Rezension und Aufführungsbesprechung Hamburg: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber, Februar 1822 (Teil 2 von 5)

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[fortgesetzt]

In der überlieferten Sage nämlich nimmt die Erzählung ihren düsteren Gang und endet mit dem tragischen Verderben. Wilhelm, (Max) um den Probeschuß zu thun, schießt nach der Taube, und in demselben Augenblick stürzt Katchen mit einem lauten Schrey zu Boden. Ein Strom Blut quoll über ihr Gesicht, die Stirn war zerschmettert, eine Büchsenkugel lag in der Wunde. Neben ihr stand der Stelzfuß und grinste mit höllischem Hohnlachen dem unglücklichen Jäger zu: Sechszig treffen, drey äffen! "Der Commissar und der Pfarrer – schließt darauf die Erzählung – suchten vergebens den verwais’ten Aeltern Trost zuzusprechen. Mutter Anne hatte kaum der bräutlichen Leiche den prophetischen Todtenkranz auf die Brust gelegt, als sie den tiefen Schmerz in der letzten Thräne ausweinte. Der einsame Vater folgte ihr bald. Wilhelm beschloß sein Leben im Irrenhause." In diesem | Ausgang ist freylich auch eine strenge Consequenz, die vorhergegangenen Ahndungen behalten ihr Beziehungsreiches, und die poetische Gerechtigkeit offenbart sich in der dunkelrächenden Waltung der Nemsis. Für die Oper jedoch wäre ein solcher Schluß zu tragisch gewesen und der letzte Eindruck würde dem Ganzen geschadet haben. Kind folgte daher der Sage nur bis so weit nach, daß Max allerdings nach der Taube schießt und Agathe, von bösen Ahndungen durchstürmt und geängstigt, mit einem Schrey zu Boden fällt! Aber von dem Schuß getroffen stürzt der Verführer Caspar vom Baume, wohin er aus neugierigem Fürwitz geklettert war; Agathe lebt wieder auf, und während Caspar unter Verwünschungen den Verderber herbeyruft, beichtet Max vor dem Könige selbst den verübten Frevel. Gegen das Gebot des Königs, daß der Jäger alsobald das Gebiet verlassen solle, tritt der fromme Claußner, der sich auch väterlich Agathens angenommen, fürbittend ein:

"Es finde nie der Probeschuß mehr statt!Ihm Herr, der schwer gesündigt hat,Doch sonst stehts rein und bieder war,Vergönnt dafür ein Probejahr;Und bleibt er dann, wie ich ihn stets erfand,Dann werde sein Agathens Hand."

So schließt das Ganze mit versöhnender Milde und mit dem frommen Chorgesang:

"Ja laßt uns zum Himmel die Blicke erheben,Und fest auf die Lenkung des Ewigen baun;Wer rein ist von Herzen, und schuldlos von Leben,Darf kindlich der Milde des Vaters vertraun."

In eine weitere Entwickelung der Fabel einzugehen, ist um so weniger nöthig, da nicht bloß die Erzählung, sondern bereits auch Kinds Bearbeitung gedruckt erschienen und mithin jedem zugänglich ist. Nur ein wesentliches Verdienst dieser Bearbeitung darf nicht unbeachtet gelassen werden, das ist die sichere, wenn auch nur in wenigen Zügen schön vollendete Charakterzeichnung der einzel¦nen Personen, die eben dadurch ein ächt dramatisches Leben erhalten haben, welches zumal in der musikalischen Composition erst recht frisch und vollkräftig sich ausspricht. Mit ganz besonderer Liebe und mit der tiefen Gemüthlichkeit, der wir in den meisten Dichtungen Kinds so gerne begegnen, ist zunächst die Jägerbraut, Agathe, geschildert, zu welcher zwar in der Erzählung Apels die Grundzüge angedeutet sind, aber die Zeichnung der Individualität gehört doch dem dramatischen Dichter ganz und gar als Eigenthum zu. Agathe ist eine jener reinen Seelen, die ihre Unschuldswelt in ihrem Innern tragen und wie durch eine Art von Instinkt vor jeder leisen Berührung des Bösen zurückbeben. Es ist eine recht gesunde, unverdorbene Empfindung, welche dieses Herz bewegt; von aller faden, kränklich-süßelnden Empfindeley ist keine Spur in ihr zu entdecken. Sie ist ein ächtes Jägermädchen, sie liebt die Reize der Natur und ihre Brust schwellt glücklicher auf, wenn sie in die heilig-düsteren Schatten des Waldes hinaus blickt, wenn sie den kräftigen Anhauch reiner Berg-Lüfte athmet und ihr Geist ahnet wohl auch einen inneren, verborgenen Zusammenhang mit den Geistern oder den Kräften der herrlichen Natur, von welchen sie sich in den wundervollsten Schöpfungen umgeben sieht. Mit diesem Gefühl, das mit ihrem Leben und in solchen Umgebungen genährt und stark geworden ist, mischt sich jetzt die Liebe zu dem munteren, sittigen Jägerburschen, und nur jetzt, als der Tag der Endscheidung herannaht, da diese selbst an eine gefährliche Probe geknüpft ist, durchschauern bange Ahndungen ihre Brust, und düstere Bilder der Zukunft trüben ihre Hoffnung, stören ihre Wünsche und Gebete. Ein Hauptzug in dem ganzen Charakter bleibet die fromme gefaßte Ergebung in den höheren Willen, welche der Dichter im Anfange des dritten Actes, so einfach, wahr und rührend geschildert hat. |

"Und ob die Wolke sich verhülle,Die Sonne bleibt am Himmelszelt;Es waltet dort ein heil’ger Wille,Nicht blindem Zufall dient die Welt.Das Auge ewig rein und klar,Nimmt aller Wesen liebend wahr.Für mich auch wird der Höchste sorgen,Dem kindlich Herz und Sinn vertraut;Und wär dieß auch mein letzter Morgen,Rief mich sein Vaterwort als Braut:Sein Auge, ewig rein und klarNimmt aller seiner Kinder wahr." –

Für die Darstellung bleibt ein solcher Charakter so lange eine unauflösbare Aufgabe, so lange man nicht diesen frommen Sinn in seiner ganzen Stärke selbst zu fühlen, jenen verborgenen Zusammenhang der Geisterwelt mit zu ahnden gelernt hat, und wirklich einer so starken, herzerhebenden Empfindung fähig geworden, von welcher dieses ächt weibliche Herz getragen und geleitet wird.

Max steht in Hinsicht der Vollendung der Charakteristik bedeutend zurück hinter Agathen, wie das aber in so enger Beschränkung, welche die Dichtung einzwängte, kaum anders möglich war. Von guter Art und Sitte verliert er, als Unfälle auf ihn einstürmen, zu bald den heiteren frommen Muth, der erforderlich ist, sich über die Täuschungen des Lebens zu erheben. Umgarnt von Listen und Betrügen gehet er, an eigener Kraft verzweifelnd, in die Falle, – geräth er in die Schlingen des Satans. Bey der jetzigen Wuth, durch mystische Gebeteskraft Laster und Frevel nicht bloß zu sühnen, sondern auf der Stelle in Tugend und Seegen umzuwandeln, müssen wir es dem Kopf und dem frommen Charakter des Dichters zu einem ganz besonderen Verdienst anrechnen, daß er, trotz der Einführung des Claußners, die Auflösung und Vermittelung doch so verständig und auch dem poetischen Sinne so angemessen herbeygeführt hat. Es wird dem Verirrten Zeit gelassen, durch sich selbst, durch eigene Besserung und durch völlige ¦ Rückkehr zu dem, was Pflicht ist, also durch eine wahrhafte Reue, sich der Hand Agathens wieder würdig zu machen. Nach dieser Vermittelung haben die Worte, welche beyden, dem Könige und dem Eremiten in den Mund gelegt sind, einer gar schönen, tiefen Sinn:

"Der über Sternen ist voll Gnade!Drum ehrt es Fürsten, zu verzeihn!" –

Vollständiger, wenn auch schon mit wenigen Worten, spricht sich der Jäger Caspar aus, der durch ein paar wohl angebrachte Züge in einer sehr scharf markirten Gestalt erscheint. Zunächst hat der Dichter eine sehr treffende Motive untergelegt, durch welche die Lust, den Max ins ewige Verderben zu locken, weit entfernt, bloß eine positive Lust am Bösen, bloß Schadenfreude oder satanische Verneinung zu seyn, vielmehr humanisirt wird, dadurch nämlich, daß sich Caspar von Agathen verschmäht gefunden und in seiner Gesinnung um so mehr Ursache hat, die Liebenden zu hassen und zu verderben. Dieser Zug sollte doch ja nicht übersehen werden, besonders auch von denen nicht, welche in einer Sage, Legende, in einem Mährchen auch noch immer nach psychologischer Wahrheit fragen. Sodann ist es ein sehr glücklicher Gedanke, die Zeit der Handlung, die hier vorgeht, gerade den wilden Zeiten während des dreyßigjährigen Krieges oder alsobald nach demselben anzuknüpfen. Der Caspar erklärt ganz deutlich, daß er auch mit "beym Magdeburger Tanze" gewesen. Wie aus so vieljähriger Verwirrung zu keiner Zeit urplötzlich Ordnung, Regel, Maaß und Sitte hervorzugehen pflegen, so besonders in jenen gräuelvollen Kriegsjahren und in der nächstfolgenden Zeit, der jammervollsten, die vielleicht je unser Vaterland gesehen hat. Was Spittler *) im | Allgemeinen davon aussagt, ist zwar nur kurz in Worten, aber dicke Bände aufwiegend im Inhalt, und, was schlimmer ist, den Zeugnissen und allen Ueberlieferungen jenes Jahrhunderts durchaus getreu. "Es verschwanden – sagt er – alle Empfindungen von Moralität: Grausamkeiten, wie man sie bey Kroaten und Schweden sah, wurden herrschende Sitte, und die unerhörtesten Bedrückungen theilten endlich selbst dem allgemeinen Volkscharakter jene schrecklichen Züge von Feigheit und Treulosigkeit mit, die in der damaligen Geschichte so häufig vorkamen. Der jetzt in Deutschland übriggebliebene Menschenstamm war eigentlich eine im tobendsten Kriege aufgewilderte Generation, ein muthloser und doch trotziger, ein unwissender und doch eingebildeter Menschenhaufen" u. s. w. Aus einer so wilden Race hat sich Caspar, brotlos herumstreifend, zu der in stiller Zurückgezogenheit lebenden Försterfamilie verlaufen, und daselbst Anstellung gefunden. Er mag ein geschickter Jäger seyn, aber er ist in das wüste Leben völlig eingewildert; und das kann nicht treuer und kräftiger geschildert werden, – abgesehen von dem, was sich aus den Handlungen Caspars von selbst ergiebt, – als in dem keck-verwegenen Liede, in welchem er seine Lebensphilosophie auskramt: zu dem Saft der Reben addirt:"

"Kartenspiel und Würfellust,Und ein Kind mit runder Brust –Hilft zum ew’gen Leben!" –

Mit Rohheit und wilder Lebenslust pflegt der blinde Aberglaube Hand in Hand zu gehen. Es war aber auch ästhetisch und insbesondere in einem Drama, in welchem der ernste, feyerliche Ton vorherrschend bleiben sollte, nicht unwichtig, die Figur des Stelzfußes, welcher in der Erzählung die eigentlich leitende Maschine (machina) ist, gegen diesen rüstigen Jäger umzutauschen, welcher für die Gesamthandlung von weit grösserer Brauchbarkeit gefunden werden mußte. Die Teufeley im zweyten Acte konnte kaum bessern Händen anvertraut werden, als diesen, wenn zumal für Maxen noch irgend ein Schimmer der Hoffnung übrig gelassen werden sollte.

Ueber Aennchen’s Person habe ich mich schon oben erklärt. Sie ist freylich ganz und gar episodisch, für die Zusammenhaltung der Handlung ganz unwesentlich; die Scene des dritten Actes, wo die Vertauschung der Kränze ¦ vorgeht, hätte eben so gut durch eine der Brautjungfern ergänzt werden können. Nichts desto weniger ist mir gerade dieser Charakter vor allen anderen desselben Stückes lieb, und er ist es eigentlich, welcher in das bunte verworrende Spiel Reiz und Anmuth zu bringen schien. Aennchen, eine höchst unschuldige, durch keinen bösen Gifthauch noch befleckte Seele, kennt das Leben durchaus noch von keiner andern, als von der kindlich-heiteren Seite und faßt diesem Sinne gemäß alle Erscheinungen auf, die auch ungewöhnlich und sonst für jeden andern befremdend ihr vorkommen. Man möchte sich auf Augenblicke versucht fühlen, wenn sie z. B. den alten Herrn Kuno wieder an die Wand nagelt, wie sie mit dessen Ehrwürdigkeit Scherz treibt, wie sie den Kettenhund Nero als Gespenst einführt, wie sie endlich die ominöse Verwechselung des Brautkranzes mit dem Todtenkranze durch kindlich-naive Tändeley zu vertuschen sucht, – ich sage, man könnte sich da versucht fühlen, hinter der Kleinen etwas Schlauheit und Schelmerey zu argwöhnen, die wohl dem „nicht minder schönen Burschen“, der einmal um sie freyete, manches Herzklopfen verursachen dürfte. Dennoch ist auch, wenn man den ganzen Charakter durchdenkt, selbst diese Schlauheit nur Gabe des Instinkts, durchaus noch mit keinem klaren Bewußtseyn verschwistert, und darum eben bleibt die Zeichnung so gefällig, so wohlthuend, daß sie allein mit den düstern Farben des übrigen Gemähldes uns versöhnen, uns mit demselben befreunden kann. Ueberhaupt ist dieses Aennchen ein Musterbild, wie Vertraute geschildert werden müssen, wenn sie uns nicht langweilen oder nicht ärgern sollen. Wir haben hier eine recht heimisch, deutschgedachte Person dieser Gattung, und ich empfehle denen, welche den seelenvollen Gehalt derselben begreifen und empfinden lernen wollen, einmal eine französische Vertraute, etwa aus Racine u. dgl. mit dieser zu vergleichen! –

Die übrigen Figuren sind nicht von ausgezeichneter Bedeutung und dienen bloß, die Vollständigkeit des Gemähldes zu befördern. In dem Eingange des Stücks ist der Bauer Kilian gut nach dem Leben gezeichnet. Der Förster Kuno ist ein ganz erträglicher Kamödien-Papa und der König Ottokar viel verständiger, als man sonst von dergleichen Majestäten gewohnt ist.

Uebrigens können zum Genusse dieser Dichtung nur | solche eigentlich eingeladen werden, welche Sinn haben für romantische Poesie, welche ein reges bewegbares Gefühl in sich tragen, und an den Spielen und Schöpfungen der Phantasie, auch wenn diese zuweilen etwas bunt durcheinander laufen sollten, Wohlgefallen finden. Sinn und Bedeutung offenbart sich auch in diesen Spielen, wenn wir nur selbst den rechten Sinn dafür mit hinzubringen. Eine Art von Kindlichkeit gehört allerdings dazu, Geschmack und Wohlgefallen an solchen Dichtungen zu finden; aber bleiben wir nicht in mancher Hinsicht Kinder die ganze Zeit unsers Lebens hindurch? – Wer in solchen Stoffen nach reiner, verständiger Wahrheit fragt, wie sie mit der erkennbaren und begreiflichen Wirklichkeit in Verbindung stehen, nun ja, dem sind sie zu diesem Zweck allerdings nicht zu empfehlen. Er wird für seine Neigung anderswo genügende, und in ihrer Art sehr achtungswerthe Nahrung finden. – Am Schlusse dieser Betrachtung soll auch nicht verhehlt werden, daß wir es für sehr wichtig und ernst halten, mit welchen Erzählungen und Legenden gerade die jugendliche Phantasie beschäftigt werde. Wer von den Eigenheiten seiner Denkart, – bemerkt Herder irgendwo, *) – von seinem verborgenen Glauben und Aberglauben, von dem geheimsten Schatz seiner Träume und Speculationen Rechenschaft geben sollte, wird am Meisten den Grund davon in Eindrücken der Jugend finden, in der uns Alles wie ein Mährchen vorkommt. Viele setzen diese Mährchenträume fort bis zu ihrer letzten Lebensstunde." – Indessen wird unsere Sage, wie sie zumal von Kind selbst behandelt worden ist, auch bei den reinsten und gläubigsten Kinderseelen so wenig Verirrungen zurücklassen, daß sie vielmehr den Sinn derselben über Rechthandeln und die Abweichungen, in welche der Leichtsinn des Lebens oder der Mangel an Muth und selbständiger Tugend verführen, recht klar und hell zu machen geeignet seyn dürfte.

(Die Fortsetzung folgt.)

[Original Footnotes]

  • *) Spittlers Hannöv. Gesch. Th. 1. S. 116. vgl. Galletti’s Gesch. des dreyßigjährigen Krieges &c. Th. III. S. 285 f.
  • *) Ueber Mährchen und Romane im 3te[n] Theil der Adrastea, oder in den sämmtl. Werken, zur schönen Litt. und Kunst gehörig, Th, XII. S. 116.

Editorial

Summary

Rezension und Aufführungsbesprechung Hamburg: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber (Teil 2 von 5). Der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe, die letzten drei Teile folgen in den nächsten.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Dramaturgische Blätter für Hamburg, Jg. 2, Nr. 12 (Februar 1822), pp. 89–96

Text Constitution

  • “einer”sic!
  • “Kamödien”sic!

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