den Druckfehler angezeigt und läßt hier gleich daneben den Fehler des Componisten unberührt! Man kommt in Versuchung zu glauben, daß es mit dieser Recension sein eignes Bewandniß habe. Daß beydes keine Druckfehler sind, beweißt, weil sie zwar zur Harmonie gehören, aber die Ordnung ist fehlerhaft       Dies sind also jene Früchte, von denen Sie im dritten Stück dieser Nachrichten sprechen? O! hätten Sie sich doch mit den Blüthen begnügen lassen! Uibrigens macht die Bezifferung an manchen Stellen und die allzuhäufigen Druckfehler die ganze Sache sehr räthselhaft und verdächtig, denn wie kann z. B. Fuga IV Takt 3. der Baß durch den Notensetzer so verunstaltet worden seyn? Mehrere Beyspiele anzuführen ist unnöthig, da ich schon zu weitläuftig gewesen bin.

Damit ich aber auch beweise, wo etwas vom Contrapunct anzutreffen ist, so will ich hier nur zwey Fälle citiren. Fuga I. Takt 3 und 5. Fuga II. Takt 3, 4 und 7.8. Alle beyde Stellen im Contrapunct der Octave! Diese Art vom Contrapunct ist der leichteste und wird oft von manchen ohne Wissen und Willen gesetzt. Von dem übrigen Contrapunct in der Derz. Duodecime etc. findet sich keine Apur in den Fugetten; diese verlangen aber auch mehr Studium.

Vor der Hand mag dieses genug seyn. Der Hr. Compositeur v. W. mag nun seine Oper und Fugetten hinschicken, wohin er will, dieses mein Urtheil darzu, und alles unpartheyisch prüfen lassen; sollte ich zuviel gesprochen oder die Kenntniß dieses vorgeblich 13jährigen Jünglings nicht nach Verdienst gewürdiget haben: so will ich in diesen Nachrichten bekennen, daß ich aus Kirnbergers, Marpurgs, Sulzers, Bachs, Händels Grauns etc. theoretischen und praktischen Werken, von welchen ich die vorzüglichsten selbst besitze, nichts gelernt habe, und zu ihm gern in die Schule kommen, um Contrapunct zu lernen.      

J. G. Fischer. Cantor.

Apparat

Zusammenfassung

Reaktion auf die Bemerkungen Webers zu Kritiken der Freiberger Aufführung des „Waldmädchens“ am 24. November 1800; Fischer verweist auf Schwächen von Webers Komposition und belegt diese an ausgewählten Stellen; außerdem bemängelt er Druckfehler u.a. andere Defizite in den bisher erschienenen Werken Webers

Entstehung

24. Januar 1801

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Solveig Schreiter

Überlieferung

  • Textzeuge: Gnädigst bewilligte Freyberger gemeinnützige Nachrichten für das Chursächsische Erzgebirge, Jg. 2, Nr. 5 (29. Januar 1801, Beilage), S. 49–50

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