Friedrich Rochlitz an Carl August Böttiger in Dresden
Leipzig, Sonntag, 4. April 1824

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Ich habe heute Briefschreibe-Tag, liebster Freund; und da dieser so bald nicht wiederkommen wird, und Sie mir so treulich geschrieben haben, antworte ich sogleich.

Erst meinen Dank, daß Sie den Brief Ihrer guten Pflegetochter mitgegeben hatten. Sie hat mich u. meine Frau gestern Nachmittag besucht und uns damit eine große Freunde gemacht. Ich habe sie über Sie, die Ihrigen, und was mit Ihnen zusammenhängt, ausgefragt; und sie hat mir aufs freundlichste, und mit Beweisen der innigsten Anhänglichkeit, vorzüglich an Sie selbst, Genüge gethan. Möge ihre Stellvertreterin sie auch wirklich ersetzen! Das ist kein kleiner Wunsch.

Daß es unsrem lieben Weber in Dresden so schön gelungen*, freuet mich innig, und gereicht den Dresdnern um so mehr zur Ehre, da sie eben dieser Gattung gar nicht gewohnt sind. Nun wird’s nicht fehlen: auch anderwärts wird’s W.n vollkommen gelingen. In Leipzig wäre die Euryanthe in voriger Woche gegeben worden, wären nicht unsre Sängerinnen krank. Nun ist mir der Verzug lieb; denn da wir, beym besten Willen und redlichem Fleiß, eben diese Oper nur mittelmäßig besetzen können, und sie mithin, wiewohl sicher nicht wenig gefallen, doch nicht alle das Glück machen kann, das sie verdient: so wird nun auch der Unkundige zu[ge]stehen: Es liegt nicht an ihr, sondern an unsern Verhältnissen. Sehen Sie W.’n, so sagen Sie ihm das, mit meinem herzlichen Glückwunsch. Ihr Aufsatz ist Müller’n sogleich zugeschickt worden; er ist sehr lebendig und wird seine Absichten erreichen: mich aber freuet es noch besonders, wie Sie bey solchen rühmenswürdigen Dingen gleich frisch bey der Hand sind und das Recht des lauten Worts handhaben, das Ihnen gebührt. |

Bekämen Sie Gänsbacher’n, so hätten Sie an ihm einen Mann, und eben den rechtenT. Erhält er den Antrag noch zu rechter Zeit, und sind die Bedingungen anständig: so müßte ich mich sehr irren, oder er ziehet die Dresdner Stelle der Wiener, an St. Stephan, vor. –

Um des trefflichen Wangenheims Umgang möchte ich Sie beneiden, so wie die Stelle aus Mouniers Briefe ausführlich commentieren. Wahrlich (absit omen!) es wird besser unter uns! Sind Sie denn genau unterrichtet über Rußland? oder vielmehr: über seinen Alexander? nicht sowohl über das, was er thut und geschehen läßt, als was er im Hintergrunde jetzt noch trägt, und sicher — Er ist der Charakter und seine stillere Wirksamkeit das Mittel dazu — zu seiner Zeit in’s Werk richten wird, erhält ihm Gott das Leben? —

So viel ich höre, bleibt Beck* bey seinem Vorsatz und muß es wohl, will er nicht zu Grunde gehn. Ihr Erlanger, so höchsterwünscht mir seine Nähe seyn würde, müßte mich dauern, spannte man ihn in dies Joch; nicht wegen der Menge der Arbeiten — er würde sie Herr — nicht wegen ihrer öftern Verdrüßlichkeit — er wüßte sie leicht zu nehmen — sondern wegen ihrer Art, die auch den kräftigsten, regsamsten Geist allmählig niederdrücken und endlich abstumpfen muß.

Ihren sehr lockenden Vorschlag, Hollar* betreffend, (wo Sie aber doch bestimmt sich an die Schopenhauer wenden,) könnte ich annehmen, da die historischen Data vorliegen, mir dieselben auch sonst nicht unbekannt sind, H. einer meiner Lieblingskupferstecher ist, dessen Hauptwerke ich kenne, zum Theil selbst besitze, und zwar in den besten Drücken — was eben bey seiner leichten, zarten Nadel eine Hauptsache ist: aber ich werde es nicht thun, wie ich denn, wenigstens vor der Hand, gar nichts thun will, | als, mein Buch, so gut ichs nur irgend vermag, nach und nach vollenden, und nebenbey ausführen, was ich aus innerm Trieb gar nicht lassen kann — als wovon Ihnen, wo nicht in diesem, doch in dem folgenden Jahre, gar manches zu Gesicht kommen wird. Mit dem 1sten Bde. jenes Buchs geht es gut — übergut*. Von allen Seiten drängen sich die alten Matadore deutscher Tonkunst schriftlich an mich mit Freude und Dank pp ohne alle directe Veranlassung von meiner Seite. Selbst der sonst unsichere u. zaghafte Meth. Müller hat sich bey seiner Anzeige in der eleg. Z. zusammengenommen, und vollkommen so darüber geschrieben, wie eben Er, eben für sein Blatt, es irgend vermocht*. Darum soll denn auch die Folge — ich gebe das Wort darauf, und kann es, nach meinen Vorarbeiten und meiner Neigung, geben — solcher Aufnahme immer würdiger werden. Schon sitze ich tief in der Ausarbeitung des 2ten Bdes*; und für Manches (Ihr lieben Herrn seht es ihm dann schwerlich an) hab’ ich eine ganze Bibliothek zum Nachschlagen u. dgl. um mich her verbreitet. Hierin fördert mich jetzt selbst meine Fußgicht, nicht nur, indem sie mich festzusitzen zwingt, sondern auch, indem sie den Kopf frey, das Herz frisch macht erhält; denn bloßer Körperschmerz wirft mich nicht. Auch Sie wollen sich über dies Buch erklären? Schön! und meinen Dank zuvor! Sie wollen Einiges aus meinem letzten Briefe benutzen? Wohl! Zwar weiß ich nicht mehr genau, was ich geschrieben habe; was es aber auch sey, Wahrheit ist es. Nur verrathen Sie nicht, was ich vielleicht verrathen: daß ich nehmlich um die Aufnahme des Buchs damals noch besorgt war. Wer den Leuten sagt: hem! eheu! wenn auch, um sie auszuschmälen und eines Besseren zu belehren, der macht, daß sie auf jenes horchen, auf dies nicht; so wie, wenn | man ihnen sagt: das Buch wird gesucht! so suchen sie es; es greift ein! so greift es ein.

Nach Dresden soll ich den Sommer kommen? Schwerlich! Muß ich nicht durchaus in ein Bad: so bringt mich nichts von meiner schönen Funkenburg und von meinem lieben Arbeitstisch. Man lebt nur einmal, ich aber gewiß nicht mehr lange: ziehen viele Andere daraus Maximen für den sinnlichen Genuß, so mache ichs nicht so, und denke es damit nicht schlechter zu machen. Fahre hin, was will, und ich hinterdrein; das Recht soll man mir lassen: er hat für sich wenig, für Andere, was seine Kräfte vermocht, gethan; und ließe man mir auch dies Recht nicht: meinethalben! es soll mich auch das nicht irren.

Gott befohlen, lieber, alter Freund!
Ihr
Rochlitz.

Editorial

Summary

freut sich für Weber über dessen gelungene Erstaufführung der Euryanthe in Dresden; würde sich freuen, wenn Gänsbacher die vakante Dresdner Stelle antreten könnte; weiterhin persönliche Mitteilungen über beabsichtigte und in Arbeit befindliche Publikationen

Incipit

Ich habe heute Briefschreibe-Tag,

Tradition

Text Constitution

  • “… Mouniers Briefe ausführlich commentieren. Wahrlich”auf der 2. Silbe ist ein Tintenklecks
  • “stillere”added above
  • “macht”crossed out
  • “erhält”added above

Commentary

  • “… in Dresden so schön gelungen”Bezogen auf den Erfolg der Euryanthe in Dresden (Erstaufführung 31. März 1824).
  • “… viel ich höre, bleibt Beck”Vermutlich Christian Daniel Beck (1757–1832), Professor der Leipziger Universität.
  • “… Ihren sehr lockenden Vorschlag, Hollar”Kupferstecher Wenzel Hollar (1607–1667).
  • “… geht es gut — übergut”Friedrich Rochlitz, Für Freunde der Tonkunst, Bd. 1, Leipzig: Cnobloch, 1824.
  • eleg. Z.abbreviation of “elegante Zeitung”.
  • “… sein Blatt, es irgend vermocht”Zeitung für die elegante Welt, Jg. 24, Nr. 61 (25. März 1824), Sp. 489–491.
  • “… der Ausarbeitung des 2ten Bdes”Bd. 2 erschien 1825.

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