Aufführungsbesprechung Wien, Redouten-Saal: Über Weber und seinen „Freischütz“ anlässlich der Ankündigung seines Konzerts, Februar 1822

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Carl Maria von Weber.

Wiens berühmter und verehrter Gast, der königl. sächsische Capellmeister Herr Carl Maria v. Weber, dessen schöne Melodien jetzt in allen Gemüthern tiefe Wurzel gefasst haben, wird während seines Hierseyns, wie wir vernehmen, ein Concert im kleinen Redouten-Saale veranstalten, und darin nicht allein mehrere neue eigene Compositionen von sehr interessantem Inhalt aufführen, sondern uns auch ein Vergnügen dadurch gewähren, dass er selbst als Virtuos erscheint. Er wird durch seine grosse Kunst im Fortepianospiel gewiss manchen Verehrer seiner Muse überraschen, der in dem weisen und oft so bescheidenen Gebrauche aller Mittel, welche die Musik dem Opern-Compositeur darbiethet, gar nicht ahnen konnte, dass dieser mit dem Eindrucke auf das Herz so vertraute Tonsetzer in der Kunsthöhe der Virtuosität sich auf einem Instrumente bewegen könne, dessen Spiel in unserer Zeit wohl den höchsten Grad von Vollkommenheit erreicht hat.

Wer den Tonsatz im Freyschützen nur mit etwas aufmerksamen Auge[n] verfolgt hat, wird die Mässigung bewundern, mit welcher der Meister, dem die ganze Welt der Töne zu Gebothe steht, oft so einfache Mittel zu seinen grossen Zwecken wählt, und doch den schönsten Eindruck auf die Seele des Zuhörers erreicht.

Hierin zeigt sich aber der schöpferische Geist, dass er überall den rechten, passenden Stoff zu seinen Formen zu wählen weiss, und keine Missgriffe thut in dem Gebrauche der, zu Erschaffung eines Kunstwerks nöthigen Elemente.

iegt nicht ein sehr wichtiger Grund des Missfallens, womit manches Werk der dramatischen Tonkunst empfangen wird, in der allzugrossen Verschwendung aller Mittel und Kräfte, in der Vergeudung aller Farben und Formen? Dem Virtuosen im Clavierspiel treten bey der Gesang-Composition unzählige Gefahren entgegen, denen er unterliegen muss, wenn nicht sein Ohr durch lange Vertrautheit mit dem Orchester – die er doch nur wieder durch das Geschäft des Dirigirens sich eigen machen konnte – über den Effect aller Instrumental- und Vokal-Musik so fest und sicher gemacht ist, dass seine Begeisterung ihn nicht zu Fehlgriffen verleiten kann.

Wie verschieden sind die Gradmesser der vollkommensten Wirkung bey dem individuellen Charakter der Vocal-Musik von denen der Instrumental-Musik? Wie gross ist die Kunst die Worte der Dichtung mit dem gesungenen Laute in so schöne Einheit zu bringen, dass die dichterische Weihe der melodischen Kraft zum Stützpunct diene, und beyde zugleich durch die sanfte Gewalt der Harmonie zu einem schönen Ganzen vermählt werden?

Wie selten ist die Kunst, dass die Tonsetzer ihr erfundenes Tonwerk schön textiren! Erscheinen nicht manche neuere Arien oder überhaupt Gesangstücke in so gezwungener Steifheit, in so unnatürlicher Wendung, als ob sie kein Leben hätten, sondern nur maschinenartig auf den Drath – den Gang der Verse – gespannt wären? Die Gewalt sieht man solchen Werken leicht an, die es dem Tonsetzer kostete, aber eben so sehr leuchtet die Angst und Mühe aus dieser unnatürlichen Form hervor, deren stückweise Hervorbringung dem, ohne Schöpferkraft nur arbeitenden Compositeur oft die grösste Verlegenheit kostete.

Es glaube ja Niemand, dass kein Auge bey dieser Arbeit ihn in seinem verschlossenen Zimmer belauschte, denn das Werk spricht nur allzulaut aus, ob es in den Stunden begeisterter Weihe erschaffen, oder durch menschliche Mühe und Fleiss hervorgebracht wurde.

Die Sucht neu zu erscheinen und noch origineller als andere Originale zu seyn ist eine eben so grosse Klippe, an der manche scheitern, die in den erfundenen Tonsatz immer noch hineinarbeiten, nach Art der Kupferstecher.

Wie frey von diesem Allem ist Weber’s Genius! Er schaltet mit seinem Elemente muthig, ohne Scheu und Ängstlichkeit vor dem Gebrauche gewisser Formen, die doch eigentlich nur Stoff zu höherer Ausbildung, die doch nicht anders zu betrachten sind, denn als die blossen Buchstaben des grossen Alphabets der Tonkunst. Diess muss für solche gesagt werden, welche einen Satz von acht Tacten zu zergliedern, die drey ersten Tacte dem Händel, die drey letzten dem Haydn, und die zwey mittleren dem Bach zuzuschreiben im Stande sind, da doch eigentlich jeder nur sein phantastisches Spiel mit den sieben Strahlen des melodischen Prisma’s treiben, und keine Verhältnisse erschaffen konnte. Aller Wohlklang liegt in allen Herzen und ist eben so reitzend durch seine grosse Verwandtschaft.

Darum wird Weber’s Originalität von der Mitwelt laut anerkannt, und feyert gleichsam einen durch allerhand Querstände des menschlichen Lebens verspäteten Triumph. Wir sind nun begierig, den Meister der Lieder auch als kunstreichen Spieler zu sehen, und uns zu überzeugen, ob die dichterische Weihe des Schöpfers im Reiche der Töne nicht die künstlerische Individualität des Virtuosen durch ihre prädominirende Kraft in Schatten gestellt habe?

Das ganze singende und fühlende Wien sah den Freyschützen, wir wünschen dem Meister dass der kleine Redouten-Saal die Zahl seiner Zuhörer nicht fassen möge!

K.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Wien, kleine Redouten-Saal: ein Concert von Carl Maria von Weber. Weber trat als Pianist auf.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Mo, Ran

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat, Jg. 6, Nr. 18 (2. März 1822), Sp. 138–140

    Einzelstellenerläuterung

    • demrecte „den“.

      XML

      Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
      so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.