Bemerkungen zu notwendiger Würdigung der von Dresden aus in der AmZ erscheinenden Berurteilungen

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Bemerkungen zu nothwendiger Würdigung der von Dresden aus in dieser Zeitschrift erscheinenden musikalischen und theatralischen Beurtheilungen, von Carl Maria von Weber, königl. sächs. Kapellmeister und Director der königl. deutschen Oper.Δ

Jede Stadt hat ihre, mehr oder minder im Verborgenen waltenden Kunstrichter. In der Regel ist die daselbst wohnende Künstler- – lieber möchte ich sagen:Δ Kunsttreiber-Masse, nicht damit zufrieden; und das ist natürlich, wenn man die Reizbarkeit der Künstler-KasteΔ in Anschlag bringt, die nun einmal in ihr wohnt, und in ihrΔ wohnen muss. Fliesst aber jene Kritik aus reiner Quelle, und paart sie sich mit der Kraft des höheren Wissens: so wirkt sie doch wohlthätig; und vielleicht erst lange nachher verdankt man die bittere Arzeney dem Arzte, der sie ohne Nebenabsicht gereicht hatteΔ.

Dresden hat seine Kunstrichter und seine Unzufriedenen. Wie ich hieher kam, ermangelten die letzteren nicht, mich auf die ersteren aufmerksam zu machen. Ich liess fast zwey Jahre hindurch dieseΔ ruhig gewähren, um zu sehen, inΔ wie weit jeneΔ Recht oder Unrecht hätten; ja, ich hielt manchen einzelnen Ausbruch gekränkten Gefühles zurück, weil ich dergleichen Katzbalgereyen zur Belustigung der Umstehenden, für die Kunst unwürdig und unnütz halte.

Es ergab sich aus meinen Beobachtungen folgendes Resultat.

Die dresdner Kritik-Anstalt hat der schönen, wahrhaft achtenswerthen Kräfte viele. Sie ¦ besitzt sehr bedeutende Sachkenntnis in harmonischen, historischen, dramatischen und sonstigen Beziehungen auf KunstausübungΔ. Daraus entspringt nothwendig: dass ihre Aussprüche jene Ruhe und anscheinende Wahrhaftigkeit bekommen, die allein Zutrauen und Glauben bey dem grösseren, mit hiesigen Verhältnissen unbekannten Publicum zu erwecken im Stande sindΔ. Und gewiss gab sie auch manches UrtheilΔ so gediegen und treffend, dass wol wenige Städte ähnlich gute Correspondenten der allgem.Δ musikal. Zeit. werden bieten können.

Nun fragt es sich aber: Sind diese Urtheile, rein der Kunst, oder dem Privat-Interesse zu frommen in die Welt gesendet? Das ErstereΔ gelegentlich so nebenbey, wenn es dem Letzteren nicht in den Weg tritt!Δ Aber – man muss auch da gerecht seyn: wie geschickt, wie gut eingerichtet! bis auf Einen Δ Punkt, nie geradezu die Wahrheit ins Gesicht schlagend, sondern nur zur rechten Zeit geschwiegen, vergessen, oder, des nicht in den Plan Passenden in einem so gnädig mitleidsvollen Tone erwähnt, dass der Ununterrichtete ja unmöglich das Ding oder Subject für etwas halten kann.

Beweise hierzu liefert jeder Artikel über Dresden, und die Kritik-Anstalt dieser StadtΔ wird sie wol nicht verlangen; ich sie zu geben aber dem Frager darnach nicht verweigern. Dem Bewohner Dresdens ist das hier Gesagte klar genug, und dem auswärtigen Leser soll es nur einen Standpunkt zur Beurtheilung jener Anzeigen bieten, in denen auf merkwürdige Weise die Urtheile Farbe wechseln, nach Annäherungs- oderΔ Abstoss-Prozess der einzelnen Parteyen, wo denn hauptsächlich die deutsche Oper ewig im Argen bey dem Industrie- und Kritik-Comptoir liegt. – Habeat sibi!

¦

Ich persönlich, kann jenem Comptoir nicht genug danken, dass es meines Wirkens immer alsΔ preiswürdig erwähnt. Es hat mir dadurch die schöne Freyheit gegeben, ohne den geringsten Anschein von gekränkter Persönlichkeit, ihm gegenüber auftretenΔ zu können. Was mich hierzu endlich bestimmt hat, ist die Kritik der Opern, Joconde und Zauberflöte, in No. 48 dieser allgemein geehrten Zeitschrift*.

Es ist, gelindestens bemerkt, wenig besonnen gesagt: „dass ich mit den Mitteln, welche dieser Gesellschaft (der deutschen Oper) zu Diensten stehn – eine solche Vorstellung zu Stande gebracht.“ – Ich werde mich wol hüten, in den Fehler des Comptoirs zu verfallen, und den nicht armen Stoff zu Vergleichungen zu benutzen – wie, z. B. die Zauberflöte, hätte hier besser besetzt werden können; ob vielleicht Andere „aus ihrer Natur herauszugehen im Stande sind?“ etc. oder, die Erhebung Einzelner durch Beschuldigung Anderer zu versuchen. Nein; dazu achte ich zu sehr die Kunst, meine Kunstbrüder jeder Zunge, und besonders den erhabenen Schutz, unter dessen Huld und Pflege unsere Kunstanstalten gedeihen.

Die Gründung einer deutschen Oper ist ausgesprochen: und das Kunst-Gebäude wird sich heben durch die kräftige Stützung und Aufmunterung von Oben*. Und wenn es nicht jetzt schon so hoch steht, wie seine Erbauer es wünschen: so liegt das in, augenblicklich nicht zu ändernden Verhältnissen, die uns dieΔ Grünbaum, Gerstäcker’n, Weixelbaums etc., schon halb gewonnen, entzogen; und zwar nicht aus Mangel an vollgewichtiger Anerkenntnis und Belohnung ihrer Verdienste, sondern aus anderen Rücksichten, die hier von mir nicht einmal leise erwähnt werden sollenΔ. Uebrigens vertragen diese Mittel schon ruhig Vergleiche um und neben sich; ja selbst mit fremden gerühmten Bühnen. Diese Mittel werden ruhig, anspruchslos, und ermuthigt durch die Zufriedenheit des Allerhöchsten Hofes, und den zahlreichen und warmen Antheil des Publicums, sich fortbilden, und mit Andern vereint der Kunst hoffentlich keinen unwürdigen Tempel bauen.

Wie erhebend wäre es für alle Theilnehmende, Ausübende und Geniessende, wollte nun auch eine, mit so reichen Kräften ausgestattete Kritik, den geraden Weg der reinen Wahrheit gehen; und bedenken, dass sie sonst nur Δ erbittern und zur Blosstellung der von ihr unrecht ¦ Gepriesenen führen mussΔ, oder ihr Lob und Tadel gleich wirkungslos verhallt; ja endlich ihre Hauptabsicht doch scheitert, da alles von ihr noch so sehr Erhobene doch von selbst zusammenfällt, kömmt es einst weiter, in die Welt!

Dresden, den 11. Dcbr. 1818.

Nachschrift der Redaction.

Mit derselben Unbefangenheit und Parteylosigkeit, womit wir die Berichte des dresdner Correspondenten aufgenommen haben, nehmen wir vorstehende Bemerkungen des Hrn. Kapellm.s, v. Weber, auf; und zwar sogleich, selbst ohne die, bey ähnlichen Zeitschriften gewöhnliche, vorhergegangene Mittheilung an den Correspondenten. Bey den Lesern sind wir, wie, ohne Zweifel, bey allen betheiligten Personen und den Verfassern selbst, für Beydes gerechtfertigt, indem eines Theils, was die Berichte betrifft, selbst Hr. von W. dem Corresp. „reiche Kräfte, sehr bedeutende Sachkenntnis, jene Ruhe, die Zutrauen und Glauben erweckt, und auch manches gediegene, treffende Urtheil,“ zugesteht; übrigens es Jedermann einleuchtet, dass wir, die Entfernten, unbekannt mit speciellen örtlichen und persönlichen Verhältnissen, sollten sie von Einfluss gewesen seyn, die etwanigen Beziehungen darauf nicht einmal haben verstehen, wie viel weniger sie ablehnen, abändern, unterdrücken können; indem andern Theils, was die Bemerkungen angeht, Hr. v. W. sie mit seinem geachteten Namen bezeichnet, und dem Frager nach Beweisen diese nicht zu verweigern sich anheischig macht.

Apparat

Zusammenfassung

Webers Ausführungen beziehen sich auf in der AmZ erschienenen Aufführungsberichte der „Joconde“ und „Zauberflöte“ aus Dresden; der Dresdner Kritiker hatte die mittelmäßigen Mittel des Theaters bemängelt, welche Weber nunmehr verteidigt

Generalvermerk

Zur Datierung: Von Weber eigenhändig datiert am Ende des Aufsatzes: „geschrieben d: 10t. X.b 1818 Abends. Abgesendet d: 11t.“; Tagebucheintrag vom 10. Dezember 1818: „Aufsaz über die Dresdner Kritiken in der M: Z: geschrieben.“; 11. Dezember 1818: „an Rochliz geschrieben und Aufsaz gesendet. vorher denselben den H: Gr. v: Vizthum lesen laßen“.

Webers Bemerkungen zogen einige Reaktionen nach sich; vgl. Erwiderung der Korrespondenten sowie wiederum eine Entgegnung Webers; vgl. Weber-Schriften

Entstehung

Niederschrift 10. Dezember 1818 und Versand 11. Dezember 1818 (laut TB)

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Blümer, Simon; Fukerider, Andreas

Überlieferung in 2 Textzeugen

  • 1. Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 20, Nr. 51 (23. Dezember 1818), Sp. 877–880

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Kaiser (Schriften), S. 382–386 (Nr. 135)
    • MMW III, S. 204–207
  • 2. Textzeuge: Entwurf: Entwurf in zwei Teilen
  • 1. Fragment: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (VIII), Bl. 62b/v

    Quellenbeschreibung

    • über dem Ms.„Bemerkungen, zur nothwendigen Würdigung der von Dresden aus in dieser Zeitschrift erscheinenden […] musikalischen und theatralischen Beurtheilungen. von C.M.v.W.“
    • Incipit: „Jede Stadt hat ihre mehr oder minder im Verborgenen waltenden Kunstrichter.“
    • auf Bl. 2v von DBl. (Format 34,1x20,7 cm; WZ am unteren Rand schlecht lesbar: MEIER, CHFMNI[?], Kettlinien ca. 2,5–2,8 cm)
  • 2. Fragment: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl.II A f 3.25κ

    Quellenbeschreibung

    • Schluß: auf einzelnem Bl. r (Format 33,3x20,8 cm, WZ: FB?, Kettlinien ca. 2,5–2,7 cm)
    • von Jähns pag. mit 1

    Provenienz

    • Das Blatt 25κ-ο gehörte ursprünglich zur Sammlung von Webers Entwürfen (heute D-B, Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6, darin als Blatt 31; vgl. die dortige Inhaltsübersicht).

Textkonstitution

  • „dresdner“sic!

Einzelstellenerläuterung

Lesarten

  • Textzeuge 1: , königl. sächs. Kapellmeister und Director der königl. deutschen Oper.
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: – lieber möchte ich sagen:
    Textzeuge 2: oder möchte ich lieber sagen
  • Textzeuge 1: der Künstler-Kaste
    Textzeuge 2: dieser Kaste
  • Textzeuge 1: in ihr
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: Arzte, der sie ohne Nebenabsicht gereicht hatte
    Textzeuge 2: ohne Nebenabsicht sie reichenden Arzte
  • Textzeuge 1: diese
    Textzeuge 2: die erstern
  • Textzeuge 1: in
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: jene
    Textzeuge 2: die leztern
  • Textzeuge 1: Beziehungen auf Kunstausübung
    Textzeuge 2: Kunstausübenden Beziehungen
  • Textzeuge 1: sind
    Textzeuge 2: ist
  • Textzeuge 1: Urtheil
    Textzeuge 2: Urtheile
  • Textzeuge 1: allgem.
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: Das Erstere
    Textzeuge 2: des erstern
  • Textzeuge 1: tritt!
    Textzeuge 2: trat.
  • Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.
    Textzeuge 2: einzigen
  • Textzeuge 1: dieser Stadt
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: oder
    Textzeuge 2: und
  • Textzeuge 1: als
    Textzeuge 2: so
  • Textzeuge 1: auftreten
    Textzeuge 2: treten
  • Textzeuge 1: die
    Textzeuge 2: eine
  • Textzeuge 1: Rücksichten, die hier von mir nicht einmal leise erwähnt werden sollen
    Textzeuge 2: hier von mir nicht einmal leise erwähnt werden wollenden Rücksichten
  • Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.
    Textzeuge 2: entweder
  • Textzeuge 1: führen muss
    Textzeuge 2: führt

XML

Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.