Aufführungsbesprechung Mannheim, Großherzogl. Schaubühne: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 5. Mai 1822 (Teil 1 von 2)

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Großherzogl. Schaubühne in Mannheim.

Sonntag, den 5. Mai 1822.

Zum ersten Mal: Der Freischütz. Romantische Oper in 3 Abtheilungen, von Fr. Kind. Musik von C. M. v. Weber.

Eine alte böhmische Volkssage, mit welcher der zu früh verstorbene Dr. J. A. Apel das 1. Bändchen seines mit Laun herausgegebenen ‚Gespensterbuchs‘, Lpzg. 1810. eröffnete, gab Hrn. Kind den Stoff zu dieser für seinen Freund C. M. v. Weber gedichteten Oper. Der Gegenstand derselben hat eine sehr ernsthafte Seite, und selbst die, welche den wunderbaren Schöpfungen der Phantasie aus dem Geisterreiche abhold sind, werden keinen Anstoß daran nehmen können. Von jeher verweilte der zur Romantik geneigte Geist teutscher Nation gern in den schauerlichen Regionen der Mährchenwelt, und kaum wird bei einem andern Volke als dem teutschen, aber etwa bei dem von ihm abstammenden englischen, diese Gattung der Poesie, einen festen Fuß fassen; nur bei uns kann sie gute Köpfe anfeuern, durch ansprechende Darstellungen den Geschmack daran zu unterhalten. So viel im Allgemeinen; was aber nun die Sage vom Freischützen insbesondere betrifft, so ist der Aberglaube vom Gießen der Freikugeln, und des damit verbundenen wilden Jägers, wilden Heeres und anderer Waidmannskünste, fast durch ganz Teutschland verbreitet, und es ist dem Karakter der Oper besonders angemessen, einen so abentheuerlichen und der Schaulust sich empfehlenden Gegenstand für sie zu bearbeiten. In wiefern nun Kind sich an die Apel’sche Sage gehalten, kann Jeder selbst vergleichen, da sowohl die Erzählung, als auch die Oper gedruckt erschienen sind, mir aber bleibt noch zu erwähnen übrig, daß Dr. Hofrath Kind, um sein dramatisches Gemälde vollständiger zu machen, einige Personen, besnders das versöhnende Annchen hinzugefügt hat, und daß er den tragischen, düstern Ausgang der Erzählung, deren strenge Konsequenz der Tragödie angehört, der Oper aber wenig Vortheil gebracht haben würde, dahin abgeändert hat, daß das Ganze mit vergebender Milde, und der glücklichen Vereinigung der beiden Liebenden, nach überstandenem Probejahre, schließt. Mit besonderer Liebe hat der geschätzte Dichter die vier Hauptkaraktere behandelt, und, indem er ihnen ein ernsthaft dramatisches Leben verlieh, sie dadurch zu einer kräftigen und frischen musikalischen Komposition fähig gemacht. Agathe ist eine von jenen reinen Seelen, die selbst vor der leisesten Berührung des Bösen zurückbeben. Sie ist ein ächtes unverdorbenes Jägermädchen, das die Reize der Natur liebt, aber auch in ihr einen Anhauch verborgener Geisterkräfte fühlt, wenn sie in die heilig düstern Schatten des Waldes hinausblickt. Mit diesem Gefühl verbindet sie eine innige Liebe zu ihrem Max, welches nur bisweilen durch schauerliche Ahndungen getrübt wird, wenn sie an den ihm bevorstehenden gefährlichen Probeschuß denkt. Für die Darstellung ist dieser Karakter eine sehr schwierige Aufgabe, und sie muß so lange unauflösbar ¦ bleiben, bis jener fromme Sinn in seinem Zusammenhange mit der verborgenen Geisterwelt, von einem weiblichen Herzen erkannt und gewissermaaßen romantisch mitempfunden wird. Max steht hinsichtlich der Karakterreinheit weit hinter Agathen zurück. Denn ob er gleich von guter Art und Sitte ist, so verliert er doch schnell, als Unfälle auf ihn eindringen, den frommen zu ihrer Besiegung nothwendigheitern Lebensmuth. Sein eitler, heftiger Sinn unterliegt dem Spott der Landleute, er wirft sich dem höllischen Kaspar in die Arme, und dieser führt ihn, da er an eigner Kraft verzagt, schnurstracks in die Klauen des Satans. Nur die Zeit, eine völlige Rückkehr zum Guten und wahrhafte Reue, sollen, nach einem Probejahr, ihn der Hand Agatha’s wieder würdig machen. Man muß dem frommen Eremiten zutrauen, daß sein heiliger Einfluß dieses Wunder bewirken werde. Um so bestimmter ist Kaspar gezeichnet. Positive Lust am Bösen, völliges Verschwinden aller Moralität, während den wilden Zeiten des dreißigjährigen Kriegs, Rohheit und alles wagende Lebenslust, an der Hand des blinden Aberglaubens, sind die Hauptzüge zu seinem Karakter. So grell mußte der verwilderte rüstige Jäger hingestellt werden, wenn, – nach der Teufelsszene im 2ten Akt, – dem ins Verderben hingerissenen Max noch ein Schimmer von Besserung und Gnade gelassen werden sollte. Annchen – völliges Eigenthum des Herrn Kind – ist zur Handlung des Stücks nicht wesentlich nothwendig. Die Unschuldswelt, die sie in ihrem Innern trägt, kennt das Leben nur von der kindlich heitern Seite, und wenn sie auch hin und wieder eine kleine Schlauheit und Schelmerei blicken läßt, so ist diese von aller Ueberlegung entfernt, und vielmehr als ein fröhlicher Instinkt zu betrachten, der uns mit den düstern Farben dieser wilden Zeichnung befreunden soll. Alle übrigen Figuren dienen theils nur zur nothwendigen Erheiterung einer Oper – der reiche Kilian, Musikanten und Landleute –, theils zur Versöhnung – Ottokar und der Eremit –, zur Schaudererregung – Samiel und die Erscheinungen –, und zur Vollständigkeit – Kuno, Jäger und Brautjungfern – des oft grausigen Gemäldes. Nur denenjenigen wird diese Dichtung Genuß geben, welche mit der romantischen Poesie befreundet, an den abwechselnden Spielen der Phantasie, wenn sie auch etwas heterogen durcheinander laufen, Wohlgefallen sind.

(Beschluß folgt.)

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Ran Mo

Überlieferung

  • Textzeuge: Charis: Rheinische Morgenzeitung für gebildete Leser, Jg. 2, Nr. 39 (15. Mai 1822)

    Einzelstellenerläuterung

    • besndersrecte „besonders“.

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