Carl Maria von Weber an Karl Friedrich Ludwig Kannegießer in Prenzlau
Dresden, Freitag, 31. März 1820

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Absolute Chronologie

Vorausgehend

Folgend


Korrespondenzstelle

Vorausgehend

Folgend

Dem Herrn

Rektor Dr. Kannegiesser

Wohlgebohren

zu

Prenzlau

Es ist ein übel Ding, mit mir in Korrespondenz zu stehen, denn ich muß mich einen grundschlechten Antworter nennen ohne es doch eigentlich zu sein.      Wenn Sie sehen sollten mein hochverehrter Freund, wie meine Zeit von meinen Dienstgeschäften und 1000 Zumuthungen der seltsamsten Art oft, zerstükkelt wird, Sie würden es mit mir, unbegreifflich finden wo ich noch Zeit zu Arbeiten für mich hernehme.      Also haben Sie Nachsicht, und glauben Sie ein für allemal, daß gewiß nie Mangel an Achtung und Liebe für Sie und Ihre Schöpfungen die Ursache meines Stillschweigens sein können.

Ich habe 2 liebe Briefe von Ihnen vorliegen. vom 6t 7b 1819 und 18t Febr: a: c.      Wie ich den ersten empfieng hat mich der Himmel gleich Ihnen abermals mit schwerer Krankheit in meinem Hause heimgesucht.      Meine arme Frau machte Fausse Couche*, und zog sich auch noch ein heftiges Schleimfieber zu. erst jezt seit wenig Tagen genießt sie beßere Gesundheit.      Mit mir geht es denn auch nur so fortschleppend.      und was Gottes reine Luft auf dem Lande gut machte, haben italienische Stürme längst wieder vernichtet.      Ja. nun. Geduld.      die neu gesendeten Lieder haben sogleich meine Theilnahme so in Anspruch genommen, daß alsbald die Beilagen hier entstanden*. Haben Sie herzlichen Dank dafür, und möge es mir gelungen sein Sie ganz zu erfühlen und wahr wieder zu geben.      No: 1 /[:] Lebe hoch :/ habe ich nicht componirt weil der lezte Vers sich nicht kräftig genug mit der auf die übrigen paßenden Melodie wiedergeben laßen wollte. und eben so umgekehrt wenn ich ihn zuerst componirt hätte.      Sie haben wohl recht, das wahre Lied ist für Dichter und Tonkünstler eine schwere Aufgabe. Wo möglich sollen in jedem Verse Zeilenweise die Empfindungen correspondiren, allerdings Punkt, Komma, und und die der Deklamation gemäß zu betonten Sylben eben so wiederkehren und auf gleiche Stellen fallen. | aber welche Schwierigkeiten für den Dichter. da muß dann der Komponist, bei kleiner Abweichung dem Sänger das Beste überlaßen, bei größern, Varianten schreiben.      auch wohl manchmal den mittelsten, lezten pp Vers eigentlich componiren wenn dieser die wahre Pointe, den Drehpunkt des ganzen Liedes enthält.      Freilich aber soll der einfältigen Natur des Liedes nach, schon im ersten alles liegen.      Belege zu alle diesem, können Sie in meinen Liedern genug finden. so wie im Elfenliede, Z: B: habe ich bei der Melodie zur 2t Zeile, die 2t Zeile des 3t Verses im Auge gehabt.      No: 2 war mir zu lang.      No: 3. 5. und 8 waren gleich fertig* 4. 6. 7. kommen vielleicht einmal dran.      Hier habe ich nun zunächst was für ihr Haus geliefert, und werde mich recht freuen, wenn diese Töne so recht eigentlich Ihre und Ihrer lieben Frau Hausgenoßen werden sollten.

Ihr zweiter Brief hat mich durch die zarten Besorgniße, mir in irgend etwas zu nahe getreten zu sein, recht aufgeschrekt, und ich habe mir die Zeit mit Gewalt genommen Ihnen zu schreiben. ich bitte recht herzlich glauben Sie dergleichen unmöglich. Wen ich einmal so schäzze wie Sie, gegen den bin ich auch unbedingt offen, und dann kann wohl nie ein Mißverstand Wurzel faßen.

In wenig Monaten werde ich ganz in Ihrer Nähe sein.      ich führe im August in Berlin meine Oper die Jägersbraut im neuen Schauspielhause selbst auf, und gehe dann über Strelitz, Schwerin, Lübek pp nach Koppenhagen.      Wie schön wäre es wenn mir da irgend ein günstiger Zufall Ihre persönliche Bekanntschaft verschaffte.      Doch ich kenne Sie ja.      Wie ungenügsam doch der Mensch ist.

     

Gott erhalte Sie und die Ihrigen Froh und gesund, und haben Sie neue Liedlein so gedenken Sie Ihres Sie ehrenden und liebenden CMvWeber

Der Harfner soll nächstens folgen, die Post geht, ich habe nicht mehr Zeit ihn abzuschreiben.

Apparat

Zusammenfassung

bedankt sich für 2 Briefe K's u. Lieder; über seine Familie; legt bereits komponierte Lieder bei, Rest solle folgen; über Liedkomposition; er werde zur Aufführung seiner Oper nach Berlin kommen und von da Reise antreten; kündigt weiteres Lied an

Incipit

Es ist ein übel Ding, mit mir in Korrespondenz

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: 55 Ep 313

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • Siegelrest
    • PSt: DRESDEN | 3. Apr. 20

    Provenienz

    • 2003 erworben von SBB
    • Sotheby’s (22. Mai 2003), Nr. 210, S. 141 mit Teilfaks, Bl. 1r
    • 1990 aus Privatbesitz wieder verkauft
    • Schneider/Tutzing Kat. 308 (1988), Nr. 364
    • 1984 in Privatbesitz
    • Stargardt Kat. 619 (1980), Nr. 184 mit Teil-Faks. (Bl.1r)

Textkonstitution

  • Sie„sie“ überschrieben mit „Sie
  • Sie„sie“ überschrieben mit „Sie
  • „und“sic!
  • zuüber der Zeile hinzugefügt
  • „zu“durchgestrichen
  • so wiegelöschter Text nicht lesbar

Einzelstellenerläuterung

  • a: c.Abk. von „anni currentis“.
  • „… arme Frau machte Fausse Couche“In der Nacht vom 30. September zum 1. Oktober 1819 hatte Caroline von Weber eine Fehlgeburt.
  • „… alsbald die Beilagen hier entstanden“Mitgesandt hat Weber laut Tagebuch die später als op. 80, Nr. 2 u. 3 veröffentlichten Lieder Sehnsucht (komponiert am 12. September 1819) und das Elfenlied (komponiert am 5. Oktober 1819). Die Reihenfolge der insgesamt acht zugesandten Texte ist anhand der Druckausgabe von Kannegießers Gedichten (Breslau: Reinhard Friedrich Schoene’s Buchhandlung, 1824) nicht zu rekonstruieren. Die nicht komp. Nr. 1 findet sich darin auf S. 143–145, die komponierten Nrn. 3, 5 und 8 auf S. 13, 154–156 und 207–208. Es bleibt also fraglich, welche Lieder mit den Nrn. 2, 4, 6 und 7 gemeint waren, vermutlich gehörte dazu das im Brief vom 28. April 1822 erwähnte Gedicht An die Unbekannten (Gedichte 1824, S. 74f.).
  • „… und 8 waren gleich fertig“Vgl. die Tagebuchnotiz vom 5. Oktober 1819 sowie Jähns, Werke, Anh. 76.

    XML

    Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
    so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.