Aufführungsbesprechung Wien, kleiner Redoutensaal: Konzert von Carl Maria von Weber am 19. März 1822

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Concerte.

Carl Maria von Weber.

Vor seiner Abreise verschaffte uns derselbe noch Gelegenheit, seine Virtuosität als Clavierspieler und Claviercompositeur zu bewundern. Er gab ein Concert im k. k. kleinen Redouten-Saale.

Den Anfang machte die schon im Landständischen Saale aufgeführte Jubel-Ouverture. Die Tonart E legt den blasenden Instrumenten, besonders der Oboe, im geschwinden Tempo manches beym schnellen Laufen schwer zu tragende Kreutz auf. Wir hörten zwey Mahl diese Ouverture executiren, und auch brav vortragen, aber das feine Ohr will durch eine nicht ganz vollkommne Intonation der Instrumente nicht gestört seyn!

Überhaupt ist es sonderbar, dass die Welt die blasenden Instrumente ganz in dem nähmlichen Style wie die Eheleute betrachtet, von denen man gewöhnlich sagt, dass sie recht gut miteinander leben, wenn sie nach den Zänkereyen jedes Tages sich nur des Abends jedes Mahl – wieder versöhnen. Das gesammtwirkende Wesen der blasenden Instrumente nennt man nun aber die Harmonie, obgleich erwiesen ist, dass da die häufigsten Spaltungen und Uneinigkeiten Statt finden, und dass es beym Zusammenwirken oft erst einiger Uneinigkeit vom Anfang her braucht, um einig zu werden.

Desshalb ist nun die Harmonie in manchen Tonarten nicht allemahl recht harmonisch.

Weber’s Tonsatz ist pompös, doch stört das eingewebte oder vielmehr als Bordure angestückte Volkslied etwas die Einheit. Der Eindruck auf uns hörende Wiener im Allgemeinen, war für Weber erfreulich, denn Beyfall wurde ihm am Schlusse reichlich gezollt. Man könnte sich vielleicht wundern, warum hier nicht steht: das Entzücken der Anwesenden war ohne Grenzen! In diesem Saale befinden sich bey Concerten zu 5 fl. Entrée nicht etwa die Musikliebhaber, sondern vielmehr die Repräsentanten oder Deputirten derselben. Ganz so wie in Frankreich oder andern Ländern, welche eine Kammer haben, auf so viel tausend Seelen ein Deputirter, vielleicht nur ein halber, kommt, eben so darf man in diesem Saale bey einer Bevölkerung von dreymahl hundert tausend Seelen ungefähr dreyhundert musikalische Deputirte rechnen.

Diese haben ihr gutes Kriterium für die Kunst grössten Theils bey sich, oder sie sind zum wenigsten kritisch.

Das Concertstück für das Pianoforte bestehend in Adagio affettuoso, Allegro passionato, Marcia und Rondo giojoso – mit Begleitung des Orchesters, componirt und vorgetragen vom Concertgeber, erregte um so vielmehr die gespannteste Erwartung, da unter den Zuhörern gewiss hundert Fortepianospieler vom ersten Range aufzufinden waren. Geduld, verehrter Leser! Wir verstehen diesen ersten Rang so, dass gewöhnlich alle Virtuosen sich selbst numeriren, graduiren und honoriren, ohne andere zu fragen. Jeder solcher Zuhörer ist nun Eo ipso zu einer Art von Passionato affettuoso gestempelt. Die Barometer müssen auf den höchsten Gebirgen auch mit der höchten Accuratesse beobachtet werden, diess gilt auch von dem Barometer der Kunst auf einer ungewöhnlichen Höhe der Virtuosität. Ferner ist es gewiss, dass man durch Triangulirung weit eher die fernen Höhen zu messen im Stande ist, als die, auf welchen man sich mit seiner werthen Person selbst befindet. Die gespannte Erwartung ist hiermit demonstrirt. Wenn wir Weber mit dem Grade von Achtung beschauen, der unseren früheren Anzeigen über seine Oper innewohnt, so geräth seine Virtuosität neben seiner productiven Kraft in Schatten. Es ist auch wahrlich besser für ihn, ja, es wäre unbegreiflich, wenn es anders wäre!

Wie? war nicht Mozart ein eben so grosser Spieler als Tonsetzer? Caeteris paribus! Zu Mozart’s Zeiten war das Fortepiano-Spiel noch eine Art von Seelentanz, (wie ihn der gleichzeitige Noverre selbst goutirt haben würde) der durch den künstlichsten Organismus des Instruments und die Geschicklichkeit der Finger hervorgebracht wurde. Jetzt ist es in Vergleich mit damahls ein ordentliches Kopfübern geworden. Es schwindelt einem vor der Höhe – nicht vor der Hoheit und Würde dieser Kunst. Wie kann auch von Weber verlangt werden, dass er seine linke Hand so ausserordentlich üben solle, da uns seine rechte die schönste Gabe gereicht hat?

Sein Anschlag beweist dass er es sehr gern sähe, wenn das Fortepiano ein gesangvolles Instrument wäre, denn er bemüht sich den Ton herauszuziehen und nachklingen zu lassen. Sein Vortrag zeigt Ruhe und erhebt sich zur Klarheit. Seine Passage zeigt von grosser Fertigkeit, doch war nicht alles rein, besonders liess die Linke bisweilen etwas zu wünschen übrig. Am wenigsten sprach das erste Allegro an, der Instrumental-Marsch am meisten. Das Rondo war feurig und heiter, und zeigte den Spielenden mehrmals in seiner Kunstfertigkeit. Weber erhielt am Schlusse viel Beyfall – doch wollte man ihn nicht als Clavierspieler vom ersten Range anerkennen.

Mad. Grünbaum, k. k. Hof- und Opern-Sängerinn, trug hierauf eine Arie von Mozart vor*. Ihre Stimme war ausserordentlich rein und klangvoll. Ihr Vortrag entzückte durch den seelenvollen Ausdruck, mit dem sie die reitzenden Melodien Mozart’s belebte. Das Publicum würdigte die treffliche Sängerinn, welche in dem reinen Vortrage des Meisterwerks ihre hohe Achtung vor der Kunst laut kund that, auf die ausgezeichnetste Weise.

Das hierauf folgende Schlummerlied für vier Männerstimmen von Weber, vorgetragen von den Herren Jäger, Rosner, Forti und Seipelt, hat viel harmonisches Interesse und zugleich melodischen Reitz, aber die Zwischenspiele auf dem Fortepiano ermüden durch ihre Länge. Man weiss nicht recht ob der Gesang das Accessorium ist, oder das Principale. Einer der Sänger war heiser, Herr Jäger entzückte durch den schmelzenden, süssen Vortrag seiner Oberstimme an einigen Stellen.

Ein Rondo für die Oboe, componirt und vorgetragen von Herrn Professor Sellner, Orchester-Mitglied des k. k. privil. Theaters an der Wien, liess uns den schönen Vortrag des Blasenden hören, besonders sprach sein Portamento an. Solche singende Stellen klingen auf der Oboe, und machen sehr guten Eindruck. Herrn Sellner’s Ton ist weich, schlank und hat viel Biegsamkeit, besonders ist die Höhe gut ausgebildet. Die gefährliche Klippe dieses Blas-Instruments beym Überschlagen des Tons, weiss Herr Sellner sehr gur zu vermeiden.

Die Passagen waren grössten Theils nett, und zeigten von einer feinen Nüançirung. Herr Sellner wurde durch Beyfall ausgezeichnet.

Eine freye Phantasie mit einem Rondo auf dem Pianoforte, vorgetragen von Weber, machte den Beschluss. Der Phantasirende schwamm lange in Arpeggio’s und Spannung erregenden Modulationen, deren pikante Wendungen oft recht interessant erschienen und nicht selten brachte der Spieler Stellen an, durch welche der gute Klang des Instruments von Conrad Graf gehoben, und in helles Licht gestellt wurde. Der höchte Grad von Aufmerksamkeit war auf den Gang oder vielmehr die erwartete Entwicklung der Ideen gerichtet, denn jeder war auf eine kunstvolle Ausführung eines Thema’s von dem berühmten Tonsetzer gefasst. Bey einer Ferma gebrauchte nun Weber die ganze Dämpfung des Instruments und zwar war der Ton so leise, oder vielmehr so unhörbar, dass man lange Zeit diese Stille für ein musikalisches Inganno, für eine freye General-Pause zu halten versucht wurde. Es kann seyn, dass der Spielende und die zunächst stehenden Personen etwas einem Arpeggio ähnliches gehört haben. Der Verfasser dieses blieb lange in Dubio. Endlich erschien so etwas, wie der erste Stern am Himmel der Töne, nach und nach mehrere einzelne, aber allzulang dauerte das Arpeggio, ehe der Himmel hell wurde, ehe es in der Aufhebung der Dämpfer, und zur grössten Kraft überging. Hierauf spielte er eines seiner Rondo’s. Wir können nicht umhin, zu erklären, dass die grosse Anzahl von Freunden Weber’s, von Verehrern seiner Oper etwas ganz anderes erwartet, und einen Triumph der grossen Erfindungskraft des Meisters zu erleben gehofft hatte – allein, man ging unbefriedigt hinweg. Denn Carl Maria v. Weber stehn gewiss alle Elemente der Fugenkunst so zu Gebothe, dass er die grösste Versammlung von Meistern in allen Fächern der Tonkunst und von ausgezeichneten Dilettanten – wie deren Wien höchst seltene in grossem Überflusse besitzt – nicht allein durch seine schöne Gesangmusik zu unterhalten und zu begeistern, sondern auch durch eine wirklich freye – d. h. vom Genius in dem Augenblicke der Ausführung eingegebene und durch schöne Einheit charakterisirte – Phantasie zu überraschen im Stande wäre.

Er ist nun wieder von Wien abgereist, und wird wahrscheinlich an einer neuen Oper arbeiten, deren erste Aufführung doch wohl den Wienern – die ihn gewiss auf die schönste Art in ihrer Mitte aufgenommen und seinen Talenten gehuldigt haben – gewidmet seyn dürfte. Wer übrigens in seiner Nähe nur einige Zeit weilen konnte, wird in das Lob über seinen trefflichen und mannhaften Charakter als Mensch, welches die Welt schon länger über ihn ausspricht, freudig mit einstimmen.

Kanne.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Wien: ein Concert im kleinen Redoutensaale von Carl Maria von Weber

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Mo, Ran

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat, Jg. 6, Nr. 26 (30. März 1822), Sp. 201–205

    Einzelstellenerläuterung

    • „… eine Arie von Mozart vor“Arie der Donna Anna Nr. 23 „Crudele! Ah no, mio bene“ / „Non mi dir, bell’idol mio“ aus Don Giovanni.

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