Aufführungsbesprechung Wien, Kärntnertor-Theater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 7. März 1822

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Der gestrige Tag war für Wien, für Dresden und für die ganze Kunstwelt überhaupt zu merkwürdig, als daß ich warten sollte, bis er der Reihe nach in meinem Tagebuche, welches oft erst post festum spricht, erscheint. Ich muß den guten Dresdnern alsogleich Nachricht geben, wie ausgezeichnet man hier einen Mann ehrt, den sie mit Stolz den Ihrigen nennen dürfen. Gestern nämlich zeigte sich Carl Maria v. Weber zum erstenmale vor dem größern Publikum, indem er seinen Freischützen selbst dirigirte, und erhielt von diesem die vollsten Beweise von Anerkennung. Die Oper ist bei uns bereits über zwanzig Mal gegeben und dennoch war schon um 6 Uhr das Haus so gedrängt voll, daß wohl funfzig Menschen gar nicht zu ihren Sperrsitzen gelangen konnten, die übrigen mußten sich mit Gewalt durchdrängen, oder baten um die Erlaubniß, durch die Parterrelogen heraus steigen zu dürfen. Alles wollte dem trefflichen Manne seine Achtung bezeigen, dessen gediegenes Werk der deutschen Musik zu so hoher Ehre gereicht. – Das erste Glockenzeichen ertönte und alle Augen wandten sich auf das Orchester, wo der Gefeierte nun erscheinen mußte – nun kam er, und ein Donner von Applaus und Bravorufen schallte ihm entgegen, der sich dreimal wiederholte. Nach jedem Musikstücke der ganzen Oper brach das Gejauchze auf’s neue los. Nach dem ersten Akte mußte Weber zweimal, am Schlusse wieder zweimal auf der Bühne erscheinen. Bei dem letzten Erscheinen blieben alle Sänger und Choristen auf der Bühne, um gleichsam dem Jubelmann ihre Huldigung zu bezeigen. Bei dem ersten Erscheinen ward ihm ein Lorbeerkranz zugeworfen mit einem weißen Band gebunden, auf welchem mit Gold die Worte gestickt sind: "Wien, den 7. März 1822." Zugleich flogen zweierlei Gedichte von den Gallerieen herab, die ich Ihnen hier mittheile;

An Carl Maria v. Weber*.

Wohl kann die Zeit der Wahrheit sich entwöhnen,Doch hat sie sich zur leeren Form verflacht,Dann tritt der Genius auf mit Göttermacht,Und Alles huldigt dem verkannten Schönen.So tratst Du auf mit Deinen reinen Tönen,Und wie aus einer dumpfen NebelnachtErschien ein neuer Tag in Rosenpracht*,Dich mußte Sieg, Du Wahrheitsstreiter, krönen.Der Liebe gabst Du ihre Stimme wieder,Das Grau’n* der Unterwelt enthülltest DuUnd zeigtest uns des Himmels hohen Glanz;Zum Himmel* drangen Deine wahren Lieder,Wir jubeln freudig Dir und dankbar zu,Und reichen Dir gerührt den Weihekranz.

An Carl Maria v. Weber.

Erschaffend dringt aus lichten AehterräumenDer Töne süßbewegte Zaubermacht;Sie weckt den Geist aus trüber Lebensnacht,Sie führt ihn himmelwärts in süßen Träumen. –Und schaut er auf mit trosterfüllten Blicken,Dann quillt der Sühne heil’ger Strahl herab:Durch’s Leben wallt er freier bis zum Grab,Weil er gefühlt der Seligkeit Entzücken. ¦ Und der den Drang erweckt in stiller Brust,Die Erde bindend an des Himmels Ferne,Was ist des hohen Sängers würd’ger Preis? –Ihn labt der Töne reichgeschaffne Lust,Und jedem Erdenlohn entsagt er gerne,Denn seine Krone blinkt im Sternenkreis.

Sie sehen wohl, wir haben ihm den irdischen und den Himmelskranz gereicht. Viele Künstler sind in unsern Mauern schon geehrt und ausgezeichnet worden, manche vielleicht auch über Gebühr, hier ging Verdienst mit Anerkennung gleichen Schritt und ich darf Heil dem Gefeierten und Heil Denjenigen zurufen, die das wahre Schöne so zu lohnen verstehen. Am 14. März wird Weber ein Concert zu seinem Vortheile geben, wobei der Redoutensaal wohl zu klein seyn dürfte.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Wien: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, 7. März 1822; Weber dirigierte selbst seine Oper der Freischütz zum erstenmale vor größerem Publikum.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Mo, Ran

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 6, Nr. 66 (18. März 1822), S. 264

    Einzelstellenerläuterung

    • „… An Carl Maria v. Weber“Das Gedicht stammt von Franz Schober (auch von Griesinger im Brief an Böttiger vom 9.03.1822 erwähnt); vgl. auch Franz von Schober, Gedichte, Stuttgart und Tübingen 1842, S. 193: An Carl Maria v. Weber, nach Aufführung des Freischützen, mit einem Kranze („Wohl kann die Zeit der Wahrheit sich entwöhnen“). Wiederabdruck: WS 8, S. 455.
    • „… ein neuer Tag in Rosenpracht“In der Gedichte-Ausgabe von Schober (s.o.) heißt es an dieser Stelle: „… Tag, du schlugst die Schlacht -“. Dabei handelt es sich vermutlich um eine spätere Überarbeitung von Schober, denn die Stelle stimmt mit der handschriftlichen Überlieferung des Textes im Tagebuch von Matthias Franz Perth (A-Wst, Zuw. Prot. Nr. 494, Bd. 35, S. 119–121 (7. März 1822)) überein.
    • „… Das Grau'n“In der Gedichte-Ausgabe von Schober (s.o.) heißt es an dieser Stelle: „Grau“, was aber höchstwahrscheinlich ein Fehler ist.
    • Himmelrecte „Herzen“.
    • „… Zum Himmel“Abweichung gegenüber der Gedichte-Ausgabe von Schober (s.o.), vermutlich aber Lesefehler der Redaktion, denn bei Perth steht ebenso „Herzen“.

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