Tonkünstlers Leben. Fragment VII (Erstdruck)

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Ein tobender, ergreifender Walzer fiel ein, die Masken verloren zerstreut sich in dem Gewirre, und die Zuschauenden machten nun ihren Herzen Luft.

– Welche ungereimte Farce – rief ein blauer Domino neben mir – dummes, absurdes Zeug, ein anderer. Man weiß ja gar nicht eigentlich, was es seyn soll, ein Dritter. Ein Spanier. Erlauben Sie, es liegt doch ein tiefer Geist im Ganzen, der mir erstaunt wohlgefällt.

Blauer Domino. Haben Sie es denn ganz gefaßt und verstanden?

Spanier. Nein, das nicht, aber es hat doch so etwas –

Blauer Domino. Ich sage Ihnen, es ist schlecht, ich kenne den Verfasser, oder ich müßte mich sehr irren, und aus dessen Gehirn entspringt nichts Vernünftiges, die schlechten Verse –

Hanswurst. Aha, blauer Ritter, schenk mir eine Lanze. –

Schnell verschwand der Domino.

Hanswurst. Ha Spiegelberg, Rezensent, ich kenne Dich. (Ihm nach.) Am Kredenztische | eilte ein niedliches Bauermädchen auf eine Türkin zu. Ach, was ist es Schade, daß Du das nicht gesehen hast. Da war Dir ein allerliebster Aufzug. Die Eine war gar hübsch angezogen, sah etwas langweilig, aber doch freundlich aus, die Andere schnitt Dir Gesichter zum Todtlachen, ach und dann wurde es so herrlich schauerlich, Huh! es war gar zu schön. – –

Ein Zigeuner. Ja, es war göttlich.

Nein, rief mein Dichter aus, und setzte das eben zu leerende Glas Punsch vom Munde; was sind das für verfluchte Urtheile. Der Eine findet’s dumm, der Andere göttlich, der voll tiefen Sinns, weil er’s nicht versteht, die himmlisch wegen ein paar hübscher Lappen.

Felix. Lieber Freund, hier hast Du das Publikum aller Orten und Zeiten en Miniature, so glaubt sich jeder Hansdampf für seine paar Groschen Legegeld befugt, über Dinge abzuurtheilen, die er nicht versteht, nie durchdachte, und wirft Jahrelanges Studium eines Kopfes durch seinen Beifall oder Mißfallen zu Boden, indem er sich von seiner augenblicklichen Laune letien läßt, die ihm vielleicht dieß im gegenwärtigen Augenblicke himm|lisch vorspiegelt, was er in einem andern langweilig findet. Ein ungeschickter Statist, der eine Scene verdirbt, ist ihm hinreichend, das Ganze schlecht zu finden, und so sind die Herren Kunstrichter der Gallerie, wie der Logen und des Parterre.

Dihl. Du hast recht, ich habe das meistens gefunden, auch unterscheidet sich besonders das Sonntags-Publikum von dem gewöhnlichen sehr: das gemeine Pakt säuft und frißt vorher gut, und will nur unterhalten seyn, sucht ein Donauweibchen, lacht sich halb todt, klatscht, ruft ein Paar heraus, und siehe, das Ding macht furore.

Felix. Der noble Pöbel hört dann davon, will es auch sehen, schimpft, geht aber wieder hin, und so verdirbt sich der Geschmack. Denn sehr wahr ist die Behauptung, daß man sein Publikum ziehen könne. Gieb ihm lauter gute Kunst-Werke, und es wird endlich unter diesen auch wieder die besten hervor zu finden und zu unterscheiden wissen.

Dihl. Hör einmal, Bruder, so sehr ich Musik liebe, aber, unter uns gesagt, Eure heillosen Opern haben auch viel verdorben.

Felix. Da kommst Du an meine empfindliche Seite. Wie oft soll ich Dir noch beweisen, daß, so | wahr auch die Bemerkung theilweise seyn mag, doch im Ganzen –

Ein Dieb, – ein Dieb, haltet ihn! hier! nein, da! – schrieen hundert Stimmen. Allgemeine Verwirrung entstand, ich war augenblicklich von meinem Freunde getrennt, und drängte mich durch die Masse, ihn wieder zu finden, als eine tiefverhüllte Maske mich beim Arme faßte. – Sie haben gefunden, mein Prinz. Ich maß ihn von oben bis unten, vermuthete einen Spaß, und wollte weiter, als er mich wieder anhielt – erkennen Sie mich doch, mein Gnädiger, bin ich denn wirklich so unkenntlich, daß E. Durchlaucht selbst ihren treuen (er raunte einen mir ganz fremden Namen Dario in mein Ohr) nicht erkennen?

Ich. Mein Herr, Sie irren sich in mir.

Maske. Nein, ich irre mich nicht, E. D. kamen früher, als ich Sie erwartete, aber eben recht. O eilen E. D. es ist hohe Zeit, Emilie – Wie Emilie! rief ich, und tausend Ahnungen durchflogen mein Inneres, indem meine gespannteste Aufmerksamkeit an dem Fremden hing. –

Maske. Nun ja doch, Emilie, tanzt dort leidenschaftlich, und endlich ist der glückliche Zeit|punkt durch meine viele Anstrengung erschienen, in dem Ihro D. das Ziel Ihrer Wünsche erreichen, oder wenigstens sich den Weg dazu bahnen können.

Ich (voll innerer Wuth). O sie Vortrefflicher! dabei drückte ich ihm die Hand, daß er hätte schreien mögen.

Maske (den Schmerz verbeißend) Ja ich konnte mir das aufwallende Feuer der Freude bei E. D. denken; doch eilen Sie nun, ehe meine Anstalten vernichtet werden. Unserer Verabredung gemäß, habe ich den Lieutenant F. und Wilhelm so instruirt, daß sie immer Emilien umgeben. Sie liebt den Tanz leidenschaftlich, Beide sind vortreffliche Tänzer, ein aufgenöthigtes Glas Punsch wird dabei seine Wirkung nicht verfehlen, das anstoßende Zimmer ist bereitet, wo man sie unter irgend einem Vorwande hinlocken wird. Die Tante ist durch einen der Unsrigen, der ihre Aufmerksamkeit zu fesseln weiß, beschäftigt. – E. D. erscheinen zufällig in dem Zimmer, die Andern entfernen sich eben so zufällig. Narkotische Düfte, und ein Prinz, welche Mittel, um ein so schwaches Hirngespinnst als weibliche Tugend ist, umzuwerfen – es kann nicht fehlen. –

Kaum hielt ich noch an mich. Die | beiden schwarzen Dominos, so fuhr die Maske fort, mit rothen Federn sind unsere Getreuen. Emilie trägt ein einfaches weißes Kleid, mit Lilla-Bändern, die Schleife unter der Brust, in E. D. Händen soll uns das Zeichen des Siegs seyn, jetzt aber erwarte ich schnell die Befehle, denn nochmals, es ist hohe Zeit. –

Ja, erwiederte ich schnell besonnen und gefaßt, – es ist sehr hohe Zeit, erwarten Sie mich an jenem Pfeiler, ich will selbst sehen und Wilhelm unterrichten – Bald hätte ich das Beste vergessen, rief er mir nach. – Die Loosung der unsrigen ist – Freude! – Gut, rief ich, und verschwand in der Menge, meinen Freund Dihl aufzusuchen. Heere von tobenden, quälenden Gefühlen kämpften in mir, tausend Pläne durchkreuzten sich in meinem Innern. Ich wählte und verwarf, und doch waren die Augenblicke so kostbar. Thor, der du bist, sagte ich zu mir selbst, auf den bloßen Namen Emilie hin geräthst du so in Feuer? Wer bürgt dir dafür, daß dieses die Emilie ist, die du meinst? Doch wenn auch nicht, hier ist von Vernichtung eines Bubenstücks die Rede, daher frisch Hand ans Werk, und nicht erst untersucht. Da rannte mir, o Glück mein Dichter in die Hände, voll Freude | umarmte ich ihn als wie nach langem Wiedersehen, und klar stand’s auf einmal vor mir, was geschehen müsse. Hier giebts etwas für Dich zu thun, ein Wagstück, aber schnell und mit Klugheit. Er. Vortrefflich, nur wie? wo? wann? – Ich erklärte ihm mit ein paar Worten den Verlauf der Sachen, und bat ihn, nun eilends zu dem tanzenden Paare zu gehen, den Tänzern die Loosung zuzuflüstern, Emilien ohne Umstände am Arme zu nehmen, selbst wenn sie sich sträuben sollte nicht nachzugeben, und sie so in den nächsten besten Wagen zu werfen und nach Hause zu bringen, indessen ich mich anders maskiren und den Ausgang der Sache abwarten wollte. – Die Lilla-Schleife unter der Brust bringst du mir als Wahrzeichen deines glücklich vollendeten Auftrags mit, und nun eile, fliege, die Freundschaft, ja das Leben deines Freundes, fleht dich darum an. – Dihl. Sey nicht so curios, das ist ganz ein Casus für mich, ich hole dir sie aus zehntausend Teufeln heraus, verlaß dich auf mich.

Fort eilte er, und ich wechselte meine Maske. Der erste Drang der aufwallenden Leidenschaft war vorüber, und ich ließ nun mein Selbst vor mir ruhig die Musterung passiren; denn das Handeln | war Werk des Augenblicks, des innern Dranges gewesen, von dem ich mir keine Rechenschaft geben konnte.

Warum hast du sie nicht selbst gerettet? fragte der Kopf, und leise antwortete das Gefühl, – das sich zu gern in dem Gedanken wiegte, meine Emilie müße die Gerrettete seyn; – daß es die Gewißheit vom Gegentheile nicht hätte ertragen können, daß daher die gefällige Phantasie gleich einen Ausweg zu finden wußte, der sich ja sogar mit dem schönen Titel der Uneigennützigkeit stempeln ließ. Leben denn Herz und Kopf in ewigem Kriege mit einander, suchen sie sich denn immer gegenseitig zu überlisten, soll die Rechte nie wissen, was die Linke thut, selbst wenn sie es sieht? – ewiges Räthsel dir und andern Menschen! – – –

Beobachtend näherte ich mich Dario, der mit allen Zeichen der lebhaftesten Ungeduld noch an seinem Pfeiler lehnte.

Endlich mochte es ihm doch zu lange dauern, denn er verließ ihn, und verschwand. Einem Träumenden gleich, wankte ich herum, voll Erwartung und Furcht über das lange Ausbleiben meines Freundes. Ach, laß mich, fuhr ich ärgerlich einen zudringlichen Polichinello an, der mich mit seinen | Späßen unterhalten wollte. Nun, nun, nur nicht so trotzig, mein Herr, sagte er, und hielt mir die Lilla-Schleife vor die Augen – Ach Du! in diesem Aufzuge, eile, erzähle. – Alles mit Ruhe, Herr Bruder, erst ein Glas Punsch. Wir gingen in ein Seitenzimmer, und nach einigen derben Zügen lößte sich Dihls Zunge. – Alles ging vortrefflich, ich gab meine Loosung, man war höflich, ich nahm Emilien an den Arm, sie verwunderte sich, ich führte sie weg, das nahm sie übel, ich bringe sie an den Wagen, da schrie sie, und hätte mir bei einem Haare die ganze Geschichte verdorben. Ich machte ihr denn in ein paar Worten begreifflich, daß man ihrer Tugend zu nahe treten wolle, daß ein unbekannter Edler, das bist Du, Herr Bruder, mir den Auftrag gegeben hätte, sie auf diese einzig mögliche Art zu retten, und daß sie dem Kutscher nun in Gottes Namen Ihre Wohnung anweisen könnte.

Da hättest Du das nette Geschöpfchen sehen sollen, wie es Thränen der freudigen Dankbarkeit vergoß, daß es einem selbst ganz curios ums Herz wurde. Und gar zu Hause, als sie sich ganz in Sicherheit sah, die Maske abnahm, das Engelgesichtchen mich ansah, und bei meiner Bitte um | die Schleife, mit den rührendsten Tönen ihren Dank stammelte, da – Herr Bruder, da beschloß ich, wenns nicht Deine Emilie ist, so bin ich so frei, und liebe sie?

Ich. Nun, und weiter, wie verließest du sie?

Er. Ja, sieh, bis hierher war’s eigentlich eine lederne Kommission gewesen, ohne sonderlichen Spaß, ich war also so keck, das Ding auf meine Weise zu variiren, auszuführen, und einige Contra-Subjekte hinein zu verweben.

Ich. Du wirst doch nicht –

Er. Ja, höre, wie ich Sie verließ, da fiel mir auf einmal ein königlicher Spaß ein. Ich blätterte in dem Register meiner Bekanntschaft nach einem freundlich gemüthlichen Wesen, das nicht zu der grausamen Race gehörte, und gleich zu finden wäre. Es fiel mir eins ein, und auf der Treppe kehrte ich noch einmal um, und erbat mir von Emilien ihren ganzen Anzug.

Ich. Ha, Abscheulicher! das Kleid, das sie trägt, wolltest Du –

Er. O sey still, Du sprichst wie ein Verliebter, das heißt dumm, – kurz, ich erhielt das Kleid, | flog damit zu einem Püppchen, kleidete es darein, instruirte es etwas, sagte, es sey was zu verdienen, wenn sie es gescheid machte, schleppte sie in den Saal, übergab sie einer der schwarzen Masken, der ich befahl, sie in das bewußte Zimmer zu bringen, und eben als ich meine Operation vollendet hatte, trat der Prinz, den ich recht gut kenne, in den Saal.

Ich Und nun?

Er. Ja, nun weiß ich weiter nichts, als daß ich meine Pseudo-Emilie Ihrem Schicksale überließ, mich umzog, und nun als demüthiger Sklave vor Dir erscheine.

Ich. Du hast da einen unüberlegten Streich gemacht, da Dich das Mädchen kennt.

Er. O dafür sorge nicht, derlei bekömmt mich selten und nie allein zu sehen, zudem ist es eine neue Aquisition, die erst angekommen. Aber was Rechtes gäbe ich darum, wenn ich die verfluchten Gesichter sehen könnte, die S. D. schneiden werden; wenn sie statt des spröden Tugend-Engels so ein frommes willfähriges Täubchen finden.

|

Ich. Bei alle dem find ich für gut, daß wir uns entfernen. Du weißt nun doch Emiliens Wohnung?

Er, schlägt sich vor den Kopf. Ich Esel, nein, über meinen schönen Plan habe ich gar nicht daran gedacht, darauf acht zu geben.

Ich. Also alle Hoffnung wieder verschwunden, je zu entdecken, ob sie es war, oder nicht? Komm, ich bedarf der Ruhe und dieß Gewirre fröhlicher Menschen ekelt mich an.

Apparat

Zusammenfassung

Fortsetzung Karnevalsposse von Fragment VI; Reflexion des eben Erlebten; Bericht über die Entführung der geliebten Emilie durch Dihl, den Freund von Felix, in Dialogform; als Verwechlungsspiel inszeniert

Generalvermerk

vgl. Entwurf

Entstehung

2.(5.) Oktober 1810 (laut A)

Überlieferung

  • Textzeuge: Hinterlassene Schriften von Carl Maria von Weber, Bd. 1 (1828), S. 84–95

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • MMW III, S. 283–289 (Forts. Größere Bruchstücke aus andern Kapiteln II.)
    • Kaiser (Schriften), S. 490–497 (Forts. Sechstes Kapitel) (Nr. 160)
    • Jaiser, S. 192–196 (nach Entwurf)

Themenkommentare

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